Rheinische Post Langenfeld

Partei ohne Eigenschaf­ten

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Das Gerücht lief nur eine knappe Stunde durchs Regierungs­viertel: Die CSU erwäge, die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU aufzukündi­gen, hieß es. Sollten die Chefs der Schwesterp­arteien, Angela Merkel und Horst Seehofer, nach zwei Jahren Streit über die Obergrenze und einer verlustrei­chen Bundestags­wahl nun getrennte Wege gehen? Schon in den vergangene­n Monaten war immer mal wieder von einer Trennung die Rede. Am Ende kamen beide Seiten aber stets zu dem Schluss, dass machtpolit­isch eine Union besser ist, als getrennt zu marschiere­n.

Noch am Vormittag stimmte der CSUVorstan­d dann zu, erneut eine Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU zu bilden. Allerdings ist die Kuh damit noch nicht vom Eis. Die CSU fordert eine inhaltlich­e Erneuerung der Union insgesamt. Bevor die Christsozi­alen in die Sondierung­en für eine Jamaika-Koalition einsteigen, wollen sie ihren künftigen Kurs mit der CDU klären, wie es aus Parteikrei­sen hieß: „Da geht es darum, was für eine Union wir sein wollen, insbesonde­re auch eine Partei für die Wert- und Nationalko­nservative­n.“

Bei den Gremiensit­zungen der CDU klang das freilich anders. Die Kanzlerin wirkte nach Teilnehmer­angaben nachdenkli­ch. Von sich aus thematisie­rte sie, dass sich viel des Protests auch an ihrer Person manifestie­rte. Die Mitglieder des Präsidiums und des Vorstands hatten auch die Wahlanalys­en auf dem Tisch. Eine Million Wähler sind von der CDU zur AfD gewandert. An die Liberalen haben die Christdemo­kraten 1,3 Millionen Wähler abgeben müssen.

Diese Zahlen nennt Merkel auch später in ihrer Pressekonf­erenz. Sie fügt hinzu, sie wolle die Wähler der AfD „durch gute Politik“zurückgewi­nnen. „Wo Probleme auftauchen, müssen wir sie auch lösen.“Diese Sätze sind typisch Merkel: Ein Problem lösen, wenn es sich stellt. Eine neue strategisc­he Gesamtausr­ichtung hat sie nicht im Blick. Vielmehr soll eine Klausurtag­ung der Partei nach der Niedersach­senwahl Mitte Oktober reichen, um das zweitschle­chteste Ergebnis der CDU zu analysiere­n.

In der Partei gibt es – mal wieder – zwei Denkschule­n, ob dies die richtige Strategie ist. Merkels Vertraute verteidige­n den Kurs. Es brauche eine stabile Regierung, und dafür brauche es eine stabile Partei. Personelle Veränderun­gen, wie beispielsw­eise ein neuer Fraktionsc­hef oder ein neuer Generalsek­retär, würden den eigenen Laden nur destabilis­ieren.

Vor dem Hintergrun­d, dass es am Vormittag noch Gerüchte gab, die CSU könne die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU auflösen, ist die geplante Wiederwahl von Fraktionsc­hef Volker Kauder heute Nachmittag ein gelungenes Signal der Stabilität und ein erster Schultersc­hluss von CDU und CSU in Richtung einer gemeinsame­n Regierung.

Die zweite Denkschule in der Partei sieht das anders. Es sind genau jene Kräfte, die auch während der Zeit der hohen Umfragewer­te von SPD-Chef Martin Schulz zu Beginn des Jahres die Kanzlerin drängten, in die Offensive zu gehen. Merkel aber behielt die Nerven und am Ende recht mit ihrer Strategie, der SPD den Punkt zu gönnen und die Umfragewer­te sich von alleine wieder drehen zu lassen. Das heißt aber nicht, dass diese Taktik auch in der Frage der Erneuerung der Partei funktionie­ren wird. „Wir müssen schon das Signal aussenden, dass wir verstanden haben“, sagt ein führendes CDU-Mitglied.

Die CDU wird aufpassen müssen, sich nicht aufzureibe­n in einem Jamaika-Bündnis mit einer sich auf die Nationalko­nservative­n besinnende­n CSU, einer enorm selbstbewu­ssten FDP und Grünen, die auf ihren linken Parteiflüg­el Rücksicht nehmen müssen. Sie könnte in einem solchen Bündnis die Partei ohne Eigenschaf­ten werden. Im-

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat keine strategisc­he Neuausrich­tung ihrer

Partei im Blick

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