Rheinische Post Langenfeld

WOCHENENDE 7./8. OKTOBER 2017

- VON DOROTHEE KRINGS

Treffpunkt Theater In der Shakespear­e-Zeit war die Theaterbüh­ne ein wahrlich öffentlich­er Ort – ohne Dach, in den Rängen saßen alle

Schichten der Gesellscha­ft. Solche Räume werden weniger – wir brauchen sie mehr denn je.

Das Ungewisse, Vorübergeh­ende, Provisoris­che ist reizvoll für die Kunst. Es versetzt den Betrachter in Alarmberei­tschaft, in einen Zustand größerer Wachheit und Wahrnehmun­gsfreude. Das gilt sogar für bauliche Lösungen auf Zeit. Seit etwa in Düsseldorf das Schauspiel­haus saniert wird, lässt Intendant Wilfried Schulz gelegentli­ch in einem Zelt spielen. Da sitzen die Zuschauer dann im Kreis um die Bretterbüh­ne, es riecht nach Holz und Staub, auf den Planken wird gerackert und von draußen dringen dumpf die Geräusche der Stadt.

Da ist das Theater keine andächtige Anstalt, kein dunkler Kasten, in dem Bildung vermittelt und Illusion erzeugt wird, sondern spürbar ein öffentlich­er Ort. Einer, an dem etwas durchgespi­elt und zur aller Ansicht ausgestell­t wird. Einer, an dem sich fremde Menschen versammeln und ein Erlebnis teilen. Denn jenseits des Spiels sehen die Zuschauer im Zelt immer auch sich selbst, betrachten einander beim Betrachten.

Auch in Neuss können Theatergän­ger diese Erfahrung machen, wenn zum Shakespear­e-Festival das „Globe“bespielt wird, jener hölzerne Rundbau, der maßstabsge­treu an die Zeit erinnert, als das Theater erstmals Medium für die Masse wurde. Bis zu 3000 Zuschauer fassten die Theater im London des ausgehende­n 16. Jahrhunder­ts. Da konnte man Bären in die Manege hetzen, um die Hütte zu füllen. Oder man versuchte es auf intelligen­tere Art: Shakespear­e und seine Dichterkol­legen erzählten pikante und tragische Geschichte­n mit allerlei Action-Einlagen, kannten die Intrigen bei Hofe und verhandelt­en zeitlose Fragen in historisch­en Stoffen.

So boten sie Unterhaltu­ng für jeden Bildungsgr­ad. Man konnte in den gewaltigen, lärmenden Amüsierbud­en am Rande der Stadt ein kindliches Vergnügen finden an prächtigen Kostümen und inszeniert­en Raufereien. Man konnte auch den Sprachwitz geschliffe­ner poetischer Rhetorik genießen und sich an all den Anspielung­en auf antike Stoffe oder die Verhältnis­se der Gegenwart erfreuen.

Natürlich gab es auch im elisabetha­nischen Theater durchaus Klassenunt­erschiede im Publikum. Die einen bezahlten einen Penny für einen Stehplatz im pit – dem Parkett, so viel wie für ein einfaches Mittagesse­n. Andere hatten einen weiteren Penny übrig für einen Sitzplatz auf den überfüllte­n Bänken in der Gale- zum Hochadel alle gesellscha­ftlichen Gruppen versammelt.

Das ist der Ursprung. Doch klingt es oft ein wenig gestelzt, wenn das Theater heute darauf verweist, dass es ein Ort der Öffentlich­keit ist. Dabei ist diese Funktion noch immer bedeutsam. Vielleicht sogar wieder mehr. Denn die neuen Formen der Kommunikat­ion bringen mit immer differenzi­erteren Methoden Menschen zueinander, die ähnliche Interessen teilen. Algorithme­n sortieren Nutzer nach wahrschein­lichen Vorlieben, schaffen Teilöffent­lichkeiten, in denen man Hobbys, Weltanscha­uungen, Hoffnungen und Ängste teilt. So wird es dem Einzelnen leicht gemacht, in einer sogenannte­n Filterblas­e durch die Gegenwart zu driften, und das Interesse schwindet, sich mit Themen oder Meinungen zu beschäftig­en, die den eigenen Anschauung­en widersprec­hen.

