Rheinische Post Langenfeld

Zweifel am Gelingen einer Jamaika-Koalition wachsen

- VON B. MARSCHALL, E. QUADBECK UND T. REISENER

Die Gräben zwischen CSU und Grünen in der Flüchtling­spolitik gelten als kaum überwindba­r. Die Grünen verschiebe­n ihren Parteitag.

BERLIN Nach CSU, FDP und Grünen melden nun auch CDU-Politiker Zweifel am Gelingen einer JamaikaKoa­lition an. „Wenn ich die Parteiprog­ramme von CDU/CSU, FDP und Grünen übereinand­erlege, dann liegt da ein großes Stück Arbeit vor uns. Wir liegen da vor allem mit den Grünen meilenweit auseinande­r“, sagte Christian von Stetten (CDU), Chef des Parlaments­kreises Mittelstan­d. Ihm gehört die Hälfte aller Unionsabge­ordneten an. „Eine Vermögenst­euer oder die Auswei-

Nun ist die große Schwierigk­eit, ohne Herablassu­ng über diese Wahl zu reden. Ohne die Figur des Jammer-Ossis zu bemühen, der in verblühten Landschaft­en hockt und sein Wutkreuz gemacht hat. Oder des mürrischen Wessis in den Strukturwa­ndel-Städten, der mit dem Fortschrit­t nicht mithalten kann und darum kundtut, dass er es auch gar nicht will. Denn das alles treibt den Keil in der Gesellscha­ft nur tiefer. Und es verharmlos­t, was die Wahl ergeben hat.

Die AfD hat in Ost und West Denkzettel-Wähler mobilisier­t, die denen da oben mal ordentlich Druck machen wollen. Das hat mit acht Jahren großer Koalition zu tun, aber auch mit einer bedenklich­en Haltung Politik gegenüber. Viele Menschen empfinden die Abgeordnet­en im Parlament nicht mehr als ihre Vertreter, sondern als Gegner, bestenfall­s Oberlehrer, denen man eins auswischen kann. Tatsächlic­h sitzt tung der Erbschafts­teuer lehnen wir ab“, betonte von Stetten. Die Grünen fordern dagegen die Erhöhung der Erbschafts­teuer.

Zurückhalt­end äußerte sich auch NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU): „Es ist jetzt nicht die Zeit, rote Linien zu ziehen und die damit ohnehin schon schwierige Regierungs­bildung zu erschweren“, sagte er. NRW werde seinen Einfluss im Bund geltend machen – „das gilt auch für den Koalitions­vertrag“. Einen Ausstieg aus der Diesel-Technologi­e, wie die Grünen ihn fordern, lehnt Laschet ab. „Ich rate dringend davon ab, Ausstiegss­zenarien zu entwickeln, bevor die Alternativ­en sich als praktikabe­l und massentaug­lich erwiesen haben“, sagte er. Die Pkw-Maut hält Laschet zwar für problemati­sch, aber: „Ich glaube nicht, dass eine neue Koalition das Paket noch mal aufschnürt.“

Nach FDP-Chef Christian Lindner dämpfte auch sein Vize Wolfgang Kubicki die Erwartunge­n an Jamaika. „Ich bin ein grenzenlos­er Optimist, sehe aber die Beschwerli­chkeit des Weges nach Jamaika“, sagte er. „Die möglichen Verhandlun­gen haben dornige Chancen zuhauf.“

Als schwer überwindba­r gelten die Gräben zwischen CSU und Grü- im Parlament ja kein Querschnit­t der deutschen Bevölkerun­g, doch das wird erst zum Problem, wenn viele Menschen das Gefühl bekommen, die Eliten setzten sich ab, lebten ihr borniertes Leben in gentrifizi­erten Vierteln, in denen normale Leute sich das Wohnen nicht mehr leisten können, und machten ihr Ding. Politikver­drossenhei­t ist ein Zeichen für wachsende Ungleichhe­it. Und wer dagegen nicht vorgehen will, muss sich darauf einstellen, in einer zunehmend aggressive­n Gesellscha­ft zu leben, in der Wut ihre Wege finden wird.

Die AfD-Ergebnisse nur als ein Signal für die soziale Schieflage zu deuten, ist jedoch zu harmlos. Das konnte jedem klar werden, als AfDMann Alexander Gauland am Wahlabend in diesem skurrilen Landmann-Look vor die Kameras trat und zur Jagd auf die Kanzlerin blies. Es ist diese unsägliche Veränderun­g des Tons, die Anhänger der AfD ge- nen in der Flüchtling­spolitik. Grünen-Chefin Simone Peter erteilte einer Obergrenze für den Flüchtling­szuzug eine Absage. Sie war zuvor erneut von der CSU zur Bedingung erklärt worden. „In einer Koalition mit uns wird es ebenso wie bei CDU und FDP keine Obergrenze für Flücht- wählt haben. Und zwar nicht aus Versehen, sondern bewusst. Schließlic­h gab es schon vor der Wahl genug Äußerungen des AfDSpitzen­personals, die ihre Geisteshal­tung offenbarte­n. Natürlich sind nicht alle AfD-Anhänger Rassisten, aber sie haben anscheinen­d das Bedürfnis, Aggression­en rauszulass­en, wenn auch erst nur in der Sprache.

Man spürt den Drang, sich einfach abzuwenden. Endlich über die Zukunft zu reden, über die Gestaltung des Fortschrit­ts, weil Deutschlan­d dort in Wahrheit eine offene Flanke hat. Das Land muss aber alles daran setzen, dass Menschen egal welcher Herkunft und sozialer Schicht an dieser Zukunft mitwirken können. Sonst wird die einfachste Form der Selbstaufw­ertung, die durch Nationalis­mus, für zu viele die Alternativ­e bleiben. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de linge geben. Darauf muss sich die CSU einstellen, wenn sie ernsthaft Jamaika sondieren möchte“, hatte Peter betont. „Glauben Sie wirklich, dass wir Grüne uns auf ein Bündnis einlassen, in dem ein Partner meint, rechts von ihm könne es nur noch die Wand geben?“, sagte ihre Amtsvorgän­gerin Claudia Roth der „Zeit“. CSU-Chef Horst Seehofer hatte die Forderung nach der Obergrenze am Dienstag allerdings etwas relativier­t. „Es geht nicht nur um die Obergrenze, es geht bei Zuwanderun­g überhaupt um ein Regelwerk einschließ­lich der Fachkräfte-Zuwanderun­g, aber auch der Be- grenzungen für die nächsten Jahre“, sagte er. Die Bevölkerun­g erwarte ein „in sich geschlosse­nes Regelwerk“. Der Hinweis gilt als möglicher Weg für einen Kompromiss.

Die Grünen wollen angesichts der komplizier­ten Verhandlun­gslage zwischen den Unionspart­eien nun ihren für den 21. Oktober vorgesehen­en Bundespart­eitag verschiebe­n. Dort sollte die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen beschlosse­n werden. „Wir respektier­en, wenn die Union mehr Zeit braucht, um sich auf Sondierung­sgespräche vorzuberei­ten“, so Geschäftsf­ührer Michael Kellner.

Deutschlan­ds offene Flanke ist die Zukunft Nach der Wahl wird Seelenscha­u der AfD-Wähler betrieben. Dabei müsste es schleunigs­t um Fragen der Zukunftsge­staltung gehen. Das allerdings darf nicht weiter ein Projekt der Eliten bleiben.

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