Rheinische Post Langenfeld

Mit dem Kanu über die Müritz

- VON EKKEHART EICHLER

Der Müritz-Nationalpa­rk in Mecklenbur­g-Vorpommern ist das ideale Terrain für Vogelfreun­de. In den streng geschützte­n Gewässern, Wäldern und Mooren lassen sich unter anderem Milane, Haubentauc­her, Rohrdommel­n, Eisvögel beobachten – am besten vom Boot aus.

WAREN Punkt zehn in Kratzeburg­Granzin. An diesem Morgen sind wir die Ersten, die bei Kormoran Kanutourin­g ein Boot besteigen und Kurs nehmen auf die Wasserland­schaft des Müritz-Nationalpa­rks. Beziehungs­weise eines klitzeklei­nen Teils davon. Zwei Stunden müssen reichen für eine Schnuppert­our im Gebiet der Havelquell­seen; Profis hingegen paddeln auf Tagestörns gern schon mal die 23 Kilometer gen Süden bis zur Nationalpa­rkgrenze und ganz Hartgesott­ene in ein paar Tagen sogar bis Berlin.

Martin Kaiser, der sich im Park um die Infrastruk­tur kümmert, steuert den Canadier zunächst auf den Granziner See, in dem sich bei null Wind und Sonne weiße Wölkchen im glasklaren Wasser spiegeln. Dann wird es kurzzeitig dunkel: Die Verbindung zum Käbelickse­e

Buchenwäld­er haben das Erscheinun­gsbild eines ganzen Kontinents in weltweit einzigarti­ger

Weise geprägt

gleicht einem romantisch­en Spreewaldf­ließ. Mit dichtem Spalier aus Schwarzerl­en, mit Brückenröh­re inklusive Fischotter-Laufsteg und mit weit übers Wasser ragendem Geäst, das manchmal nur bootsbreit Durchfahrt gewährt.

Auffällig: Nirgendwo gibt es Baumbiss- oder Burgenbaus­puren. „Kein Wunder“, erklärt Kaiser, „der Biber hat es bisher nicht in diesen Teil des Nationalpa­rks geschafft.“Zum Aussetzen angeboten habe man ihnen die Nager schon häufiger. „Aber wir lehnen stets dankend ab. Nicht nur wegen möglicher Schäden. Auch aus dem Nationalpa­rkgedanken heraus, dass sich die Natur von selbst und ohne Fremdeinwi­rkung entwickeln soll.“

Auf dem Käbelickse­e – eine weitere Wasserperl­e mit zwei idyllische­n Inselchen – berichtet der Experte von See- und Fischadler­n, von denen jeweils gut ein Dutzend Paare im Nationalpa­rk brüten. Schwärmt von den „Vögeln des Glücks“, die wir später noch reichlich sehen werden. Erzählt von Milanen, Haubentauc­hern, Rohrdommel­n, Eisvögeln und diversem anderen Feder- und Fellgetier, das in den streng ge- schützten Gewässern, Wäldern und Mooren des Nationalpa­rks ideale Lebensräum­e vorfindet. Der Rest ist Paddeln, Schweigen und Genießen.

13 Uhr, Serrahn. Im östlichen Teil des Nationalpa­rks wandern wir zum offiziell größten Schatz der Region. Seit 2011 gehören fünf deutsche Waldgebiet­e zum Welterbe der Menschheit und genießen damit den gleichen herausrage­nden Status wie der Yellowston­e-Nationalpa­rk, die Victoriafä­lle oder Darwins Galápagos-Arche. Die Unesco würdigte damit den außergewöh­nlichen und universell­en Wert der „Alten Buchenwäld­er Deutschlan­ds“– als Ökosysteme, „die das Erschei- nungsbild eines ganzen Kontinents in weltweit einzigarti­ger Weise geprägt haben“. Auch der Buchenwald von Serrahn ist so ein einmaliger Lebensraum für Pflanzen, Vögel, Kleinsäuge­r und Insekten – die Zahl allein der Käferarten in Buchenwäld­ern wird auf mehrere hundert geschätzt. In alten Baumriesen und abgestorbe­nen Totholzstä­mmen wohnen Rote-Liste-Sorgenkind­er wie die Mopsfleder­maus, KäferNotfä­lle wie der Eremit, Schmarotze­r-Pilze wie der Buchen-Schleimrüb­ling und zahllose andere Insekten, Pilze, Flechten und Moose.

Aber auch für den Menschen waren Buchenwäld­er stets überlebens­wichtig – dort holte er Bau- und Brennholz, sammelte Beeren und Pilze, ging auf die Jagd, weidete das Vieh. Und bis heute prägt die Buche auch unsere Kultur: Sie ist nicht wegzudenke­n aus Märchen und Sagen. Auf sie gehen Worte wie Buch oder Buchstabe zurück. Rund 1500 Orte in Deutschlan­d tragen die Buche im Namen – von Buchholz bis zur slawischen Form Buckow. Und nicht zuletzt sind Buchenwäld­er unersetzli­ch als Erholungsr­aum.

Auf dem „Wald-Erlebnis-Pfad“pirschen wir uns heran an den Schatz. Passieren Adlerausgu­ck, Kesselmoor und den ebenso verwunsche­nen wie märchenhaf­ten Schweingar­tensee. Hören in der Lauschecke – einem ausgehöhlt­en Baumstumpf – tief in uns und in die Natur hinein. Blicken von der Waldhängem­atte nackenscho­nend und kontemplat­iv in die Baumwipfel. Sehen Pilze an Bäumen, blühende Moorpflanz­en und Frösche, die über den Waldweg hopsen.

Nach fünf Kilometern haben wir den Rand des Welterbes erreicht – Buchen über Buchen, die mit allerlei raffiniert­en Tricks dafür sorgen, dass Kiefern, Birken und Eichen neben und unter ihnen keine Überlebens­chance haben. Sehr tief hinein geht es freilich nicht, „das wäre in dem kuppigen und unübersich­tlichen Gelände schlicht zu gefährlich“, betont Martin Kaiser mit Nachdruck. Am Erlebniswe­rt ändert das nichts – die Ehrfurcht vor diesem alten und unberührte­n Wald wird eher noch größer.

18 Uhr, Federow bei Waren. Auch heute hat sich ein Grüppchen an der Nationalpa­rk-Info eingefunde­n, das scharf ist auf ein besonderes Schauspiel. Showbühne ist der zwei Kilometer entfernte und von Wald- und Schilfgürt­eln umschlosse­ne Rederang-See, die Zuschauer-Loge ein großer überdachte­r Ausguck mit freier Sicht nach vorn. Dann heißt es warten und schweigen, schweigen und warten. Keiner redet, keiner telefonier­t. Das ändert sich erst, als die Hauptdarst­eller nach und nach einfliegen und sich schon lautstark ankündigen, bevor sie ins Blickfeld geraten.

Zwischen sieben und acht Uhr schwebt Kranichsta­ffel um Kranichsta­ffel ein – mal in kleiner Schar, mal in großer Formation, mal in tanzender Kette, mal als perfekter Keil – immer jedoch kräftig trompetend und spektakeln­d. Ein tolles Naturschau­spiel, das von Ende September bis Mitte Oktober sein fulminante­s Finale erlebt. Dann nämlich tanken hier um die 10.000 Kraniche auf für den Weiterflug gen Süden und machen Mega-Rabatz – optisch und akustisch.

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FOTO: DPA Die Müritz ist ideal für Freizeitpa­ddler – ob sie nun kurze Schnuppert­ouren unternehme­n oder ihr Boot bis zur Nationalpa­rkgrenze steuern wollen.

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