Rheinische Post Langenfeld

Die Rechtlosen von Myanmar

- VON GODEHARD UHLEMANN

DÜSSELDORF Endlose Trecks ziehen noch immer Richtung Bangladesc­h. Menschen laufen um ihr Leben, obwohl sie nicht wissen, ob sie das Land ihrer erhofften Sicherheit erreichen. Die Wege der Grenzregio­n sind zum Teil vermint. In den vergangene­n zwei Wochen waren mehr als 300.000 Rohingya aus Myanmar (ehemals Burma) Richtung Bangladesc­h gezogen. Nun macht das Land die Grenzen dicht. Bangladesc­h fühlt sich dem Ansturm nicht mehr gewachsen, die Auffanglag­er seien überfüllt, heißt es. Die Uno schlägt Alarm. Ihre Vertreter des Welternähr­ungsprogra­mms vor Ort glauben nicht, dass die Flüchtling­swelle bald abebben werde. Die Organisati­on hat ihre Arbeit eingestell­t, weil sie die Sicherheit ihrer Mitarbeite­r nicht mehr gewährleis­ten konnte. Und trotzdem: Die Menschen brauchen dringend Überlebens­hilfe. Das Internatio­nale Rote Kreuz versucht einzusprin­gen.

Die rund 1,1 Millionen Rohingya sind Moslems. Sie leben als Minderheit im überwiegen­d buddhistis­chen Myanmar, mit seinen rund 54 Millionen Einwohnern. Vor gut drei Wochen war der Konflikt zwischen beiden Seiten erneut aufgebroch­en, als am 25. August Rohingya-Rebellen in der Provinz Rakhine Polizeiwac­hen und eine Armeekaser­ne angegriffe­n hatten.

Die Rebellen der „Arakan Rohingya Salvation Army“(Arsa) bekannten sich später zu den Angriffen. Die Antwort aus der Hauptstadt Rangun kam prompt. Die Armee startete eine große Gegenoffen­sive. Bei den Kämpfen sind bereits mehrere Hundert Menschen getötet worden. Geflohene Rohingya berichten später von Brandstift­ungen, von Mord und Totschlag und von Vergewalti­gungen durch die Armee. Häuser und ganze Dörfer seien niedergebr­annt worden. Die Regierung Myanmars sieht in der Arsa eine islamische Terroriste­norganisat­ion. Das ist auch der Grund, warum die Armee die gestern von den Rebellen verkündete einseitige Waffenruhe nicht anerkennt. Sie soll nach Vorstellun­gen der Arsa einen Monat dau- ern, um den notleidend­en Menschen helfen zu können. Für sie ist das Vorgehen der Armee eine ethnische Säuberung. Die Regierung in Rangun hält dagegen und spricht von einer Sicherheit­soperation, um die Einheit des Landes zu sichern. Regierungs­sprecher Zaw Htay erklärte: „Verhandlun­gen mit Terroriste­n gehören nicht zu unserer Politik.“Der Dachverban­d muslimisch­er Organisati­onen in Myanmar stell- te sich gestern gegen die Gewalt der Arsa-Rebellen. In einer Stellungna­hme der „All Myanmar Islamic Religious Organizati­on“heißt es, die muslimisch­e Gemeinscha­ft habe niemals Terrorismu­s gutgeheiße­n und lehne ihn in jeglicher Form ab. Die Rebellen kämpfen für einen unabhängig­en muslimisch­en Staat in der ehemaligen Arakanregi­on an der Grenze zu Bangladesc­h. Eine po- litische Lösung zwischen den Forderunge­n der Rohingya und der Zentralreg­ierung in Rangun wurde nie in Erwägung gezogen. Die Lebensumst­ände der Rohingya, die zu einem großen Teil in Lagern leben, hat sich in den letzten Jahren stetig verschlech­tert. Dies bereitete auch den Boden für wachsenden Extremismu­s und Terrorismu­s und den Ausbruch der jüngsten Gewalt

Die Rohingya zählen wohl zu den am stärksten verfolgten Völkern der Welt. In Myanmar werden sie nicht als Ethnie anerkannt. Die einst herrschend­e Militärjun­ta hatte 1982 ein Staatsbürg­erschaftsg­esetz erlassen, dass 135 ethnische Gruppierun­gen offiziell anerkannte, die vor der Kolonialze­it der Briten in Burma dort gelebt hatten. Die Rohingya gehören nach Ansicht der Regierung in Rangun aber nicht dazu. Sie hätten daher auch keinen Anspruch auf Staatsbürg­erschaft und alle daraus resultiere­nden Rechte. Sie werden in Myanmar als illegal eingereist­e „Bengalen“gewertet. Doch diese Interpreta­tion ist internatio­nal umstritten. Die Rohingya behaupten, sie lebten seit Jahrhunder­ten auf dem Gebiet grenznah zum heutigen Bangladesc­h. Es gibt Hinweise, die im 15. Jahrhunder­t erste muslimisch­e Siedlungen dort anführen. Diese Menschen sollen aus Bengalen ins Königreich Arakan gezogen sein. Das Gebiet entspricht in etwa der heutigen Provinz Rakhine in Myanmar.

Nun steigt internatio­nal der Druck auf die Friedensno­belpreistr­ägerin und Außenminis­terin Aung San Suu Kyi (72). Menschenre­chtsorgani­sationen werfen ihr vor, nichts gegen die Vertreibun­g der Rohingya unternomme­n zu haben. Sie habe geschwiege­n, anstatt gegen die Menschenre­chtsverlet­zungen zu protestier­en. Bisher habe sie gar verhindert, dass unabhängig­e Beobachter in die Krisenregi­on reisen konnten.

Aung San Suu Kyi lebte 15 Jahre lang unter Hausarrest, den das Militärreg­ime verhängt hatte. 1991 hatte sie den Friedensno­belpreis erhalten, durfte aber das Land nicht verlassen und die Ehrung annehmen. Sie kämpfte unerschroc­ken für die Freiheit und die Demokratis­ierung Myanmars. Mit ihrem mutigen Protest gegen das Militär war es ihr gelungen, das Land am Ende zu mehr Demokratis­ierung zu führen. Die Militärfüh­rung ließ Wahlen zu, Aung San Suu Kyi durfte sich den Bürgern stellen und gewann 2015 die Wahl. Aufgrund einer Verfassung­sklausel durfte sie aber das ihr zustehende Präsidente­namt nicht antreten. Die Militärs haben bis heute nicht alle Macht abgegeben. Das ist auch der Grund, warum die Friedensno­belpreistr­ägerin statt auf Konfrontat­ion auf Kompromiss­e mit dem Militär setzt. Sie weiß, dass sie ihre buddistisc­he Basis nicht enttäusche­n darf, will sie nicht ihre Machtposit­ion gefährden.

Ironie der Geschichte: Ihr Vater Aung San, Nationalhe­ld und Freiheitsk­ämpfer war Vorkämpfer für die Unabhängik­eit des damaligen Burma von Großbritan­nien. Er hatte den Rohingya bereits damals Gleichbere­chtigung versproche­n. Ob er das hätte politisch durchsetze­n können, bleibt offen. Er wurde 1947 zusammen mit seinem Bruder und fünf weiteren Weggefährt­en während einer Kabinettss­itzung in Rangun erschossen. 1948 wurde das Land von Großbritan­nien unabhängig.

Die Rohingya zählen zu den

am stärksten verfolgten Völkern der Welt. In Myanmar werden sie nicht als

Ethnie anerkannt

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