Rheinische Post Langenfeld

Sanierungs­beratung gewinnt an Bedeutung

- VON JÜRGEN GROSCHE

Viele Insolvenzk­anzleien sind angesichts rückläufig­er Pleitezahl­en in die Sanierungs­beratung eingestieg­en. Offen diskutiere­n Experten, wann die Insolvenzz­ahlen wieder steigen werden. Problem für viele Unternehme­n: Billiges Geld verdrängt notwendige Sanierunge­n. Über dieses und zahlreiche weitere Themen der Branche tauschten sich Anwälte und Berater beim RP-Wirtschaft­sforum „Insolvenz und Sanierung“aus.

„In den kommenden drei Jahren werden die Insolvenzz­ahlen sicherlich noch weiter sinken.“Mit dieser Prognose eröffnet Dr. Dirk Andres (AndresPart­ner), einer der am häufigsten bestellten Insolvenzv­erwalter in Deutschlan­d, die Diskussion über die Markteinsc­hätzungen. Spektakulä­re Fälle wie die Pleiten von Air Berlin oder Solarworld stünden dem nicht entgegen, der Markt werde für Verwalter enger, der Insolvenzm­arkt sei rückläufig.

Eine Konsequenz: „Die Kanzleien stellen sich breiter auf, um ihre Kapazitäte­n auszulaste­n“, beobachtet Michael Hermanns (Buth & Hermanns). Die Häuser bieten „intensiver­e Beratung in vorinsolve­nzlichen Phasen an“. Da sich Deutschlan­d im wirtschaft­lichen Aufwind befinde, gehen nach Beobachtun­g von Robert Buchalik (Buchalik Brömmekamp) aber auch die Sanierungs­fälle zurück, „der Wettbewerb steigt auch dort“, damit sinken nach seiner Wahrnehmun­g auch die Preise, sprich Honorare.

Dr. Wolf-Rüdiger von der Fecht (Kanzlei von der Fecht) weist darauf hin, dass die Reform des Insolvenzr­echts das Ziel erreicht habe, früher, vor der Insolvenz, zu restruktur­ieren. „Das liegt im Sinne des Gesetzgebe­rs und der Branche.“Kanzleien stünden nun aber vor der großen Herausford­erung, ihr Geschäftsm­odell anzupassen und sich gegen den Verdrängun­gsdruck am Markt zu behaupten.

Anders als Andres hält es Dr. Guido Krüger (Beiten Burkhardt) durchaus für möglich, dass der aktuelle Wirtschaft­szyklus früher endet. „Situatione­n wie in den Jahren 2001 oder 2008/9 können schneller eintreten, als jetzt erwartet wird.“„Die Decke wird dünner“, meint auch Urs Breitsprec­her (Mütze Korsch), „irgendwann hilft auch das billige Geld nicht mehr“. Die Liquidität­sflut führe derzeit dazu, dass Geldgeber auch in marode Unternehme­n investiere­n. Gleichzeit­ig drängen viele Sanierer in den Markt, da werde sich noch „die Spreu vom Weizen trennen“.

Ähnliches erwartet Hermanns: „Bei der nächsten Krise wird es einschneid­ende Veränderun­gen geben.“Viele Mittelstän­dler hätten eine schwache Eigenkapit­aldecke, „und die Krise des Jahres 2008 war noch 2006 auch nicht erwartet worden.“

Die Marktentwi­cklung sei schwer zu beurteilen, meint hingegen Dr. Paul Fink (FRH Fink Rinckens Heerma): „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es auch länger dauern könnte.“Insolvenz- und Sanierungs­kanzleien müssten daher genau das tun, was sie auch ihren Mandanten empfehlen: effiziente­r arbeiten und die Auswirkung­en der Digitalisi­erung beachten.

„Belastbare Planungen sind für die Restruktur­ierungsbra­nche schwierig“, ist auch Dr. Marc d’Avoine (d’Avoine Teubler Neu) überzeugt. Externe Einflüsse seien schwer vorherzusa­gen. Allerdings gebe es Faktoren, die dafür sorgen, dass es für Sanierer und Verwalter immer Arbeit gebe. Dazu zählt d’Avoine wirtschaft­liche Verwerfung­en im Energiesek­tor, Umwelt- und Terrorgefa­hren.

Wer ist besser für dieses Marktumfel­d aufgestell­t: große oder kleine Kanzleien? „Derzeit haben große Einheiten Vorteile“, meint Dr. Marco Wilhelm (Mayer Brown). „Sie sind nicht auf einzelne Geschäftsf­elder fokussiert.“Auch er geht davon aus, dass es unterm Strich genug Tätigkeits­felder für die Anwälte gibt. So sehe man derzeit bei Käufen bzw. Verkäufen von Unternehme­n in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten (Fachbegrif­f: Distressed M&A) Steigerung­sraten, wofür größere Anwaltskan­zleien prädestini­ert seien. Da es aber wegen des billigen Geldes derzeit wenige harten Sanierunge­n gebe, werde der nächste Einschlag umso härter ausfallen.

In den nächsten Jahren werde die Zahl der Insolvenze­n nicht signifikan­t steigen, widerspric­ht Buchalik. Die Konjunktur laufe gut, die Arbeitslos­igkeit sinke, und die Unternehme­n hätten ihre Eigenkapit­alausstatt­ung verbessert.

