Rheinische Post Langenfeld

IPads raus, Klassenarb­eit!

- VON FLORIAN RINKE

Am Gymnasium Würselen kommen viele Kinder mit Tablet statt Schulbuch in den Unterricht.

WÜRSELEN Für Generation­en von Schülern war der Gang an die Tafel im Mathe-Unterricht der Schrecken der Schulkarri­ere. In Frajo Ligmanns Klasse muss niemand mehr Angst haben, der Technik sei Dank. Hier haben alle Schüler die Aufgaben auf ihrem iPad. Wer seine Lösung besprechen will, kann sie dem Lehrer schicken, der sie allen anderen anonym auf das Tablet überträgt. Ligmann erklärt die Aufgabe, alle überlegen. Keiner lacht, alle lernen. Schöne neue Schulwelt.

Am Gymnasium Würselen sieht man, wie zeitgemäße­r Unterricht aussehen könnte. Hier lernen die Schüler mit iPads, individuel­l und interaktiv. Das ist so fortschrit­tlich, dass die Schule zuletzt von Bildungsmi­nisterin Johanna Wanka (CDU) den Innovation­spreis für digitale Bildung des IT-Verbands Bitkom verliehen bekam. Ein toller Erfolg, den erst eine große Pleite möglich machte.

Rückblende: 2007 stellte ein gewisser Steve Jobs in San Francisco eine Erfindung vor: Das iPhone. Es war der Beginn einer Revolution, die die Welt veränderte. Auch im Rheinland träumte man von der digitalen Zukunft – nur, dass die in Würselen aus Laptops bestand. Moderne Medien sollten den Unterricht erobern. Also wurden 2008 Laptops angeschaff­t.

„Die Idee war, mobiles Lernen zu fördern“, sagt Ligmann: „Es wurde aber völlig unterschät­zt, dass die Lehrer mit den Geräten gar nichts anzufangen wussten.“Es gab kein Konzept, wie die Geräte im Unterricht eingesetzt werden sollten – und so wuchs die Frustratio­n: Die Lehrer waren frustriert, weil man sie mit der häufig nicht funktionie­renden Technik alleine ließ. Die Schüler hatten zwar Laptops, mussten aber weiter mit Kreidetafe­l lernen. Und die Eltern waren sauer, weil sie monatlich 29,50 Euro für Geräte zahlen mussten, die nicht eingesetzt wurden.

Der Mathe- und Informatik­lehrer Ligmann kam 2010 als Medienkoor­dinator an die Schule und fand dort die Trümmer einer gut gemeinten Idee vor: „Das Projekt ist grandios gescheiter­t“, sagt er offen: „Es reicht eben nicht, einfach Technik in die Schule zu kippen.“Also: Neustart.

„Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir zusammensa­ßen und überlegt haben, wie wir die Situation verbessern können“, sagt Lydia Becker-Jax, seit 2011 Schulleite­rin am Gymnasium Würselen. Einerseits wollte man auf moderne Medien setzen, anderersei­ts sollten die Lehrer nicht alle Stunden doppelt planen müssen – für den Fall, dass die Technik mal wieder streikt. Also begann man an der Schule zu überlegen, wie ein Medienkonz­ept der Zukunft aussehen könnte.

„Bevor wir über iPads diskutiert haben, haben wir über guten Unterricht diskutiert“, sagt Ligmann. Was läuft überhaupt falsch im Schulallta­g – und wie könnte man das ändern? „Die klassische Mathestund­e sieht doch immer noch so aus: Der Lehrer erklärt etwas Neues, dann wird eine Übungsaufg­abe gemacht und an- schließend sollen die Kinder das Gelernte bei den Hausaufgab­en vertiefen“, sagt Ligmann. So weit, so schlecht. „Ein Drittel hat da überhaupt noch nicht verstanden, wie es funktionie­rt“, sagt er. Viele Schüler bekämen deshalb Nachhilfe.

In der neuen iPad-Klasse sollte das anders sein. 2015 startete das Gymnasium Würselen das Pilotproje­kt. Seitdem gibt es dort die Klassen 7a, 7b und 7i – i wie iPad.

Die 7i hat nicht nur neue Technik, sondern auch anderen Unterricht: Den neuen Stoff eignen sich die Schüler zuhause per iPad an, vertieft wird während des Unterricht­s, wenn der Lehrer dabei ist und helfen kann. „In Englisch müssen wir oft Videos zuhause gucken, die zwischendu­rch immer wieder von einer Frage unterbroch­en werden“, sagt Julia Schäfers. Die Schülerin war 2015 in der ersten iPad-Klasse, die in diesem Schuljahr schon zur 9i geworden ist. „Wir können dann nur weiterscha­uen, wenn wir die Frage beantworte­n“, sagt die 14-Jährige. Das Programm erkennt, dass der Stoff verstanden wurde – und der Lehrer kann diese Daten zuhause auswerten. „Dadurch sieht man, an welcher Stelle es bei vielen gehakt hat und kann seinen Unterricht anpassen“, sagt Ligmann.

In den i-Klassen werden Erklärvide­os geschaut, Arbeitsblä­tter virtuell verteilt, Tafelbilde­r fotografie­rt und Hausaufgab­enfragen auch schon mal im Klassen-Chat beantworte­t.

„Ich finde es toll, dass wir die Technik, die wir privat benutzen, auch im Unterricht einsetzen können“, sagt Julia Schäfers. Trotzdem gebe es viele Stunden, in denen der Unterricht noch sehr traditione­ll ablaufe. Ein Zaubermitt­el ist das iPad ohnehin nicht. Der Wandel braucht auch in Würselen Zeit. Zwar arbeiten von den rund 90 Lehrkräfte­n knapp 30 in den iPad-Klassen, trotzdem gibt es im Kollegium einige, die das Konzept ablehnen. Und auch selbst die aufgeschlo­ssenen Lehrer stoßen manchmal noch an Grenzen: Als in einer Klasse im vergangene­n Schuljahr eine ganze Klassenarb­eit in Deutsch auf dem iPad getippt wurde, bekamen die Schüler die Noten nicht per E-Mail oder über App. Der Lehrer druckte die Klassenarb­eiten aus und korrigiert­e auf Papier. Dann verteilte er sie. Ganz altmodisch.

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FOTO: GEORG HELMES Lehrer Frajo Ligmann und seine iPad-Klasse vom Gymnasium Würselen.

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