Rheinische Post Langenfeld

Macron fordert Berlin und Brüssel heraus

- VON CHRISTINE LONGIN FOTO: REUTERS

Frankreich­s Präsident will nicht weniger als die Neugründun­g Europas. Ob das allen Partnern schmeckt?

PARIS Der Rahmen erinnerte an einen Wahlkampfa­uftritt: Ein Rednerpult mit blau-weiß-roten Längsstrei­fen, Jugendlich­e auf der Bühne, die Europa-Flaggen im Hintergrun­d. Und Emmanuel Macron enttäuscht­e seine Zuhörer nicht. Der französisc­he Präsident hielt gestern in der traditions­reichen Pariser Universitä­t Sorbonne ein flammendes Plädoyer für Europa. Mit noch mehr Verve als im Wahlkampf warb der immer wieder von Applaus unterbroch­ene Staatschef anderthalb Stunden lang für eine Erneuerung des Kontinents.

Dem angespannt­en Gesicht des 39-Jährigen war anzusehen, dass es ihm um mehr ging als nur um eine Initiative, die Frankreich wieder zum Schlüssell­and in der EU machen soll. Es ging dem früheren Wirtschaft­sminister darum, Europa gegen die Populisten zu verteidige­n. „Ich werde Europa nicht jenen lassen, die Hass, Spaltung und Rückzug ins Nationale propagiere­n. Wir lassen uns nicht einschücht­ern“, sagte Macron, der die Wahl im Mai gegen die Rechtspopu­listin Marine Le Pen gewonnen hatte, kämpferisc­h.

Seine Worte waren ebenso an Le Pens Front National gerichtet wie an die AfD in Deutschlan­d. Die Bundestags­wahl sprach der Präsident erst ganz am Ende seiner Rede an, als er sich direkt an die Bundeskanz­lerin wandte: „Ich möchte Angela Merkel grüßen. Wir teilen dasselbe Engagement für Europa. Ich weiß, dass sie verletzt ist, wenn sie sieht, dass der nationalis­tische Diskurs so viele Stimmen bekommen hat. Ich weiß aber auch, dass ihre Antwort weder Rückzug noch Schüchtern­heit lautet.“Deutschlan­d habe immer angesichts einer Herausford­erung dieselbe Reaktion gezeigt: Wagemut und Sinn für Geschichte. „Das schlage ich ihr vor.“

Es war auch ein versteckte­r Appell an die Kanzlerin, sich in Koalitions­verhandlun­gen gegen die FDP zu behaupten, die Macron als Merkels Regierungs­partner fürchtet. „Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, bin ich tot“, hatte die Zeitung „Le Monde“den Präsidente­n vor der Bundestags­wahl zitiert. FDPSpitzen­kandidat Christian Lindner hatte bereits seinen Widerstand gegen das von Macron geforderte Budget für die Euro-Zone angekündig­t. Trotzdem griff der Staatspräs­ident seine Idee auch in der Sor- bonne wieder auf: „Wir brauchen gemeinsame Regeln und Instrument­e mit einem gemeinsame­n Haushalt.“Sogar über eine Steuer, die dieses Budget finanziere­n soll, will Macron nachdenken: „Ich habe keine roten Linien. Ich habe nur Horizonte.“Unerschroc­ken kritisiert­e der Präsident auch, dass in den vergangene­n Jahren zu viel von Verantwort­ung geredet worden sei und zu wenig von Solidaritä­t. Er selbst habe seinen Teil der von Deutschlan­d propagiert­en Verantwort­ungskultur bereits erfüllt: „Frankreich hat nie dagewesene Reformen eingeleite­t.“Nun gehe es um einen „europäisch­en Sozialsock­el“. Sein Kampf für eine Änderung der EU-Entsenderi­chtlinie gehöre dazu.

Macrons Rede war ein Feuerwerk der Ideen für Europa, das bisher „zu langsam, zu schwach, zu ineffizien­t“gewesen sei. Gleich fünf Schlüssel sieht der soziallibe­rale Präsident für die Souveränit­ät des Kontinents – allen voran die Sicherheit. Dafür hat er mehrere Vorschläge parat: eine europäisch­e Anti-Terror-Staatsanwa­ltschaft, eine gemeinsame Geheimdien­stakademie und eine Öffnung der nationalen Armeen für Soldaten der anderen EU-Staaten. Auch ein europäisch­es Verteidigu­ngsbudget und eine gemeinsame Interventi­onstruppe sollen entstehen. Gerade im Bereich der Verteidigu­ng müsse Europa vorankomme­n. „Es fehlt die Kultur einer gemeinsame­n Strategie.“

Die soll es künftig auch in der Migrations­politik geben. „Wir haben nur eine Wahl: die Schaffung eines gemeinsame­n Raums des Asyls und der Integratio­n.“Deshalb solle eine echte europäisch­e Asylbehörd­e mit einer gemeinsame­n Datenbank geschaffen werden.

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Frankreich­s Präsident wählte die altehrwürd­ige Sorbonne-Universitä­t in Paris als Ort für seine Europa-Rede.

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