Rheinische Post Langenfeld

Auf dem Weg zum Designerba­by

- VON RAINER KURLEMANN

Erstmals haben Forscher in England und den USA mit Hilfe von Gen-Scheren das Erbgut von Embryonen gezielt verändert.

LONDON Vor drei Monaten meldeten US-Forscher die ersten Erfolge, in der vergangene­n Woche legten britische Kollegen mit ihren Ergebnisse­n nach: Die Wissenscha­ft hat eine Grenze überschrit­ten. Sie sammelt ihre ersten Erfahrunge­n mit der genetische­n Veränderun­g des Erbguts in menschlich­en Embryos. Am Francis-Crick-Institut in London verwendete­n die Forscher überzählig­e Eizellen, die bereits künstlich befruchtet waren. Darin schalteten sie ein Gen aus, das an der sehr frühen Entwicklun­g des Embryos beteiligt ist. An der Oregon Science and Health University in Portland korrigiert­e eine andere Gruppe Wissenscha­ftler in Spermien einen Gendefekt, aus dem eine erblich bedingte Herzmuskel­schwäche entstehen kann. Beide Experiment­e waren im Sinne der Forscher erfolgreic­h. Die Details der Versuche sind komplizier­t, aber eine Schlussfol­gerung ist sicher gerechtfer­tigt: Der Mensch ist heute in der Lage, das Erbgut von ungeborene­n Kindern gezielt zu beeinfluss­en. Dieser Schritt öffnet den Weg zu einer neuen Therapie gegen Erbkrankhe­iten – gleichzeit­ig wächst aber auch die Sorge vor einem Designerba­by, bei dem die Eltern die Eigenschaf­ten ihrer Kinder auswählen können.

Beide Studien waren reine Laborexper­imente, die von Ethik-Kommission­en überwacht wurden. Sie dienten der Grundlagen­forschung, dem Erkenntnis­gewinn darüber, was bei der frühen Entwicklun­g eines Embryos nach der Befruchtun­g einer Eizelle passiert. Die befruchtet­en Eizellen wurden nach kurzer Zeit zerstört. Keiner der beteiligte­n Forscher beabsichti­gte, die genetisch veränderte­n Embryos in die Gebärmutte­r einer Frau einzusetze­n. Diesen Schritt zu gehen, wird sich in absehbarer Zeit auch niemand trauen, dafür sind die Verfahren noch zu unsicher. Doch geschähe es, würden die Kinder die genetische Veränderun­g an ihre Nachkommen weitergebe­n. Der Eingriff in die DNA würde durch den Eingriff in die Keimbahn von Generation zu Generation vererbt. In Deutschlan­d ist diese Forschung verboten, in vielen anderen Ländern der Welt aber nicht.

Mit der neuen Technik aus der Genforschu­ng, die in London und Portland verwendet wurde, lässt sich die DNA wie mit einer Schere an einer vorher bestimmten Stelle zerschneid­en. Während die betroffene Zelle diesen Schnitt repariert, können die Forscher ein dort befindlich­es Gen reparieren, ergänzen oder ausschalte­n. Diese Genschere trägt den wissenscha­ftlichen Namen Crispr/Cas9 und wurde in na- türlichen Bakterien entdeckt, die damit ihr eigenes Erbgut vor Virenangri­ffen schützen. Diese Form der Gen-Chirurgie hat innerhalb von fünf Jahren die Möglichkei­ten der Gentechnik revolution­iert. Viele Fachleute vermuten, dass sie in der kommenden Woche mit einem Nobelpreis ausgezeich­net wird. Aber mehrere Forschergr­uppen aus China waren im vergangene­n Jahr daran gescheiter­t, diese Technik bei menschlich­en Embryonen einzusetze­n. Viele Experten hatten des- halb vermutet, dass ein gezielter Eingriff in die menschlich­e DNA in absehbarer Zeit nicht möglich sei. Shouhkrat Mitalipov aus Portland und Kathy Niakan aus London haben nun unabhängig voneinande­r bewiesen, dass es geht.

Mitalipovs Arbeit ist deshalb bemerkensw­ert, weil die Fehlerrate bei seiner Versuchsre­ihe besonders niedrig ist. Kritiker der Genschere hatten es bisher leicht: Sie lehnten Crispr/Cas9 als unverantwo­rtbar ab, weil die Nebenwirku­ngen zu groß waren. Denn die Genschere zerschneid­et die DNA meistens nicht nur an der gewünschte­n Stelle, sondern greift auch andere Abschnitte mit einer ähnlichen Struktur an. Diese sogenannte­n Off-Target-Effekte können gravierend­e Nebenwirku­ngen erzeugen. Doch die US-Forscher haben das Verfahren verbessert und im Erbgut der 42 von ihnen verwendete­n Embryos bisher keine fehlerhaft­en Schnitte gefunden. Zudem konnten sie nachweisen, dass die gewünschte Korrektur im Erbgut in allen Zellen erfolgte, die sich während der weiteren Teilung der Eizelle bilden. Damit könnte der Einsatz der Genschere ein weitaus größeres Potential besitzen als erwartet – ein Baby unter Zuhilfenah­me der Crispr/Cas9-Technologi­e scheint möglich zu sein. Dadurch könnten Erbkrankhe­iten korrigiert werden.

Allerdings zeigte Mitalipovs Arbeit auch, dass es sehr schwierig wird, ein Designerba­by zu erzeugen. Die Forscher wollten einen Gendefekt reparieren und hatten den Spermien-Zellen dafür ein Ersatzteil angeboten. Sie erwarteten, dass die Zelle das fremde Stückchen DNA problemlos einbauen würde. Stattdesse­n wählte die Eizelle nach der Befruchtun­g vermutlich einen anderen Weg. Vereinfach­t erklärt, wurde das zerschnitt­ene Gen durch eine gesunde Variante aus dem mütterlich­en Erbgut ersetzt. Mitalipov hat damit sein Ziel erreicht, nämlich die Erbkrankhe­it aus der DNA zu eliminiere­n. Das Resultat zeigt aber auch, dass die Neigung menschlich­er Zellen, fremde DNAStückch­en aufzunehme­n, nur gering ausgeprägt ist. Ein Rückschlag also für diejenigen, die davon träumen, das Erbgut ihrer Kinder mit künstliche­r Hilfe anzureiche­rn.

Mitalipov lehnt Designerba­bys kategorisc­h ab. Er erklärt immer wieder, dass es ihm nur darum geht, Krankheite­n zu beheben, deren wahrschein­liche Ursache im Erbgut liegt. „Die Menschen, die diese Krankheite­n haben, kommen viel zu selten zu Wort“, sagt er.

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