Merkel regiert zunächst unbegrenzt weiter
Die alte Bundesregierung bleibt vorerst im Amt. Wie es jetzt weitergeht im neuen Bundestag.
BERLIN „Ab sofort“, meinte SPDChef Martin Schulz am Wahlabend, sei die Zusammenarbeit mit CDU und CSU beendet. Später korrigierte er sich, dass die SPD vertragstreu die Regierungsgeschäfte bis zum letzten Tag erfüllen werde. Das aber kann noch lange dauern.
Denn vorerst bleibt die schwarzrote Bundesregierung voll handlungsfähig im Amt. Erst wenn binnen 30 Tagen nach der Wahl, also bis zum 24. Oktober, der neu gewählte Bundestag erstmals zusammengetreten ist, wird aus Merkels Kabinett eine „geschäftsführende“Regierung, und zwar auf Ersuchen des Bundespräsidenten. Und die geht ebenfalls ganz normal ihren Aufga- ben nach, als wäre nichts geschehen – theoretisch unbegrenzt. Denn Merkel muss erst einem Kanzler weichen, wenn der neue Bundestag dafür eine absolute Mehrheit gefunden hat. Die steht allerdings noch in den Sternen. Doch hofft Merkel freilich, dass sie das selbst sein wird.
Wenn die SPD auf dem langen Weg bis dorthin jedoch die Nerven verliert und ihre Minister doch schon aus dem Kabinett zurückzieht, kann Merkel sie nicht einfach durch andere ersetzen. Dann müssten amtierende Minister die Ressorts der ausgeschiedenen Kollegen mitverantworten.
Die Gesprächsangebote an SPD, FDP und Grüne hat Merkel gestern auf den Weg gebracht. Am Samstag entscheiden die Grünen bei einem kleinen Parteitag (Länderrat), ob sie in Sondierungen und Verhandlungen einsteigen. Dann wird über Wochen und Monate hinweg in zahlreichen Verhandlungsgruppen der Weg zur Verständigung gesucht. Grüne und FDP haben sich bereits festgelegt, über das Ergebnis erst die Mitglieder entscheiden zu lassen, bevor sie einen Koalitionsvertrag unterschreiben. Merkel hofft, bis Weihnachten eine neue Regierung stehen zu haben.
Als erste startete gestern die FDP mit den neuen Strukturen des Bundestages. Da es für sie noch keine Räume gibt, vollzog sie die Konstituierung ihrer 80-köpfigen Fraktion in der Parteizentrale, und zwar demonstrativ in Saal 1 des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses und damit genau an der Stelle, an der die FDP 2014 die Schritte zum Wiedereinzug ins Parlament beschloss.
Die Ankündigung von Partei- und Fraktionschef Christian Lindner, „in der Mitte des Bundestages Platz nehmen“zu wollen, meint die FDP durchaus wörtlich. Sie will verhindern, neben der vermutlich ganz links (vom Redepult aus äußerst rechts) platzierten AfD zu sitzen. Nach den Attacken von Grünen und Union im Wahlkampf auf die FDP wäre das ein willkommenes Signal für ein Zusammenrücken, hieß es zur Begründung. Aber auch die Union hat wenig Neigung, direkt neben der AfD zu sitzen. Die Entscheidung fällt der sogenannte Vor-Ältestenrat, in dem eine künftige Jamaika-Koalition die Mehrheit hätte.