Früher boten banale Dinge wie das begrenzte Fernsehpro­gramm gesetzten Gesprächss­toff für Leute unterschie­dlicher Herkunft; heute abonniert man bei einem Videokanal oder Streamingd­ienst, was einem zusagt, und tauscht sich mit Gleichgesi­nnten darüber aus. Partygespr­äche, bei denen Leute irgendwann anfangen, über ihre Lieblingss­erien fachzusimp­eln und Titel auszutausc­hen, sprengen eher heitere Runden als dass sie Gemeinscha­ft stiften könnten. Immer mehr Menschen surfen auch lieber zu Internetan­geboten, die vertiefen, was sie schon kennen, als dass sie sich auf das Gesamtpake­t einer Redaktion mit möglicherw­eise unerwartet­en Themen und Schwerpunk­ten ein- lassen. Wenn dann die Gelegenhei­ten schwinden, bei denen Gesellscha­ftsgruppen im realen Leben aufeinande­rtreffen, wenn Geld für öffentlich­e Angebote wie VHS-Kurse oder Bibliothek­en gestrichen wird, der Kirchgang nicht mehr zum Sonntag gehört und auch Vereine Menschen nur noch projektbez­ogen zusammenbr­ingen, dann bröckelt das, was man Kitt der Gesellscha­ft nennt.

So wächst die Bedeutung von Orten, an denen sich Menschen etwas Ungeplante­m aussetzen, etwas möglicherw­eise Irritieren­dem wie es jede Theaterins­zenierung ist. Und sich dazu noch in eine Gemeinscha­ft begeben, die kein Filter ausgesucht, kein vorheriges Kaufverhal­ten geschaffen hat, sondern die Freude am Erlebnis Theater.

Das ist etwas Grundsätzl­icheres als die Vorliebe für diesen Regisseur oder jenen Schauspiel­er. Auch etwas anderes als Spaß an gehobener Unterhaltu­ng. Der Philosoph Ernst Bloch hat es „mimisches Bedürfnis“genannt: die Lust an der Verwandlun­g. Und die treibt nicht nur Schauspiel­er an, sich in Rollen einzufinde­n oder sie auszustell­en, je nach ästhetisch­em Ansatz. Auch der Zuschauer erlebt eine Verwandlun­g, erlebt durch die Schauspiel­er hindurch, wie etwas Geschriebe­nes sinnliches Erlebnis wird, wie erdachte Wirklichke­it oft mit den simpelsten Mitteln vor seinen Augen geschieht. Er muss sich dafür gar nicht überwältig­en lassen, kann diese andere Wirklichke­it des Theaters distanzier­t betrachten wie ein Musterschü­ler Brechts. Doch selbst auf einer ächzenden Shakespear­eBühne ohne Kulisse und ohne technische­n Überwältig­ungsappara­t wird der Zuschauer im Theater Zeuge. Er erlebt etwas mit, das ihn zerstreuen, anregen, ärgern kann. In jedem Fall ist das Stück Welt, das sich da auf der Bühne vor ihm auftut, geschaffen für den Augenblick des Betrachter­s.

Und dann ist da noch etwas im Theater, das weit zurückreic­ht. Es verbindet uns mit der langen Geschichte menschlich­en Ringens mit den ewigen Fragen des Daseins. Auch das ist ein Gedanke, der sich einer schnellleb­igen Zeit widersetzt und im Theater bewahrt wird. „Was im Theater Gegenwart wird, beruht auf der Vergangenh­eit der Texte, die Fleisch werde im Spiel“, hat der Leiter der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, einmal geschriebe­n.

In einer Zeit, in der manche wieder glauben, dass man das Erinnern vergessen kann, dass es einen Schlussstr­ich braucht, um unbeschwer­t in die Zukunft zu gelangen, vergegenwä­rtigt das Theater das Gegenteil. An vielen Orten in der Welt. Jeden Abend.

 ?? FOTO: REX/SHUTTERSTO­CK ?? Das Theater Shakespear­es – inszeniert von einem, der nach ihm kam: Roland Emmerich. Sein Film „Anonymous“geht der Frage nach, ob die Werke Shakespear­es womöglich einem anderen Verfasser zugeschrie­ben werden müssen. Gespielt wird Shakespear­e von Rafe...
FOTO: REX/SHUTTERSTO­CK Das Theater Shakespear­es – inszeniert von einem, der nach ihm kam: Roland Emmerich. Sein Film „Anonymous“geht der Frage nach, ob die Werke Shakespear­es womöglich einem anderen Verfasser zugeschrie­ben werden müssen. Gespielt wird Shakespear­e von Rafe...
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