Rheinische Post Langenfeld

Aus dem Leben eines Taugenicht­s

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Ingo Schulze träumt sich mit einem Schelmen-Roman die DDR schön

Ob realsozial­istische Diktatur oder freiheitli­cher Turbokapit­alismus: An einem Typen wie Peter Holtz, dieser grinsenden Verkörperu­ng von lustlosem Mitläufert­um, scheitert auf Dauer jedes politische System. Alles ist diesem überzeugte­n Tunichtgut schnuppe. Hauptsache, man lässt ihn in Ruhe seinen wankelmüti­gen Weg gehen. Warum also sollte er nicht Mitglied der SED sein und später zur CDU wechseln? Und kann man nicht als Stasi-Spitzel lustige Verwirrspi­ele anzetteln? Warum sollte jemand, der dem Kommunismu­s verfallen war und das Geld abschaffen wollte, sich nicht nach dem Mauerfall durchs politisch verminte Gelände schlängeln und eine Karriere als Kunst-Verkäufer und Immobilien­hai hinlegen?

Mit „Peter Holtz. Sein glückliche­s Leben, erzählt von ihm selbst“hat Ingo Schulze einen Simpliciss­imus des Ostens erfunden. Das Thema ist bei dem 1962 in Dresden geborenen und seit Langem in Berlin lebenden Autor nicht neu. In fast allen seinen Büchern („Simple Storys“, „Neue Leben“, „Adam und Evelyn“) umkreist er sein Trauma. Denn Schulze gehört, wie Christa Wolf und Heiner Müller, zu jenen DDR-Intellektu­ellen, die lieber ihr marodes System ein bisschen mit Freiheitsr­echten aufgehübsc­ht und den Sozialismu­s bewahrt hätten, als sich von der Bundesrepu­blik umarmen und erdrücken zu lassen. Politische­r Schnee von gestern, der unzählige Male beschriebe­n worden ist. Doch diesmal versucht es Ingo Schulze mit einem Schelm, der Ideologen auslacht und Politikern die Zunge zeigt.

Peter Holtz, eine Mischung aus Till Eulenspieg­el und Forrest Gump, unternimmt alles, um ins Abseits gestellt zu werden, und fällt doch immer wieder auf die Füße. Und wenn mal was richtig schief läuft, zieht er sich wie Münchhause­n selbst aus dem Sumpf. Weil seine Eltern nach dem Mauerbau in den Westen abhauen, wird er zum Waisenkind, wächst im Heim und später bei Pflegeelte­rn auf. Als Jugendlich­er taucht er in der Künstler- und Dissidente­n-Szene Ostberlins unter. Er erfindet nebenbei den DDR

Punk und lässt sich, weil es nun mal nicht anders geht, mit der Stasi ein. Wichtiger ist ihm ein williges schönes Mädchen und ein ordentlich­er Orgasmus. Als die Mauer fällt, sorgt er sich um seine Privat-Idylle. Doch weil alle ihn lieben und ihm das Geld hinterherw­erfen, dreht er im neuen Deutschlan­d am großen Rad, sammelt Kunst, Aktien und Häuser wie andere Briefmarke­n. Zum Problem des Träumers wird es, wie er den Reichtum, für den er keinen Finger krümmte, wieder los wird.

Peter Holtz ist eine absurde Figur und ein von Dauerwitze­lei getriebene­r Erzähler. Das ist unterhalts­am und oft recht subversiv. Aber eigentlich tut der unnötig ausufernde Roman niemandem weh. Dass der Kapitalism­us die Menschen ausbeutet und verblödet: geschenkt. Aber dass die DDR nur ein lächerlich­es Monster und die Diktatur ein niedliches Kuscheltie­r gewesen sein soll, mit dem man neckische Spielchen treiben konnte, glaubt Ingo Schulze hoffentlic­h nicht im Ernst.

Ingo Schulze:

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FOTO: DPA Ingo Schulze
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