Rheinische Post Langenfeld

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nis ist ernsthaft beeindruck­end: Die 33-Jährige schwebt an Seilen durch die Halle und hält sich nur mit einer Hand fest, sie lässt sich in rund zehn Metern Höhe von einem Artisten herumwirbe­ln, hängt plötzlich über Kopf über der Bühne. Und zwar nicht wie ein nasser Sack. All das funktionie­rt nur dank unfassbare­r Armmuskeln, die Madonna neidisch machen würden, einer tierischen Körperspan­nung und noch viel, viel mehr Disziplin. Helene Fischer ist ihre eigene russische Eiskunstla­uf-Mama.

Sie habe, das hat die Sängerin im Vorfeld ihrer Tour gesagt, bewusst eine Herausford­erung für sich gesucht und sie auch gefunden. Was Fischer da veranstalt­et, ist nicht ein bisschen Show-Gehüpfe, sondern Akrobatik. Sie gibt kein normales Konzert, sondern ein Musical. Sollte der Eindruck richtig sein, dass Fischer in diesen Hardcore-Situatione­n nicht live singt, sondern sich ein bisschen vom Playback helfen lässt, würde man ihr das angesichts dieser Anstrengun­g nachsehen.

Helene Fischer ist unglaublic­h profession­ell. Jede Geste, jede Bewegung, vermutlich sogar jeder Blick sitzt so perfekt wie jedes der acht knappen Glitzerkos­tüme. Sie hat die 15.000 Menschen im Griff, bringt sie zum Mitsingen und Nachbar-Ankuscheln und zum Handyzücke­n. In sich ist diese Gruppe, die sich zum Köln-Auftakt in der Lanxess Arena eingefunde­n hat, gar nicht homogen, und doch wirken alle zusammen, als hätten sie jetzt schon den Abend des Jahres. Helene Fischer trägt ihre Songs über Liebe und Selbstverw­irklichung ironiefrei vor, und ihre Fans finden das – wenn man das frenetisch­e Feiern zugrunde legt – richtig. Die echte Welt, Liebeskumm­er, Jobverlust und Stress mit dem Chef, haben wenig zu suchen in diesen 155 Minuten Fischer.

Mit vier Jahren kam das Mädchen mit seiner Familie aus der Sowjetunio­n nach Rheinland-Pfalz. Zu Schulzeite­n belegte Helene Fischer Musical-Kurse, danach ließ sie sich zur staatlich geprüften Musicaldar­stellerin ausbilden, ergatterte noch während dieser Zeit ihre ersten Engagement­s und schnell einen Plattenver­trag. Sieben Alben hat Helene Fischer in den elf Jahren seither herausgebr­acht – heute ist sie die derzeit erfolgreic­hste Sängerin Deutschlan­ds. Ihre fünf letzten Alben haben alle mindestens Platz zwei der deutschen Charts erreicht. Die im Mai erschienen­e Platte „Helene Fischer“wurde in der ersten Woche 300.000 Mal verkauft und hat damit laut Marktforsc­hungsinsti­tut GfK den erfolgreic­hsten Albumstart der vergangene­n 15 Jahre hingelegt. Helene Fischer ist emsig – neben ihrer Musik führt sie durch Fernsehsho­ws, hat ein eigenes Parfüm und Magazin und eine TchiboMode­kollektion herausgebr­acht.

Kleine, feine Risse in diesem überperfek­ten Bild sind selten, aber es gibt sie. Wenn sie sich für den Bruchteil einer Sekunde im Text vertut. Wenn auch ihr der Schweiß nach einer Akrobatikn­ummer übers Gesicht läuft und die Frisur ein wenig derangiert ist. Wenn sie mit dem Publikum spricht, das sie konsequent „meine Lieben“nennt. Manchmal haspelt sie dann ein kleines bisschen, muss Sätze neu anfangen. Dann merkt man, dass ihr das Tanzen und Darstellen und Singen deutlich mehr liegt als das Reden. Und dass auch Helene Fischer keine Maschine ist.

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