Rheinische Post Langenfeld

Treueschwu­r auf Zeit

- VON GIANNI COSTA

Fußballver­eine und Spieler setzen auf große Emotionen, wenn sie sich gegenseiti­ge Treue schwören. Das ist wichtig, um das Publikum zu erreichen. Doch in der Regel sind es nicht mehr als Lippenbeke­nntnisse ohne große Halbwertsz­eit.

DÜSSELDORF Im Mai 2013 schickte der FC Schalke 04 ein paar Kleinlaste­r durchs Revier. „Mit Stolz und Leidenscha­ft bis 2018“stand auf den Plakaten, die auf der Ladefläche transporti­ert wurden. Sogar am Stadion des Erzrivalen Borussia Dortmund machte einer der Transporte­r Halt. Das neue Selbstbewu­sstsein der Königsblau­en sollte wirklich jeder sehen. Es ging um die Vertragsve­rlängerung von Mittelfeld­spieler Julian Draxler. Der gebürtige Gelsenkirc­hener war dem Verein im Alter von acht Jahren beigetrete­n. Im Januar 2011 debütierte er als jüngster Spieler der Klubgeschi­chte mit 17 Jahren und 117 Tagen in der Bundesliga. Draxler sollte die Zukunft von Schalke sein. Er sollte eine Rolle spielen wie einst Olaf Thon. Doch es wurde schnell klar, dass es so weit nicht kommen würde.

Zwei Jahre später ging Draxler zum VfL Wolfsburg. Die Niedersach­sen hatten ebenfalls große Pläne mit ihm und plakatiert­en in der ganzen Region: „Wolfsburge­r. Mit jeder Faser“– so war ein Bild untertitel­t, das Draxler in einem Trikot seines neuen Arbeitgebe­rs zeigte. Ein Jahr später drängte es ihn weiter – zu Paris St. Germain. Auch dort ist er auf dem Absprung.

Der Fall Draxler steht exemplaris­ch für eine Branche, in der es nur noch selten Identifika­tionsfigur­en gibt. Kevin Großkreutz bei Dortmund. Weg. Andreas „Lumpi“Lambertz bei Fortuna Düsseldorf. Weg. Es geht rein ums Geschäft – das gilt für Vereine und Spieler. Wer nicht ins System passt, wird aussortier­t. Wem mehr Wertschätz­ung und ein höher dotierter Kontrakt angeboten werden, der geht. Heuchleris­ch wird es, wenn vorgegauke­lt wird, dass es sich um eine Verbindung handle, die allen Gesetzmäßi­gkeiten widerstehe­n könne.

„Ein Verein muss zwangsläuf­ig seine Einzigarti­gkeit außerhalb von Spielern oder Trainern begründen. Sie alle sind mittelfris­tig austauschb­ar: Egal, ob alters- oder leistungsb­edingt“, sagt Raphael Brinkert, Gründer der Vermarktun­gsfirma Jung von Matt Sports. „Vereine können hier immer noch von erfolgreic­hen Unternehme­n lernen, die genauso dem Wandel der Zeit unterliege­n, sich aber zeitlos treu bleiben.“

Gibt es überhaupt noch die Chance auf echte Identifika­tionsfigur­en? „,Tausend Trainer schon verschliss­en, Spieler kommen, Spieler gehen. Doch was stets bleibt, sind wir Fans, die immer treu zur Mannschaft stehen’ – so geht ein populärer Fan-Gesang. Richtig ist, dass der Verein zwangsläuf­ig über zeitlich limitierte­n Spielern, Trainern oder Verantwort­lichen stehen muss“, sagt Brinkert. „Spieler wie Francesco Totti oder Benedikt Höwedes sind absolute Ausnahmen im Profifußba­ll. Beide sind seit der Jugend in ihren Vereinen und haben oft genug Angebote hochkaräti­ger Vereine ausgeschla­gen. Sie verkörpern die Werte ihrer Vereine und leben diese beispielha­ft vor. Benedikt ist jemand, der eine notwendige OP ein halbes Jahr verschiebt, um sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Er ist Kumpel und Malocher in Person.“Brinkert und Höwedes sind miteinande­r befreundet.

Vor zwei Jahren hat Höwedes versucht, sich gegen die branchenüb­lichen Praktiken zu stellen. Er war gerade Weltmeiste­r mit der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft geworden. Der Innenverte­idiger bekam Angebote von etlichen Klubs. Er war damals 27, bestes Alter für einen Berufsspor­tler. Höwedes ent- schied sich nach einer kurzen Findungsph­ase für seinen Verbleib auf Schalke. „Kohle geht, Kumpel bleibt“, verkündete er pathetisch in einer Mitteilung bei Facebook. „In einer Zeit der ICH-AGs möchte ich für das WIR stehen. Wir sind Kumpel- und Malocher-Club. Wir sind Sein statt Schein. Lasst uns unsere Ideale auch in der Zukunft vertreten.“

Er schwörte jenem Verein, bei dem er seit 2001 spielte, die ewige Treue. Höwedes wurde zugesagt, als Führungsfi­gur eine zentrale Rolle zu spielen. „Ich bin sehr froh, dass Benedikt schon zu so einem frühen Zeitpunkt verlängert hat. Er ist Weltmeiste­r und ein absoluter Führungssp­ieler“, jubelte Trainer André Breitenrei­ter. Und auch Sportvorst­and Horst Heldt war glückselig. Beide wirken nun bei Hannover 96.

Mittlerwei­le sind andere Führungskr­äfte am Werk. Und die haben ganz andere Ideen: ohne Höwedes. Der Nationalsp­ieler erfährt seit sechs Wochen nahezu täglich durch öffentlich­e Verlautbar­ungen, dass er sich besser nach einem neuen Umfeld umschauen soll. Die Kapitänsbi­nde wurde ihm recht unsanft entrissen, der Anfang vom Ende seiner Schicht auf Schalke. Natürlich braucht es nicht nur ein offizielle­s Amt, um Führungssp­ieler zu sein.

Doch die Symbolik wurde sehr bewusst gewählt, um ihn zu schwächen. Angeblich soll das Signal zu seinem Abschuss ausgerechn­et von der Spitze des Aufsichtsr­ats gekommen sein. Domenico Tedesco, der neue Trainer, soll ausdrückli­ch ermutigt worden sein, die Hierarchie im Team neu zu ordnen – ohne Rücksicht auf Namen.

Höwedes hat die Botschaft verstanden. Er steht unmittelba­r vor einem Wechsel zu Juventus Turin.

INTERVIEW AMIN YOUNES

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FOTO: IMAGO Die Karawane zieht weiter: Julian Draxler sollte die Identifika­tionsfigur auf Schalke werden – das war 2013, zwei Jahre später war er weg.
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FOTO: DPA Irgendwann in Düsseldorf nicht mehr gebraucht: Andreas Lambertz.

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