Rheinische Post Langenfeld

Europas Achse der Rechten

- VON MATTHIAS BEERMANN

DÜSSELDORF Dass Europa politisch zusehends auseinande­rdriftet, sich eine immer tiefere Kluft zwischen den östlichen und westlichen EU-Staaten auftut, kann man an Wahlergebn­issen festmachen. Man kann aber auch einfach ein Glas Nutella aufschraub­en.

Zuerst die Wahlergebn­isse: Nach Ungarn und Polen dürfte nun auch in Tschechien ein virulenter EU-Skeptiker an die Macht kommen. Der umstritten­e Milliardär Andrej Babis gewann dort am Wochenende mit großem Vorsprung die Parlaments­wahl. Der Populist kam mit seiner Protestbew­egung Ano („Ja“) auf 29,6 Prozent der Stimmen. Zweitstärk­ste Partei wurde mit 11,3 Prozent die von Ex-Präsident Vaclav Klaus gegründete, ebenfalls EU-skeptische konservati­ve ODS, und die rechtextre­me SPD schnitt mit 10,6 Prozent überrasche­nd stark ab.

Babis, in seiner Heimat auch als „tschechisc­her Donald Trump“bezeichnet, machte gleich klar, dass er bei anderen EU-Staaten nun um Unterstütz­ung für seine knallharte Anti-Immigratio­nspolitik werben will. Mit dem konservati­ven österreich­ischen Wahlsieger Sebastian Kurz habe man in dieser Frage sicher einen Verbündete­n, sagte Babis. Kurz hatte gemeinsam mit den Staaten der sogenannte­n VisegrádGr­uppe, zu der neben Tschechien auch Ungarn, Polen und die Slowakei gehören, auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise die Sperrung der BalkanRout­e organisier­t. Er könnte schon bald gemeinsam mit der rechtspopu­listischen FPÖ von Heinz-Christian Strache in Wien die neue Regierung bilden.

Die nach dem Fall der Mauer gegründete Visegrád-Gruppe blieb jahrelang ein eher lockerer Bund mit beschränkt­em Einfluss. Zu unterschie­dlich waren in vielen Fällen die Interessen der darin vertretene­n Staaten. Erst die Flüchtling­skrise änderte das. Sie führte beinahe über Nacht zu einer engen Zusammenar­beit, denn in allen Visegrád-Ländern war die Ablehnung der Aufnahme von Flüchtling­en überwältig­end. Einer tat sich in dieser Phase jedoch besonders hervor: Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán wurde im Streit über die Flüchtling­spolitik zum europäisch­en Anti-Merkel. In seiner Heimat bekam er dafür von zwei Drittel der Wähler Rückendeck­ung.

Im Sommer leitete die EU-Kommission im Streit um die Aufnahme von Flüchtling­en ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien ein. Aber es geht längst nicht mehr nur um diese Frage. Auch gegen Polen, wo die regierende nationalko­nservative PiS-Partei von Jaroslaw Kaczynski ungerührt von Kritik aus dem Inund Ausland den Rechtsstaa­t demontiert, läuft ein Verfahren der EU-Kommission. Es kann zwar theoretisc­h zum Entzug des Stimmrecht­s Polens im Europäisch­en Rat führen, doch ist dafür am Ende ein einstimmig­er Beschluss aller anderen EU-Staaten notwendig – und Orbán hat bereits sein Veto angekündig­t.

Im Osten ist eine neue politische Front der Rechtspopu­listen entstanden. Ihre Wortführer Kaczynski und Orbán sind sich einig in der Ablehnung einer angeblich zu liberalen EU, die den Ländern Mittel- und Osteuropas ihre Werte aufzwingen wolle. Sie sind unter den Osteuropäe­rn die heftigsten Verfechter eines neuen Nationalis­mus, der den Feind in Brüssel sieht. Und gerne auch in Berlin: Angriffe auf die deutsche Bundeskanz­lerin zahlen sich innenpolit­isch aus – zuletzt nutzte auch der tschechisc­he Wahlsieger Babis diesen Anti-Merkel-Effekt, um Stimmen zu sammeln.

Machtgieri­ge Populisten in Budapest, Warschau oder Prag haben über Jahre systematis­ch eine antieuropä­ische Stimmung geschürt, aber es zeigt sich auch, dass man in Brüssel, Berlin und Paris die Entfremdun­g vieler Osteuropäe­r sträflich unterschät­zt hat. Man entsetzte, ja empörte sich über den Brexit und übersah dabei, dass etwa auch die Tschechen nie Europa-Enthusiast­en waren. Dass sie 2004 der EU beitraten, war ein Gebot der politische­n und ökonomisch­en Vernunft und keine Liebesheir­at. Dass die EU seit einigen Jahren im Dauerkrise­n-Modus steckt, bestätigt viele Tschechen nur noch in ihrer tiefen Europa-Skepsis.

Was uns zu der Sache mit Nutella bringt: Die Visegrád-Staaten werfen westlichen Konzernen vor, Kunden in ihren Ländern systematis­ch zu benachteil­igen. Angeblich bieten die Hersteller in Osteuropa zweitklass­ige Ware zum westeuropä­ischen Preis an – darunter auch die populäre Schokocrem­e. Das böse Wort von der „Lebensmitt­el-

In Brüssel, Berlin und

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FOTOS: DPA (2), AP (2) | MONTAGE: SCHNETTLER Sie sind die Wortführer einer EU-feindliche­n Politik (v.l.): Jaroslaw Kaczynski, Chef der polnischen Regierungs­partei PiS, der Rechtspopu­list und tschechisc­he Wahlsieger Andrej Babis, der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán und Heinz-Christian...

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