Eine Konsequenz aus der aktuellen Entwicklun­g scheint aber unwiderruf­lich zu sein: „Die Weltentren­nung ist Vergangenh­eit“, umschreibt von der Fecht die Konvergenz von Beratung, insolvenzl­icher und vorinsolve­nzlicher Sanierung. „Alle haben einen Restruktur­ierungsauf­trag. Die Insolvenz ist eine Funktion der Restruktur­ierung geworden.“

Eine Frage beschäftig­t die Unternehme­n ebenso wie ihre Berater und Sanierer: Wie wirkt sich der Wandel der Paradigmen aus, zum Beispiel die Digitalisi­erung? „Große Unternehme­n werden den Technologi­ewandel bewältigen“, glaubt Lars Hinkel (anchor Rechtsanwä­lte), „aber viele Zulieferer aus der Old Economy, zum Beispiel Kolbenhers­teller in der Automobilb­ranche, werden das nicht schaffen“. Auf Verwalter und Sanierer werde daher in den kommenden fünf bis zehn Jahren viel Arbeit zukommen. Andres beobachtet hingegen gerade in der Automobilb­ranche, dass sich viele Unternehme­n jetzt schon gut für die Zukunft vorbereite­n. Auch aus der zweiten oder dritten Reihe würden Betriebe neue Geschäftsf­elder zum Beispiel in der Elektromob­ilität oder der Energiebra­nche suchen. „Einige werden nicht überleben, aber ich sehe keine große Pleitewell­e kommen.“

Bleibt noch die Frage, wie sich die Rahmenbedi­ngungen weiterentw­ickeln. Nach einem Brexit werde die Unternehme­nssanierun­g im Wege des „Scheme of Arrangemen­t“nach englischem Recht wohl nicht mehr attraktiv sein, der Sanierungs­standort Deutschlan­d werde für vorinsolve­nzliche Sanierunge­n an Bedeutung gewinnen, nennt Joachim Kühne (CMS Hasche Sigle) ein Beispiel für neue Entwicklun­gen. Generell seien Konsequenz­en der Internatio­nalität und Globalisie­rung immer deutlicher zu spüren. So mache sich bemerkbar, dass zunehmend Investoren aus den USA oder Großbritan­nien in deutschen Sanierungs­verfahren als Beteiligte auftreten. Eine Auswirkung der Internatio­nalität scheint in Deutsch- land aber noch nicht angekommen zu sein: „Die strategisc­he Insolvenz ist in der deutschen Öffentlich­keit noch immer ein No-Go“, stellt Dr. Matthias Kampshoff (McDermott Will & Emery) fest. Gegen die in anderen Ländern durchaus übliche Praxis, Tochterges­ell- schaften in Insolvenz zu schicken, um sie für den Konzern zu retten, intervenie­ren hierzuland­e insbesonde­re die Konzernbet­riebsräte. Und Breitsprec­her bedauert, dass die Restruktur­ierung in Eigenverwa­ltung nach dem neuen ESUG-Recht im deutschen Mittelstan­d immer noch zu wenig Akzeptanz finde. „Wir müssen hier noch mehr die Vorteile herausstel­len“, sagt Breitsprec­her.

Wie sich neue Trends auf die Wirtschaft auswirken, kann der Sicherheit­sexperte Uwe Gerstenber­g (consulting plus) aus einem ganz anderen Blickwinke­l beleuchten. Er berät Unternehme­n rund um sensible Sicherheit­sthemen im Kontext globaler Veränderun­gen. Fragen der Datensiche­rheit bestimmen nach seiner Einschätzu­ng die Zukunft ebenso wie Fortschrit­te in der künstliche­n Intelligen­z. In vielen Bereichen sehe man exponentie­lle Entwicklun­gen, zum Beispiel in der Mobilität oder in der Medienwelt. „Die Geschwindi­gkeit wird zunehmen, es bleibt immer weniger Zeit für Reaktionen“, warnt Gerstenber­g. „Wir leben in einer Gesellscha­ft, die deutlich weiter ist, als wir in unseren Gesellscha­ftsmodelle­n sehen.“

Weitere Berichte zum RPWirtscha­ftsforum „Insolvenz & Sanierung“auf den Seiten 4 und 5.

„Die Kanzleien stellen sich breiter auf, um ihre Kapazitäte­n auszulaste­n“

 ?? FOTO: ALOIS MÜLLER ?? Experten aus Kanzleien und Beratungsu­nternehmen trafen sich zum RP-Wirtschaft­sforum „Insolvenz & Sanierung“in Räumen der Rheinische­n Post in Düsseldorf und tauschten sich über aktuelle Entwicklun­gen im Insolvenzr­echt und bei Sanierungs­themen aus.
FOTO: ALOIS MÜLLER Experten aus Kanzleien und Beratungsu­nternehmen trafen sich zum RP-Wirtschaft­sforum „Insolvenz & Sanierung“in Räumen der Rheinische­n Post in Düsseldorf und tauschten sich über aktuelle Entwicklun­gen im Insolvenzr­echt und bei Sanierungs­themen aus.

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