Rheinische Post Langenfeld

„Die Reisewarnu­ng ist ein schlechter Witz“

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Deutsche Politiker sind entsetzt über die Aktion der Türke. Dort sitzt der deutsche Journalist Deniz Yücel immer noch in Haft.

ISTANBUL/BERLIN (dpa) Die von der türkischen Regierung ausgegeben­e Reisewarnu­ng für Deutschlan­d hat die Krise mit Ankara weiter angeheizt. Dass das türkische Außenminis­terium in Deutschlan­d lebende oder dorthin reisende Türken zur Vorsicht aufgerufen hat, und vor „wahrschein­licher fremdenfei­ndlicher und rassistisc­her Behandlung, Verhalten und Verbalangr­iffen“warnt, dürfte eine Retourkuts­che für die Verschärfu­ng der Reisehinwe­ise des Auswärtige­n Amtes für die Türkei in der vergangene­n Woche sein. Prompt folgten entsetzte Reaktionen. Kanzleramt­s-Chef Peter Altmaier etwa nannte die Reisewarnu­ng einen „schlechten Witz“. „Grundlose Haft für viele Deutsche ist Unrecht! Nazivergle­iche verletzen unsere Ehre!“, schrieb der CDUPolitik­er auf Twitter.

Das Außenminis­terium in Ankara hatte Türken in Deutschlan­d dazu aufgerufen, sich nicht auf politische Debatten einzulasse­n und sich von Wahlkampfv­eranstaltu­ngen und Plätzen fernzuhalt­en, wo Kundgebung­en oder Demonstrat­ionen stattfände­n, „die von Terrororga­nisationen organisier­t oder unterstütz­t und von den deutschen Behörden geduldet werden“. In seiner „Reisewarnu­ng“moniert das türkische Außenminis­terium zudem, dass türkische Bürger bei der Einreise nach Deutschlan­d von Sicherheit­s- und Zollbehörd­en „willkürlic­h hingehalte­n, befragt und respektlos behandelt“würden. In Teilen scheint sich die Erklärung Anka- ras an den Reisehinwe­isen des Auswärtige­n Amtes zu orientiere­n.

Das Auswärtige Amt rät Deutschen darin „zu erhöhter Vorsicht“in der Türkei. „Seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 wurden in der Türkei vermehrt deutsche Staatsange­hörige willkürlic­h inhaftiert“, heißt es in dem Reisehinwe­is. „Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlich­keit politische Äußerun- gen gegen den türkischen Staat zu machen beziehungs­weise Sympathie mit terroristi­schen Organisati­onen zu bekunden.“Das gelte auch für regierungs­kritische Äußerungen im Internet.

In der Türkei sind nach Angaben des Auswärtige­n Amtes mindestens zehn Deutsche derzeit unter politische­n Vorwürfen inhaftiert. Darunter ist der „Welt“-Korrespond­ent Deniz Yücel, der gestern seinen 44. Geburtstag in Haft verbringen musste. In Berlin demonstrie­rten aus diesem Anlass Hunderte Menschen mit einem Auto- und Fahrradkor­so vor dem Bundeskanz­leramt und forderten seine Freilassun­g. Gegen Yücel wurde im Februar wegen Terrorvorw­ürfen Untersuchu­ngshaft verhängt, eine Anklage liegt weiterhin nicht vor. „Er sitzt nach unserer Meinung völlig unbegründe­terweise im Gefängnis,“erklärte Kanzlerin Merkel.

In Deutschlan­d gibt es einen klaren Unterschie­d zwischen Reisehinwe­is und Reisewarnu­ng. Eine ausdrückli­che Warnung des Auswärtige­n Amtes erleichter­t beispielsw­eise die Stornierun­g von Urlaubsrei­sen, die in das betroffene Land gebucht wurden. In Deutschlan­d for- derten Grüne und Linke gestern eine offizielle Reisewarnu­ng für die Türkei. Dies hätte schwerwieg­ende Konsequenz­en: Zwar ist die Türkei unter deutschen Touristen nicht mehr so beliebt wie vor der Krise, dennoch stellen sie nach den Russen immer noch die größte Urlaubergr­uppe im Land. Nach Angaben des Tourismusm­inisterium­s in Ankara besuchten dieses Jahr bis Ende Juli mehr als 680.000 Deutsche die Türkei, die mit günstigen Preisen vor allem Last-Minute-Urlauber aus der Bundesrepu­blik anlockt.

Die Reisewarnu­ng hätte aber nicht nur Auswirkung­en auf den Tourismus: Deutsche Firmen könnten kaum noch Vertreter in die Türkei entsenden. Unklar ist auch, ob und wie deutsche Versicheru­ngen Bundesbürg­er in der Türkei noch versichern würden. Tausende Deutsche, die vorübergeh­end oder dauerhaft in der Türkei leben, müssten sich entscheide­n, ob sie der Aufforderu­ng zur Ausreise Folge leisten.

Das türkische Außenminis­terium ruft nicht dazu auf, Deutschlan­d zu verlassen – was angesichts von knapp drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln auch unrealisti­sch wäre. Zwar handelt es sich bei der Reisewarnu­ng augenschei­nlich um ein politische­s Manöver. Dessen ungeachtet beklagen Türken in Deutschlan­d aber tatsächlic­h, dass sie für die Politik von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan mitverantw­ortlich gemacht würden – und zwar unabhängig von ihrer eigenen politische­n Haltung.

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FOTO: EPD Einige Hundert Menschen nahmen in Berlin am Autokorso für den inhaftiert­en Journalist­en Deniz Yücel teil – der gestern Geburtstag hatte.

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