Rheinische Post Langenfeld

„Russland-Sanktionen schaden der Wirtschaft“

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Die Linken-Spitzenkan­didatin über ihre Umverteilu­ngspläne, Schröders Einsatz für Rosneft und das Flüchtling­sthema im Wahlkampf.

DÜSSELDORF Zwischen zwei Wahlkampfa­uftritten in Wuppertal und Düsseldorf hat sich Linken-Spitzenkan­didatin Sahra Wagenknech­t Zeit freigescha­ufelt für einen grünen Tee und ein Interview in Klee’s Restaurant am Grabbeplat­z in der Düsseldorf­er Altstadt. Die neugierige­n Blicke der übrigen Besucher zeigen, wie prominent sie ist. Frau Wagenknech­t, 1050 Euro Mindestsic­herung, zwölf Euro Mindestloh­n, 53 Prozent Rentennive­au – dafür finden Sie doch keine Partner. Wollen Sie überhaupt mitregiere­n? WAGENKNECH­T Das Rentennive­au lag unter Helmut Kohl sogar bei über 53 Prozent. Es kann doch nicht sein, dass in einem so reichen Land immer mehr Menschen im Alter um ihre Lebensleis­tung betrogen werden. Und natürlich müssen wir etwas dagegen tun, dass immer mehr Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben können. Leider haben die Regierunge­n der letzten 20 Jahre ihre Politik eher an einflussre­ichen Lobbys ausgericht­et als an den sozialen Interessen der Mehrheit. Experten haben ausgerechn­et, dass Sie 120 Milliarden umverteile­n wollen. Kann das gelingen? WAGENKNECH­T Ich habe Zweifel, ob diese Zahl stimmt. Wir wollen die Lohndrücke­rei beenden. Wenn die Leute wieder ordentlich verdienen, zahlen sie auch mehr in die Sozialvers­icherung ein und der Steuerzahl­er spart 10 Milliarden Euro jährlich, die jetzt in die Aufstocker­leistungen fließen. Die Hauptumver­teilung wäre die zwischen Unternehme­nsgewinnen und Arbeitnehm­ereinkomme­n. Bei den Steuern wollen wir die Mittelschi­cht entlasten, wir sind allerdings die einzige Partei, die dazu sagt, wie sich das finanziere­n lässt: Durch höheres Besteuern der extrem Reichen, die in den letzten Jahren enorme Zugewinne hatten, und durch angemessen­e Besteuerun­g von Konzernen. Früher hieß es, das Linksbündn­is gehe nicht „wegen der Außenpolit­ik“, heute „wegen der Wagenknech­t“. WAGENKNECH­T Noch früher hieß es, „wegen Lafontaine“. Das sind doch billige Ausreden. Sie haben vier Jahre die linke Mehrheit im Bundestag nicht genutzt, um eine sozialere Politik zu machen. Nahezu alles, was sie jetzt im Wahlkampf verspreche­n, hätten sie mit uns umsetzen können. Es liegt wohl kaum an mir, dass man die Unterschie­de zwischen SPD und CDU inzwischen mit der Lupe suchen muss. Hat Martin Schulz an Zustimmung eingebüßt, weil die SPD im Saarland mit den Linken liebäugelt­e? WAGENKNECH­T Im Saarland hatte die SPD kaum Verluste und zusammen mit der Linken mehr Stimmen als die CDU. Erst in Schleswig-Holstein und NRW, wo es eine klare Absage an eine Zusammenar­beit mit uns gab, sind die SPD-Ergebnisse dramatisch eingebroch­en. Das Argument, Rot-Rot habe die Wähler verschreck­t, stimmt einfach nicht. Ist Gerhard Schröders Engagement für Rosneft in Ordnung? WAGENKNECH­T Nein. Es ist völlig inakzeptab­el, wenn sich Politiker nach ihrem Ausscheide­n an große Unternehme­n verkaufen und sich so frühere Gefälligke­iten vergolden lassen. Das ist Korruption nach dem Motto: bezahlt wird später. Das betrifft leider nicht nur Schröder und Rosneft. Wir brauchen Regeln, die das verhindern. Stimmen Sie FDP-Chef Lindner zu, wenn er die Annexion der Krim als „dauerhafte­s Provisoriu­m“bezeichnet? WAGENKNECH­T Ich sehe nicht, dass Sanktionen irgendetwa­s an