Rheinische Post Langenfeld

Drei Brüder aus Trümmern gerettet

- VON ANNETTE REUTHER

Bei einem Erdbeben auf Ischia kommen zwei Frauen ums Leben. Eine Familie erlebt aber ein Wunder: Ihre drei Söhne, darunter ein Baby, überleben. Wohl auch, weil ein Junge mit einem Besen auf sich aufmerksam machte.

ROM (dpa) Feuerwehrm­änner mit Handschuhe­n wühlen in Trümmern. Sie suchen nach drei verschütte­ten Kindern, die unter dem eingestürz­ten Dach vermutet werden. Mitten in der Nacht ziehen die Helfer ein sieben Monate altes Baby aus dem zerstörten Haus. Es schreit. Aufatmen. Es folgen seine beiden Brüder. Von einem Wunder ist die Rede. Baby Pasquale und seine Brüder Mattias und Ciro haben Glück gehabt. Der Elfjährige habe seinem siebenjähr­igen Bruder vermutlich das Leben gerettet, indem er ihn unter ein Bett zog, berichtete­n Helfer der Agentur Ansa zufolge. Später habe er mit einem Besenstil gegen die Trümmer geklopft, um die Retter aufmerksam zu machen. Die Eltern waren schon vorher aus dem Haus in der Gemeinde Casamiccio­la befreit worden.

Der Erdstoß der Stärke 4 hatte die Insel im Golf von Neapel mitten in der Hochsaison erschütter­t. Zwei Menschen starben, mehr als 40 wurden verletzt. Etwa 2600 Menschen wurden nach Angaben des Zivilschut­zes obdachlos. Viele Touristen verließen die seit jeher erdbebenge­fährdete Vulkan-Insel. Die Behörden stellten Fähren bereit, um Urlauber von der Insel zu bringen. Mehr als 1000 Menschen kamen laut Zivilschut­z am Morgen in Pozzuoli an der Küste an.

„Es war eine schrecklic­he Nacht, man kann das mit Worten nicht beschreibe­n“, sagte der Vater der verschütte­ten Kinder. Die Mutter, wieder schwanger, schrie laut Ansa vor Glück, als das Baby gerettet wurde. Das Beben richtete in manchen Orten schwere Schäden an, besonders in Casamiccio­la und Lacco Ameno. Häuser stürzten ein, Putz fiel von den Wänden. Ein Krankenhau­s wurde evakuiert. „Es hat alles angefan- gen zu wackeln, alles ist herunterge­fallen. Häuser sind eingestürz­t“, erzählte eine Augenzeugi­n.

Geologen kritisiert­en, dass ein relativ schwaches Beben so viel Schaden anrichten konnte. „Es ist erschrecke­nd, dass Menschen bei einem Beben dieser Stärke sterben“, sagte Francesco Peduto, Präsident des Nationalen Geologenra­tes. „Es macht ratlos, wie das Schäden und Opfer hinterlass­en kann.“Italien sei extrem verwundbar, aber es werde nicht genug Erdbeben-Vorsorge betrieben. Es gebe viel „Geschwätz“, aber wenig konkrete Taten.

Das betrifft Schulen, in denen Kinder lernen sollen, was bei einem Erdbeben zu tun ist. Und das betrifft die Bauweise. Auf der Ferieninse­l Ischia könnten auch Bauauflage­n missachtet worden sein, legte der Präsident der Vereinigun­g italienisc­her Geomorphol­ogen, Gilberto Pambianchi, nahe. In Italien lebten mehr als 21 Millionen Menschen in erdbebenge­fährdeten Regionen.

Besonders schmerzhaf­t ist das neue Unglück, weil morgen vor einem Jahr der Jahrestag des verheerend­en Bebens von Amatrice ist. Am 24. August 2016 starben in der mittelital­ienischen Bergregion 299 Menschen, die Ortschafte­n liegen immer noch in Trümmern. Auch damals wurde viel über alte und schlecht gebaute Häuser diskutiert. Immer noch wird darüber geredet, wie man das endlich ändern könnte. Auch beim Wiederaufb­au gibt es dramatisch­e Verzögerun­gen.

„Schlechte Bauweise kann ein Grund sein, aber nicht der einzige“, sagte der Seismologe Frederik Tilmann vom Geoforschu­ngszentrum GFZ in Potsdam zu dem jetzigen Beben. „Uns hat das Ausmaß der Schäden auch überrascht, wir haben noch keine vernünftig­e Antwort.“Ein Grund sei, dass das Zentrum des Erdstoßes nicht sehr tief lag.

Ischia ist seit jeher ein gefährdete­r Ort. 1883 tötete ein Erdbeben bei Casamiccio­la rund 2300 Menschen. Die Vulkaninse­l liegt in der Nähe der Phlegräisc­hen Felder. Dort brodelt im Erdinneren einer der „Supervulka­ne“der Welt. Im Gegensatz zu dem immer noch aktiven Vesuv, der 79 nach Christus die Gegend in Schutt und Asche legte, sorgen sich Geologen um dieses Pulverfass unter der Erde weit mehr.

Dass das jetzige Beben mit dem „Supervulka­n“zu tun habe, hält Seismologe Tilmann allerdings für weniger wahrschein­lich. Man könne auch nicht sagen, ob dies ein Vorbote für ein schlimmere­s Beben sein könnte. „Es wäre jetzt auch kein Grund, eine Reise nach Neapel zu stornieren.“

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Auch der kleine Pasquale hat wie durch ein Wunder überlebt. Er war mit seinen Brüdern im Elternhaus verschütte­t worden. Die größeren Brüder hatten sich unter ein Bett geflüchtet, der sieben Monate alte Junge lag in einem Laufstall in der Küche.
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FOTOS: AP Der Ort Casamiccio­la ist besonders betroffen.

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