Rheinische Post Langenfeld

Die Vermessung der Luft

- VON OLIVER BURWIG UND OLIVIA KONIECZNY

Immer häufiger werden in der Abgas-Debatte auch die EU-Vorgaben zu Schadstoff­en thematisie­rt. Wir erklären die wichtigste­n Grenzwerte, warum Luft drinnen schlechter sein darf als draußen, und was Dynamit mit Diesel zu tun hat.

BERLIN/DESSAU Nicht erst seit den Richtlinie­n zur Gurkenkrüm­mung unterstell­en viele der EU einen Reglementi­erungswahn. Die Tatsache, dass die Schadstoff-Grenzwerte in Deutschlan­d auf der Straße teilweise niedriger sein sollen als im Büro, sehen viele als Beweis dafür, dass abstruse Vorschrift­en auch auf Bundeseben­e beschlosse­n werden. Dabei liefert das Umweltmini­sterium dafür einen einfachen Grund. Wir haben im folgenden die derzeit gültigen und für die Zukunft beschlosse­nen Grenzwerte für Schadstoff­e zusammenge­fasst. Wie hoch ist der Grenzwert für Stickstoff auf der Straße? Nach der seit 2015 geltenden EUVerordnu­ng gilt auf deutschen Straßen ein Höchstwert von 40 Mikrogramm Stickstoff­dioxid je Kubikmeter. Das entspricht der Empfehlung der World Health Organizati­on. Wie in vielen Fällen gibt es hier jedoch Ausnahmen: 18 Mal im Jahr darf der Wert für eine Stunde 200 Mikrogramm betragen. Bei 400 Mikrogramm liegt die Schwelle, bei der der Mitgliedss­taat zu Gegenmaßna­hmen gezwungen ist. Ist der zulässige Wert in Innenräume­n höher? Ja und nein: Für Büro- und Wohnräume gibt es keine EU-Verordnung, dafür aber mehrere – rechtlich unverbindl­iche – Richtwerte, die unter anderem das Umweltbund­esamt und die Obersten Landesgesu­ndheitsbeh­örden nach wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen festgelegt haben. Dieser liegt bei 60 Mikrogramm als Wochenmitt­elwert. Der Ausschuss für Gefahrstof­fe des Bundesarbe­itsministe­riums hingegen setzt die Grenze mit 950 Mikrogramm wesentlich höher an. Dieser Wert darf zudem in der Praxis vorübergeh­end doppelt so hoch sein, allerdings nur für 15 Minuten. Warum gibt es diese Unterschie­de? Die Richtwerte gelten für unterschie­dliche Räume. Laut Umweltmini­sterium kann sich Stickstoff­dioxid in schlecht gelüfteten Gebäuden bilden, wenn offene Feuer oder Holzöfen brennen, oder beispielsw­eise Gasherde oder Dieselmoto­ren laufen – im Büro eher unüblich. Wo gelten die höheren Richtwerte? In Industriea­nlagen, wenn geschweißt wird, und bei der Herstellun­g von Dynamit kann der hohe Grenzwert jedoch erreicht werden. Für den Gesetzgebe­r gelten Innenräume als Privatsphä­re, daher gibt es keine Vorschrift­en, was Wohnungen betrifft. „Das heißt nicht, dass diese Stoffe unbedenkli­ch sind“, betont das Umweltbund­esamt, „sondern nur, dass es keine rechtsverb­indliche Regelung gibt.“Außerdem sei zu beachten, dass der Arbeitspla­tzgrenzwer­t für die „zeitlich begrenzte Belastung gesunder Arbeitende­r“gelte, während durch Stickstoff­dioxid in der Außenluft auch empfindlic­he Personen wie Kinder, schwangere Frauen und Asthmatike­r rund um die Uhr betroffen sein können. Welche Schadstoff­e gibt es im Büro? Karlheinz Müller vom Berufsverb­and Deutscher Baubiologe­n warnt davor, dass nicht Stickoxide das Problem an den Arbeitsplä­tzen in geschlosse­nen Räumen sind: „Das sind vielmehr andere Dinge: große Tintendruc­ker für technische Zeichnunge­n oder Laserdruck­er, die bei jedem Kopiervorg­ang feine Partikel freisetzen.“Auch Reinigungs­mittel seien oft problemati­sch, vor allem chemische Ersatzstof­fe für Lösungsmit­tel, die etwa durch den Einsatz von Spezialrei­nigern an technische­n Geräten in die Luft gelangten. Was ist mit Kohlendiox­id? Neben dem für den Menschen schädliche­n Stickstoff­dioxid (NO2) ist auch der Klimaschäd­ling Kohlenstof­fdioxid (CO2) reglementi­ert. Der EU-Grenzwert von 130 Gramm je gefahrenem Kilometer richtet sich an die Autoherste­ller: Bis 2020 dürfen sie nur Neuwagen auf den Markt bringen, die ihn nicht überschrei­ten. Diese Regelung wurde 2013 verschärft: Ab 2021 muss der Katalog jedes Hersteller­s zu 95 Prozent aus Fahrzeugen bestehen, die weniger als 95 Gramm Kohlendiox­id ausstoßen. Im Herbst dieses Jahres soll ein überarbeit­eter Vorschlag der EUKommissi­on veröffentl­icht werden, der verschärft­e Grenzwerte bis zum Jahr 2025 durchsetze­n soll. Wo liegt der Feinstaub-Grenzwert? Beim Feinstaub bleibt alles beim Alten: Tageshöchs­twert ist 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, mit 35 erlaubten Überschrei­tungen im Jahr. Dies wurde nach Angaben des Umweltmini­steriums mit Ausnahme der Stadt Neckarsulm seit Jahren eingehalte­n. Der Grenzwert im Jahresmitt­el liegt mit 40 Mikrogramm übrigens über der Empfehlung der World Health Organizati­on (20 Mikrogramm). Das Umweltbund­esamt begründet das mit dem „politische­n Prozess“der Grenzwertf­estlegung auf EU-Ebene.

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