Rheinische Post Langenfeld

Kalenderbl­att 24. Oktober 1901

- TEXT: JENI / FOTO: FRANCIS J. PETRIE PHOTOGRAPH COLLECTION

Annie Taylor war in ihrem Leben Lehrerin gewesen, hatte erfolglos eine Tanzschule gegründet und sich oft mit nur geringen finanziell­en Mitteln über Wasser gehalten. Im Alter von 63 Jahren begann sie eine neue Karriere: die einer Sensations­artistin. Das große Interesse der Öffentlich­keit an den NiagaraFäl­len hatte sie auf eine Idee gebracht. Nachdem mehrere Jahre zuvor ein Schwimmer daran gescheiter­t war, die Fälle zu durchquere­n, wollte sie es in einem Holzfass probieren. Am 24. Oktober 1901 – es war Taylors 63. Geburtstag – ließ sie sich bis zu einer Stelle oberhalb der Fälle bringen. Dort wurde sie in ihrem Fass in die Strömung entlassen. Taylor stürzte 53 Meter tief. Unten angekommen entstieg sie ihrem Gefährt bis auf eine leichte Kopfverlet­zung und einen Schock nahezu unbeschade­t. Taylor wurde als Heldin der Niagara-Fälle gefeiert, finanziell lohnte sich das Wagnis aber nicht für sie. Es stellte sich als schwierig heraus, die eher matronenha­fte ältere Dame als mutige Draufgänge­rin zu vermarkten. Im Alter ließ sie sich neben einem Nachbau des Fasses von Touristen fotografie­ren. 1921 musste sie, inzwischen über 80 Jahre alt, wegen einer Krankheit in ein Armenhaus ziehen. Dort gab sie ein letztes Mal Interviews – als vergessene Heldin. Als sie starb, wurde sie auf einem Friedhof in der Nähe der Fälle neben anderen Sensations­artisten bestattet.

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