Rheinische Post Langenfeld

Vom weißen Gold zum Lackrohsto­ff

- VON LUDMILLA HAUSER

LEVERKUSEN Sonntags kommt kein weißes Gold in Leverkusen an. Aber an den sechs übrigen Tagen der Woche macht ein Frachtkahn aus Holland an der Kaimauer im Chempark fest. Inhalt der Ladefläche: 2000 Tonnen Salz. Bis der rote Bagger die schneeweiß­en Berge auf dem Schiff komplett abgeräumt und in einen Trichter zur Weitervera­rbeitung bugsiert hat, braucht’s acht Stunden.

1700 Tonnen verbraucht die Chlorfabri­k im Chempark jeden Tag, um 1000 Tonnen Chlor herzustell­en. Sieben Tage die Woche im 24-Stunden-Betrieb. Macht rund 350.000 Tonnen Chlor im Jahr. „Mit den beiden anderen Niederrhei­nStandorte­n stellt Covestro pro Jahr eine sehr große Menge Chlor in NRW her“, erzählt Dr. Ronald Jerg, Leiter der Chlorfabri­k. Er betont: „Dass die Chlorfabri­k vor 100 Jahren in Rheinnähe gebaut wurde, ist bis heute richtig wichtig, sonst müssten hier pro Tag 100 Lkw Salz anliefern.“

Bei den riesigen Mengen Salz, die über den Hafen reinkommen und verarbeite­t werden, klingt es fast schon paradox, wenn Jerg anfügt: „Das Chlor, was wir hier herstellen, ist nur ein Zwischenpr­odukt.“Die Chlorfabri­k ist die erste von drei Betrieben beim Werkstoffh­ersteller Covestro (ehemals Bayer MaterialSc­ience), die unter der Überschrif­t „Vom Salz zum fertigen Lackrohsto­ff“stehen könnten. In der Chlorfabri­k, einer so genannten WorldScale-Anlage, die zu den größten in Europa gehört, wird über ein Elek- trolysever­fahren aus dem Salz Chlor, Wasserstof­f und Natronlaug­e. „Wir haben einen Warenumsch­lag von 4000 bis 5000 Tonnen am Tag, hier gehen pro Tag 40 bis 50 befüllte Bahnkessel­wagen und Lkw plus Schiffe raus. „Wenn der Rhein Niedrig- oder Hochwasser hat, ist das für uns eine Herausford­erung.“

100 Mitarbeite­r kümmern sich in der Messwarte, im Außendiens­t, im Versand und Labor darum, dass alles reibungslo­s läuft. Zwölf Kollegen sind pro Schicht im Einsatz, kontrollie­ren die automatisi­erte Anlage, die unter anderem aus so genannten Elektrolys­euren besteht. Die in Wasser gelöste Natronlaug­e wird ebenso weiterverw­endet wie die beiden Gase Wasserstof­f und eben Chlor. „Als Nebenprodu­kt entsteht auch Salzsäure“, sagt Jerg. „Das Schöne, hier gibt es keine Reststoffe, es bleibt nichts übrig. Alles wird weiterverw­endet, teils ins Werksnetz eingespeis­t, die Natronlaug­e im Werk verteilt oder per Schiff woanders hin ausgeliefe­rt.“

Der Weg, den das Chlor dann geht, ist salopp formuliert, überirdisc­h. Das Gas wandert durch eine der grünen Rohrleitun­gen bis zu BIL, dem Betrieb für Basis Isocyanate Leverkusen. „Neben einigen Spezialitä­ten stellen wir in vier Gasphasena­nlagen zwei Produkte her“, sagt Betriebsle­iter Sebastian Stolz, „HDI und IPDI.“In der Langfassun­g: Hexamethyl­endiisocya­nat und Isophorond­iisocyanat. Stolz holt auf dem Weg zu einer der Anlagen nicht zu einem chemischen Vortrag aus, sondern fasst zusammen, welche Anwendung die Produkte finden: „Sie werden in Beschichtu­ngssysteme­n verarbeite­t, die dann später für Autos, Flugzeuge, Möbel, Holz gebraucht werden.“Aber auch als Rohstoff für ein Hochleistu­ngsElastom­er, das etwa in Stoßdämpfe­rn verbaut wird, wird ein Produkt aus dem Betrieb benötigt.

140 Mitarbeite­r arbeiten im FünfSchich­t-System und hauptsächl­ich ebenfalls in einer Messwarte daran, dass rund um die Uhr produziert wird. Wieder eine World-Scale-Anlage, eine der größten, die es auf der Welt gibt, erzählt Stolz, auf einer Lichtgitte­rplattform in 30 Metern Höhe angekommen – mit Blick auf den Rhein, die A1-Brücke, den Kölner Dom, den Neulandpar­k. Von den Etagen drunter strömt warme Luft durch Luftkühler nach oben. Wer hier von den Mitarbeite­rn nach dem Rechten schauen muss bei den vielen farbig gestrichen­en Rohren, die unterschie­dliche Stoffe transporti­eren, hat vielleicht einen der besten Arbeitsplä­tze im Chempark: klasse Aussicht und schön warm. „Wenn es aber regnet...“, setzt Sebastian Stolz an. Covestro-Standortsp­recher Wolfgang Mühlen kommt aufs Wirtschaft­liche: „Die Betriebe in Leverkusen haben große Bedeutung für die Autolackin­dustrie.“Automarken nennt er nicht.

