KULTURTIPPS
Endspurt für Münsters Skulpturenausstellung Das sehr schöne neue Album von The National Ein finnischer Spaß beginnt beim Zahnarzt
Freiluft-Schau Wer sich bis jetzt nicht die 35 Skulpturen in Münster angesehen hat, muss sich beeilen. Am 1. Oktober endet die fünfte sensationelle Freiluft-Schau von ungewöhnlichen Kunstwerken und -aktionen. Egal, ob es die von Gregor Schneider gestaltete Wohnung am LWL-Museum ist, der elefantenähnliche rostige „Nuclear-Temple“von Thomas Schütte am Aasee, der begehbare Steg im Hafen, der witzige Videofilm mit deutschen Schlagersternchen in der schrägen Diskothek „Elephant“am Roggenmarkt oder das Tattoostudio, in dem sich über 65-Jährige ein Gratis-Tatoo stechen lassen können: Alle Werke lohnen einen Besuch. Einiges kann man in der Stadt zu Fuß erledigen, einiges mit dem Auto, es gibt aber auch geführte Radtouren mit Leihrädern. Und wer denkt, „das mache ich nächstes Jahr“, sollte sofort los nach Münster: Die nächste Skulpturen-Ausstellung findet erst wieder 2027 statt. ak Rock Ach, das ist jetzt die Zeit im Jahr, in der die Grundwärme verschwindet und man leicht friert und sich nicht sicher sein kann, ob das Kribbeln in der Nase schon erstes Anzeichen einer schweren Erkältung ist. Man braucht jedenfalls viel Milch mit Honig in diesen Tagen voller Wind und Nieselregen, vor allem im übertragenen Sinn, und die allerherrlichste Platte für den emotional aufreibenden Transit in den Herbst ist passenderweise gerade erschienen: „Sleep Well Beast“von The National ist so etwas wie eine akustische Übergangsjacke.
Die Gruppe um den charismatischen Sänger Matt Berninger neigte immer schon der Schwermut zu, mancher nennt sie die amerikanischen Radiohead. Vielleicht sind sie genau deshalb die Lieblingsband Barack Obamas – der kennt sich ja aus mit den Freuden der Vergeblichkeit. Während The National sich auf ihren ersten sechs Platten aber immer mal Luft machten, indem sie wütend losrockten und die dunklen Wolken einfach wegpusteten, ist das neue Album „Sleep Well Beast“ein einziger langer Seufzer. The National sehen den Blättern beim Fallen zu, der erste Song kommt überhaupt erst mit 20-sekündiger Verzögerung ans Laufen, und so schön gemurmelt wie hier hat Matt Berninger selten. Genau genommen at- Literatur Im Zahnarztstuhl entwickelt kein Mensch wohlige Gefühle. Wenn dann auch noch existenzielle Gedanken dazukommen, dann wird die Angelegenheit fatal. Der Finne Pekka wird beim Doktor, der gerade in seinen Zähnen herumfuhrwerkt, die Verwunderung darüber nicht los, dass dieser Dentist ihm selbst auf merkwürdige Weise ähnlich sieht. Als dem das ähnlich geht, machen sich beide als kurioses Halbbrüderpaar auf eine wundersame Entdeckungsreise um die Welt, begeben sich auf die Suche nach ihrer Heimat, ihren Wurzeln, ihrer Identität, alles unter dem Motto: Wie konnte das passieren? Der finnische Schriftsteller und Journalist Miika Nousiainen hat jetzt sein Deutschland-Debüt gegeben; der Roman heißt ebenso humorvoll wie das ganze Buch es ist: „Die Wurzel alles Guten“. In Finnland war der Roman ein durchschlagender Erfolg und wird dort derzeit verfilmt. Nousiainen ist zu wünschen, dass er hier Wurzeln schlägt. w.g. met er lediglich aus, aber mit Klavierbegleitung.
Berninger hat die Texte mit seiner Frau Carin Besser geschrieben, die beim Ostküsten-Magazin „New Yorker“arbeitet. Sie handeln vom Leid der mittleren Jahre, von den HaarRissen im Alltagsglück. Nicht die großen Katastrophen sind Thema, sondern Details. Die untergründigen Spannungen in der Ehe. Die ge- dehnte Zeit. Das Grau. Und das allgemeine Druckgefühl im Magenraum. Manchmal wehen Jugenderinnerungen vorüber, etwa an den Sonnenbrand auf dem Arm der Mutter, damals im Urlaub in den 80er Jahren. Unter dem Gesang im wunderbaren „Guilty Party“pluckert Elektronik, manche Stücke sind sanft orchestriert, und in „Dark Side Of The Gym“hört man im Background Elfen singen.
Einen Hitsong gibt es nicht auf „Sleep Well Beast“, das klassische Songschema halten The National selten ein. Es geht ihnen um Atmosphäre. Melancholie kann so wohltuend sein. Philipp Holstein