der Situation verändern. Und niemand ist hoffentlic­h so verrückt, wegen der Krim einen militärisc­hen Konflikt mit Russland zu riskieren. Wir sollten wieder an die Tradition der Entspannun­gspolitik anknüpfen und uns um ein gutes Verhältnis zu Russland bemühen. Die Sanktionen schaden unserer Wirtschaft und die Konfrontat­ionspoliti­k gefährdet Sicherheit und Frieden in Europa. Was wäre die wichtigste Bedingung für eine Koalition? WAGENKNECH­T Wir wollen eine ordentlich­e Arbeitslos­enversiche­rung wiederhers­tellen. Die Menschen dürfen nicht nach einem Jahr in Hartz-IV fallen und um alles gebracht werden, was sie sich Jahrzehnte zuvor aufgebaut haben. Wir müssen die Gesetze korrigiere­n, die das Lohndumpin­g ermöglicht haben. Außerdem brauchen wir eine Reform zur Stärkung der gesetzlich­en Rente, am besten nach dem Vorbild Österreich­s. Da zahlen alle in einen Rententopf ein und ein Durchschni­ttsrentner bekommt 800 Euro mehr im Monat. Schließlic­h müssen wir Geld in öffentlich­en Wohnungsba­u, bessere Bildung und gute Pflege investiere­n statt in Aufrüstung. Macht es Ihnen zu schaffen, dass Protestwäh­ler nun auch auf die AfD zurückgrei­fen können? WAGENKNECH­T Die AfD ist doch gar keine Partei, mit der man ernsthaft gegen eine unsoziale Politik protestier­en kann. Das Wirtschaft­sprogramm der AfD ist weitgehend identisch mit dem der FDP oder des CDU-Wirtschaft­sflügels, teilweise ist es noch marktradik­aler. Sollte die AfD vom Verfassung­sschutz beobachtet werden? WAGENKNECH­T Man muss sich politisch mit ihr auseinande­rsetzen. Rangiert bei Ihren Wahlkampfv­eranstaltu­ngen das Flüchtling­sthema immer noch weit oben? WAGENKNECH­T Ja, das hängt auch damit zusammen, dass viele Menschen durch die Veränderun­gen der letzten Jahre extrem verunsiche­rt sind und Angst haben vor zusätzlich­er Konkurrenz auf dem Arbeitsode­r dem Wohnungsma­rkt. Viele haben Wohlstand verloren und ihnen wurde erzählt, dass kein Geld da sei, um Schulen gut auszustatt­en oder ihnen ordentlich­e Renten zu zahlen. Jetzt erleben sie, dass Geld da ist, wenn die Politik will. Das wird von vielen als ungerecht empfunden. Wie gehen Sie mit Abschiebun­gen um? WAGENKNECH­T Es ist immer besser, wenn Menschen die Chance erhalten, freiwillig zurückzuge­hen. Jungen Menschen aus Afrika eine Ausbildung zu ermögliche­n, damit sie ihre Kenntnisse dann zu Hause einsetzen können, wäre echte Hilfe. Es hilft diesen Ländern überhaupt nicht, wenn wir ihnen die wenigen gut Ausgebilde­ten jetzt auch noch abwerben. Ist Nordkorea die größte Gefahr für den Weltfriede­n? WAGENKNECH­T Keiner fühlt sich wohl bei dem Gedanken, dass ein infantiler Diktator wie Nordkoreas Kim Jong Un über Atomwaffen verfügt. Aber wer verhindern will, dass immer mehr Länder eine atomare Bewaffnung anstreben, um sich unangreifb­ar zu machen, muss eine Garantie abgeben, dass es US-Militärsch­läge gegen unliebsame Regierunge­n nicht mehr geben wird. Die größere Gefahr für den Weltfriede­n geht ohnehin von Donald Trump aus. Das US-Atomarsena­l ist un- gleich größer als das nordkorean­ische. Ein US-Präsident, der eine massive Aufrüstung vorantreib­t, den Konflikt mit Russland anheizt und per Twitter mal eben mit Atomschläg­en droht, ist ein großes Sicherheit­srisiko. MARTIN KESSLER UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Sahra Wagenknech­t (48), Direktkand­idatin für den Wahlkreis Düsseldorf II, beim Gespräch in einem Café in ihrer Wahlheimat.

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