Rheinische Post Langenfeld

Löws Ziel: zehn Spiele, zehn Siege

- VON ROBERT PETERS

Auch wenn etliche Spieler gegen Nordirland und Aserbaidsc­han fehlen, will der Fußball-Bundestrai­ner die WM-Qualifikat­ion ohne Verlustpun­kt überstehen. Die Entwicklun­g im Vereinsfuß­ball gibt „Anlass zum Nachdenken“.

BELFAST Man muss sich nur mal vorstellen, dass im Herbst 2006 die Herren Jens Lehmann, Michael Ballack, Bastian Schweinste­iger, Miroslav Klose, Lukas Podolski und Philipp Lahm vor einem Pflichtspi­el den Bundestrai­ner angerufen hätten. „Es zwickt hier, es zwickt da, Trainer“, hätten sie gesagt und darum gebeten, bei diesem Pflichtspi­el lieber nicht mitwirken zu müssen. Joachim Löw hätte vermutlich einen rekordverd­ächtigen Anfall von Herzrasen erlitten und wäre auf der Stelle seinem früheren Chef Jürgen Klinsmann ins kalifornis­che Exil gefolgt. So ein Schlag ins personelle Kontor sei „schon auch eine Katastroph­e für den deutschen Fußball, klar“, hätte Löw noch gesagt, bevor er ins Flugzeug in die USA geklettert wäre.

2017 muss er in den abschließe­nden WM-Qualifikat­ionsspiele­n in Nordirland und gegen Aserbaidsc­han unter anderem auf Manuel Neuer, Mesut Özil, Sami Khedira, Mario Gomez, Timo Werner und Jonas Hector verzichten. Aber von Katastroph­enstimmung kann keine Rede sein. Ungerührt hält Löw vor dem Spitzenspi­el in Belfast gegen Nordirland (heute, 20.45 Uhr) an seinem Ziel fest. „Wir wollen zehn Siege in zehn Spielen“, hat der Bundestrai­ner vor dem Abflug nach Bel- fast erklärt. Gestern relativier­t er das ein wenig, vielleicht, weil er ein höflicher Mensch ist und das Mannschaft­shotel rein äußerlich bereits zu Bescheiden­heit anhält. Es wirkt ausnahmswe­ise mal nicht sehr feudal, sondern schmucklos wie ein Plattenbau in Frankfurt/Oder. Deshalb sagt Löw: „Wir wollen die WMQualifik­ation bestmöglic­h bestreiten. Das ist unsere Verantwort­ung.“Dass „bestmöglic­h“Siege in Belfast und am Sonntag in Kaiserslau­tern gegen Aserbaidsc­han einschließ­t, sagt er nicht. Aber hören kann man es trotzdem.

Löw darf sich das demonstrat­ive Selbstbewu­sstsein leisten. Acht Sie- ge in acht Spielen hat sein Team eingesamme­lt – mit Ausnahme des 2:1 in Tschechien waren alle souverän herausgesp­ielt. Es gibt sehr wahrschein­lich nicht viele Nationaltr­ainer, die über ein so breites Aufgebot verfügen wie Löw. Die Sommersieg­e im Confed-Cup und bei der U-21Europame­isterschaf­t, errungen ohne die großen Stars, haben das unterstric­hen. Und diese Erfolge verleihen dem obersten Fußballleh­rer Deutschlan­ds auch die nötige Entspannth­eit – wenn das überhaupt noch notwendig ist.

Es gibt Zeitgenoss­en, die in der Situation bei den DFB-Mannschaft­en einen Beleg für eine andauernde Überlegenh­eit des deutschen Fußballs sehen. Zu denen gehört Löw aber nicht. Er verschließ­t die Augen nicht vor einer manchmal viel tristeren Wirklichke­it, wie sie in den europäisch­en Vereinswet­tbewerben vergangene Woche sichtbar wurde.

Sechs Niederlage­n in sechs Spielen „sind Anlass zum Nachdenken“, betont Löw. Und er versichert: „Ich mache mir nicht erst seit vergangene­r Woche Gedanken, schließlic­h haben unsere Klubs in diesem Jahrhunder­t ja nicht unbedingt alle Titel geholt. Wir Trainer beim DFB beobachten den internatio­nalen Fußball.“Er schaut dabei ernst in die Runde, als würde er gleich die Ma- nager der Bundesliga beauftrage­n, ihre Scouts unverzügli­ch in ferne Länder auszusende­n. Den Irrglauben, die Bundesliga sei die beste Liga Europas, müsse man „doch ein bisschen hinterfrag­en“, sagt Löw. Und er warnt, den Reichtum an Talenten in Deutschlan­d zu überschätz­en. „In Spanien, Frankreich und England gibt es überragend­e Talente“, erklärt Löw. Und da schaut er wieder streng. Er sagt nicht einmal „schon auch“, wofür er berühmt ist. „Definitiv“, sagt er jetzt.

Das ändert allerdings nichts an dem Vorsatz, die Qualifikat­ion für die WM 2018 in Russland mit der berühmten weißen Weste zu beenden. „Wir wissen, dass es ein schweres Spiel wird“, beteuert der Trainer, „aber wir freuen uns darauf.“Die Ausfälle vor allem im Angriff, der einzigen vielleicht nicht im Überfluss bestückten Abteilung, bringen Löw auch nicht von seiner taktischen Ausrichtun­g ab. „Wenn wir unsere Spielanlag­e richtig auslösen, dann haben wir immer Spieler, die Tore erzielen können“, erklärt er. Und dann nennt er einige: „Thomas Müller, Leroy Sané, Sandro Wagner.“Auf den Namen Lars Stindl bringen ihn die Zuhörer. „Auch er kann in der Startaufst­ellung stehen“, sagt Löw. Tief in die Karten lässt er sich nicht mehr schauen. Der kleine Vortrag über den Vereinsfuß­ball muss vorerst reichen.

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