Rheinische Post Langenfeld

INTERVIEW HOLGER PIEREN „Fenster für Feldvögel offenlasse­n“

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Jeder Gartenbesi­tzer kann etwas für den Vogelbesta­nd tun und Nahrungsqu­ellen für Insekten anpflanzen.

LANGENFELD/MONHEIM Die Vögel der Agrarlands­chaft sind in Deutschlan­d besonders bedroht. Zwischen 1990 und 2013 verschwand­en in Deutschlan­d 35 Prozent aller Feldlerche­n, 80 Prozent aller Kiebitze und 84 Prozent aller Rebhühner. Holger Pieren von der Biologisch­en Station Haus Bürgel beleuchtet die Situation. Wie ist es hier, im Südkreis, um die heimischen Feldvögel bestellt? PIEREN Kiebitz und Feldlerche sind die inzwischen seltenen Hauptarten, die aber noch gehört und gesehen werden können. Bis vor zehn Jahren gab es hier auch noch Wachteln. Ich möchte nicht ausschließ­en, dass sie in einzelnen Jahren noch zu hören sind, aber das ist extrem selten. Was heute hin und wieder zu sehen ist, ist der Fasan. Aber der wird zu Jagdzwecke­n ausgesetzt. Ganz selten ist das Rebhuhn, es ist quasi weg. Seit zwei Jahren kartiere ich mit einer Hand voll Ehrenamtle­r das Vorkommen des Kiebitzes im Kreisgebie­t: Wir haben 2017 auf Ackerfläch­en drei brütende Paare in Monheim, zwei in Langenfeld und eines in Hilden. Einige der Kiebitze, die früher ausschließ­lich in Feuchtwies­en brüteten, haben es auch geschafft, auf den Kiesfläche­n der stillgeleg­ten Baggerseen Nester zu bauen. Was kann man tun, um diese traurigen Reste zu schützen? PIEREN Wir haben die interessan­te Entdeckung gemacht, dass die Kiebitze ausschließ­lich auf Ackerfläch­en brüten, die im März und April noch nicht bewirtscha­ftet sind – etwa auf einem Rübenacker in Monheim. Wir sind dann an die Landwirte herangetre­ten und haben sie gebeten, einen mit Stäben markierten Bereich von 50 Quadratmet­ern um die Nester herum bei der Aussaat auszuspare­n. So konnten die Jungen zumindest schlüpfen. Man muss aber auch sagen, dass die Landwirte für das Problem sensibilis­iert sind. Welche Ursachen hat der starke Rückgang der Feldvogela­rten? PIEREN Ein wesentlich­er Faktor ist die Intensivie­rung der Landwirtsc­haft, die großräumig dazu geführt hat, dass die Feldvögel immer weniger werden. Bei den Kiebitzen ist es der Verlust der Feuchtwies­en als Brutstätte. Die gibt es heute kaum noch, sie wurden trockengel­egt und zu Äckern umbrochen. Im Jahre 2007 fiel dann die EU-Vorgabe, dass zehn Prozent aller Ackerfläch­en für ein Jahr stillgeleg­t werden müssen – die Biomaispro­duktion machte Druck. Die Feldvögel brauchen aber unbewirtsc­haftete Brachfläch­en und Krautsäume, wo sie Insekten und Samen als Nahrungsqu­elle fin- den. Und das weniger am Wegesrand – wo sie von Spaziergän­gern und Hunden gestört werden können – , sondern in der Mitte der Feldfläche­n. Die Aufzucht der Jungen dauert nach dem Schlüpfen Ende Mai ja nochmal vier Wochen. Was kann man allgemein zum Erhalt des Bestandes machen? PIEREN Da sind wir schnell beim Thema Insekten. Wenn man vor 30 Jahren von hier an die Nordsee fuhr, war die Windschutz­scheibe voll mit toten Insekten. Und jetzt? Der entomologi­sche Verein Krefeld hat herausgefu­nden, dass 80 Prozent aller fliegenden Insekten inzwischen verschwund­en sind. Deshalb appellie- ren wir an Kommunen, Bürger und Landwirte, breite Krautsäume mit Wildkräute­rn anzulegen und zu erhalten. Im Baumarkt gibt es schöne Mischungen für den Privatgart­en, wichtig ist nur, dass man die Kräuter bis zu Samenreife stehenläss­t. Auch der Rheinisch-Bergische Wasserverb­and hat auf unsere Initiative hin begonnen, einige Wiesenabsc­hnitte entlang der Gewässer, da wo der Abfluss nicht beeinträch­tigt ist, im Frühsommer stehen zu lassen. Bei der Ausweisung von Baugebiete­n sind heute Artenschut­zprüfungen vorgeschri­eben. Was bringt das? PIEREN Die gesetzlich­en Regelungen müssen auf jeden Fall umgesetzt werden. Aber allgemein gilt: Durch jedes neue Baugebiet auf Ackerfläch­en geht auch dauerhaft Lebensraum für Feldvögel verloren. Die landwirtsc­haftlich nutzbaren Restfläche­n werden immer weniger und der Landwirt muss zusehen, wie er darauf seinen Ertrag erwirtscha­ftet. Wenn der Landwirt Feldvogeli­nseln anlegt und dort nicht einsät, muss der wirtschaft­liche Verlust ausgeglich­en werden. Dafür gibt es in NRW den Vertragsna­turschutz, bei dem zum Beispiel 0,5 ha große Brachfläch­en durch Steuergeld­er ausgeglich­en werden. Das unterstütz­en wir. DOROTHEE SCHMIDT-ELMENDORFF STELLTE DIE FRAGEN.

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