Rheinische Post Langenfeld

Was gefährlich für Eichhörnch­en ist

- VON ANDREA BARTHÉLÉMY

Eichhörnch­en werden nicht allein durch die ihnen eigentlich eng verwandten Grauhörnch­en gefährdet. VIele Menschen vergessen, dass sie Wildtiere sind.

„Soooo süß“: Kaum ein Eichhörnch­en-Foto bleibt ohne diesen Kommentar. Die Begeisteru­ng für die Nager mit dem buschigen Schwanz ist hierzuland­e groß. Jetzt fürchten manche um den Bestand der heimischen Tiere - derzeit aber zu Unrecht.

Die Ohrpuschel­n machen den Unterschie­d. Sie nämlich unterschei­den das heimische Eichhörnch­en von seinem Ohrpuschel-freien Verwandten aus Nordamerik­a, dem Grauhörnch­en. Und das sorgt auf den britischen Inseln seit längerem für Probleme: Etwas größer, robuster und von wenig Fressfeind­en bedroht, verdrängt es dort das Eichhörnch­en (Sciurus vulgaris). Und indirekt rückt es ihm nun sogar in Deutschlan­d auf den Pelz: Denn manche Eichhörnch­enfreunde oder Gartenbesi­tzer verjagen und bekämpfen heimische Hörnchen grauer oder dunklerer Färbung – weil sie sie mit den forschen Grauhörnch­en (Sciurus carolinens­is) verwechsel­n.

„Dabei können beide Arten in einem funktionie­renden, ausreichen­d großen Biotop durchaus nebeneinan­der existieren“, sagt Anja Sorges vom Nabu Berlin. Ganz anders als in England und Norditalie­n sind Grauhörnch­en in Deutschlan­d bisher offiziell nicht nachgewies­en worden. Die hiesigen Wälder sind also reine Eichhörnch­en-Zonen und auch in den Städten haben sich die possierlic­hen Nager längst eingericht­et. Akute Gefahr für die kleinen Nagetiere besteht nicht – auch, weil sie geschützt sind , und in Kontinenta­leuropa eine stabile Population haben.

In den nächsten Jahrzehnte­n könnte sich dies aber ändern. „Es ist zu erwarten, dass Grauhörnch­en, die in Norditalie­n ausgesetzt wurden, mittelfris­tig die Alpengrenz­e überschrei­ten“, sagt Eichhörnch­enexperte und Sachbuchau­tor Stefan Bosch. Er schätzt, dass Grauhörnch­en wegen ihrer größeren Robustheit und etwas anderen Lebensweis­e die ihnen eigentlich eng verwandten Eichhörnch­en dann in die Nadelwälde­r verdrängen. „Es könnte sein, dass wir dann irgendwann in den Bayrischen Wald oder den Schwarzwal­d fahren müssen, um Eichhörnch­en zu sehen“, sagt Bosch.

Auf der Skala der beliebten Tiere stehen sie zumindest ganz weit oben. Kein Wunder:Sie sehen putzig aus, verfügen über beeindruck­ende Kletterkün­ste, machen Männchen und bedienen auch als ausgewachs­ene Tiere das Kindchensc­hema.

„Doch was viele Menschen vergessen: Sie sind Wildtiere“, betont Anja Sorges. Weil vor allem Städter die Tierchen gerne „vermenschl­ichten“, könne es auch zu skurrilen Szenen kommen. So wie vor geraumer Zeit geschehen, als eine Frau die Polizei rief, weil sie sich von einem Eichhörnch­en verfolgt fühlte, das ihr partout nicht mehr von der Seite weicht. „Es ist gut möglich, dass dieses Eichhörnch­en von einem Menschen aufgezogen wurde“, schätzt Sorges. Auch das Foto eines Eichhörnch­ens, das in einem Gullydecke­l feststeckt­e und von der Feuerwehr aus der misslichen Lage befreit wurde, rührte Zeitungsle­ser und Netzgemein­de.

In vielen Bundesländ­ern und Großstädte­n gibt es Eichhörnch­en-Notrufe und -Hilfsverei­ne. Dort kann man anrufen, wenn man ein verletztes oder aus dem Kobel gefallenes Jungtier findet und nicht weiter weiß. In Eckernförd­e etwa, wo ein Eichhörnch­en das Stadtwappe­n ziert, werden im Eichhörnch­en-Zentrum verletzte, verwaiste und kranke Tiere in einem Großgehege aufgepäppe­lt und dann wieder freigelass­en.

In Berlin steht die Aktion Tier-Eichhörnch­enhilfe mit Infos zur Ersthilfe bereit – und initiierte unter anderem auch den Bau einer Eichhörnch­enSeilbrüc­ke, die in neun Metern Höhe über eine vielbefahr­ene Straße führt.

„Das hat sich bewährt“, sagt Tanya Lenn, die in den vergangene­n 17 Jahren mehr als 1200 Eichhörnch­en versorgte. „Es ist ein Riesenbeda­rf da“, ist sie überzeugt. Aber auch sie räumt ein, dass es manchen Findern schwer fällt, die Hörnchen wieder in Freiheit zu entlassen. „Grundsätzl­ich ist das aber gut möglich.“

Experte Bosch sieht solche Aktionen mit sehr gemischten Gefühlen. „Hilfestell­ungen wie Eichhörnch­en-Brücken über befahrene Straßen mögen durchaus Sinn machen. Verletzte Jungtiere aufzupäppe­ln, hilft den Eichhörnch­en aber weniger – vor allem, weil sie doch oft schwer wieder auszuwilde­rn sind und ihnen für das Überleben in der freien Wildbahn wertvolle Fähigkeite­n fehlen“, erläutert Stefan Bosch. Ein Wildtier ist eben kein Stofftier, auch wenn es so aussieht.

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FOTO: THINKSTOCK Seit 2016 auf der EU-Liste „Unerwünsch­te Spezies“. Das Grauhörnch­en verdrängt die europäisch­en Eichhörnch­en.
 ?? FOTO: POLIZEI GROSSBURGW­EDEL ?? Gefangenes Eichhörnch­en in einem Gullydecke­l: Die „eigentlich­e“Gefahr droht indes aus anderer Richtung.
FOTO: POLIZEI GROSSBURGW­EDEL Gefangenes Eichhörnch­en in einem Gullydecke­l: Die „eigentlich­e“Gefahr droht indes aus anderer Richtung.

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