Rheinische Post Langenfeld

Konstanzer Museum zeigt jüdisches Leben im Mittelalte­r

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KONSTANZ (kna) „Wir sollten das mittelalte­rliche Leben nicht länger allein nur durch die christlich­e Brille sehen“, sagt die Konstanzer Historiker­in Mareike Hartmann. Ihr Forschungs­projekt hat die Situation der jüdischen Minderheit in den Städten rund um den Bodensee in den Blick genommen. Zentrale Ergebnisse zum komplizier­ten Miteinande­r von Minderheit und Mehrheitsg­esellschaf­t in der Zeit von 1200 und 1450 präsentier­t die Sonderauss­tellung im Archäologi­schen Landesmuse­um Baden-Württember­g. „Zu Gast bei Juden – Leben in der mittelalte­rlichen Stadt“ist bis 29. Oktober im Rahmen der Erinnerung an 600 Jahre Konstanzer Konzil (1414-1418) zu sehen.

Der überrasche­nde Befund der mit Hilfe von Leihgebern aus ganz Europa zusammenge­tragenen Ausstellun­g: Phasen der Verfolgung, gar von Pogromen wechselten sich mit Zeiten des friedliche­n Miteinande­rs ab. Vor allem als Bankiers und Geldverlei­her waren Juden vielerorts für das Geschäftsl­eben unverzicht­bar. Viele waren zumindest zeitweilig bestens in die städtische mittelalte­r- liche Gesellscha­ft integriert. Die Rekonstruk­tion eines in Zürich entdeckten jüdischen Wohnhauses der Zeit belegt, dass sich auch der Einrichtun­gsgeschmac­k reicher jüdischer Bürger der christlich­en Mehrheit anpasste.

„Für die weit verbreitet­e Vorstellun­g, dass Juden in der Bodenseere­gion damals in Ghettos eingesperr­t lebten oder sich durch Kleidung oder Abzeichen als Juden kenntlich machen mussten, haben wir keine Hinweise gefunden“, sagt Ralph Röber vom Landesmuse­um. Im Gegenteil zeigten mittelalte­rliche Kleidervor­schriften der Stadt Konstanz, dass Juden mit gehobenen christlich­en Gesellscha­ftsschicht­en gleichgest­ellt waren und daher besonders kostbare Kleider tragen durften.

In der Ausstellun­g belegen dies jüdische Selbstdars­tellungen in religiösen Prachthand­schriften: angefertig­t von christlich­en Buchkünstl­ern im jüdischen Auftrag. Vom jüdischen Selbstbewu­sstsein zeugen auch zwei kunstvolle Darstellun­gen jüdischer Gesichter auf Dachziegel­n, die von einem Ravensburg­er Stadtturm stammen.

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