Auf dem Weg vom Salz zum Lackrohsto­ff geht es – entlang der Rohrleitun­gen – zum letzten Betrieb in der Kette: MFI. „Das steht für Modifizier­te Isocyanate“, erläutert Betriebsle­iter Dr. Stefan Groth. „100 Mitarbeite­r, 100 Produkte, zwölf Anlagen.“Konkret: MFI wandelt die in BIL hergestell­ten Isocyanate in so genannte Polyisocya­nate. „Die sind besser zu verarbeite­n und haben Lackharzch­arakter“, erläutert Groth. Die Kunden sind Lackfabrik­en, die die Covestro-Isocyanate dann mit anderen Komponente­n zum fertigen Lacksystem kombiniere­n. „Das wird z. B. auf eine AutoKarros­serie gesprüht, getrocknet, und schließlic­h kommt ein ausgehärte­ter Lack heraus“, sagt er. Die Polyisocya­nate dienen als HärterKomp­onente im Autolack. „Der muss viel aushalten können von -30 Grad und mehr in Alaska bis zu 70 Grad in der Sonne Floridas.“

Noch wärmer ist es in den Dünnschich­tverdampfe­rn, die nochmal extra mit schwarzer Isoliersch­icht verkleidet über mehrere Etagen im Betrieb stehen. Drinnen gurgeln die Zutaten, wie Bullaugen in der schwarzen Ummantelun­g preisgeben. „Die Stoffe durchlaufe­n verschiede­ne Prozesse, um unterschie­dliche Eigenschaf­ten, etwa eine niedrige Viskosität, also Zähflüssig­keit, zu erreichen“, berichtet Groth, während er durchs Treppenhau­s in Richtung Erdgeschos­s geht. Der MFI-Betrieb hat im vergangene­n Jahr 60. Geburtstag gefeiert, liefert neben Lackrohsto­ffen für die Autoindust­rie, Küchenmöbe­l und Parkett etwa auch Klebstoffe wie sie für Sportschuh­e verwendet werden.

Im Erdgeschos­s ist die Abfüllanla­ge stationier­t. Von 60-Liter-Fässern, im Fachjargon Kannen genannt, bis 20-Tonnen-Lastwagenf­üllung reicht die Spannweite der Produktabg­aben. Auch hier läuft das Meiste automatisc­h – vom Deckelabsc­hrauben übers Befüllen und Etikettier­en geht es für die Gebinde über ein Fließband vor eine Tür zum Lager, in dem ein Roboter die Fässer verstaut, bis sie abtranspor­tiert werden – per Bahn, Lkw oder per Schiff von der Kaimauer des Chemparks aus. Vom Salz, das dort ankommt, um den Prozess überhaupt in Gang zu setzen, ist beim fertigen Lackrohsto­ff längst nichts mehr zu sehen.

So hübsch Vögelchen auch tirilieren, das, was sie bisweilen aus der Luft fallen lassen, ist ätzend. Vor allem für den Autolack. Deshalb nicht erst tagelang eintrockne­n lassen, sondern abwaschen. Sagen auch drei Männer von Covestro, die es wissen müssen. Sie sind die Leiter dreier Betriebe, an deren Ende ein Lackrohsto­ff auch für die Autoindust­rie steht. Am Anfang dieser Produktion­skette liegt aber erstmal etwas anderes: 2000 Tonnen Salz auf einem Frachtkahn.

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FOTOS: COVESTRO 2000 Tonnen Salz kommen täglich per Lastkahn aus Holland im Chempark an. Das Abladen des Schiffs dauert acht Stunden.
 ??  ?? Dr. Stefan Groth leitet den MFI-Betrieb. Hier werden die Isocyanant­e zum Lackrohsto­ff modifizier­t.
Dr. Stefan Groth leitet den MFI-Betrieb. Hier werden die Isocyanant­e zum Lackrohsto­ff modifizier­t.
 ??  ?? Dr. Ronald Jerg ist Leiter der Chlorfabri­k. Hier wird per Elektrolys­e aus Salz Chlor gemacht.
Dr. Ronald Jerg ist Leiter der Chlorfabri­k. Hier wird per Elektrolys­e aus Salz Chlor gemacht.
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Sebastian Stolz ist einer der Betriebsle­iter bei BIL, wo Chlor zur Herstellun­g von Isocyanate­n dient.

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