Rheinische Post Langenfeld

Im AfD-Land

- VON GREGOR MAYNTZ

In Ostsachsen hat ein Malermeist­er der AfD dem künftigen CDU-Ministerpr­äsidenten das Bundestags­mandat abgenommen.

OPPACH Landschaft­lich reizvoll, zwei Kirchen, ein Teich, viele Spazierweg­e – das ist Oppach in der Oberlausit­z. 2500 Einwohner mit stolzer Vergangenh­eit: 1336 erstmals urkundlich erwähnt, wurde der Ort seit 1524 in den Wirren der Reformatio­n zur Heimat vieler Glaubensfl­üchtlinge. Auch heute versteht sich Ostsachsen als Hort der Vielfalt: im Norden Brandenbur­g, im Osten Polen, im Süden Tschechien.

Am Abend der Bundestags­wahl zog die AfD mit 12,6 Prozent in den Bundestag ein. Hier in Oppach holte die Alternativ­e 46 Prozent. Wer den Gründen nachspüren will, sollte sich mit zwei Männern unterhalte­n: Christoph Dammert (63) und Tino Chrupalla (42). Dammert betreibt mit seiner Frau Angela eine Tankstelle. Chrupalla ist Malermeist­er. Beide haben mehrere Angestellt­e. Der eine beklagt, dass sich Selbststän­digkeit angesichts der gängelnden Bürokratie kaum mehr lohnt. Der andere auch. Der eine kritisiert die hohe Einbruchsk­riminalitä­t in der Region. Der andere auch. Der eine findet, dass der Rechtsstaa­t zu lasch mit Gesetzesbr­echern umgeht. Der andere auch. Der eine ist CDU-Fraktionsv­orsitzende­r im Oppacher Gemeindera­t. Der andere nun direkt gewählter AfD-Abgeordnet­er des Deutschen Bundestags.

Beide sind bürgerlich-christdemo­kratisch sozialisie­rt. Chrupalla trat mit 15 in die CDU-Jugendorga­nisation ein. Auch ein anderer startete in dieser Zeit hier seine politische Karriere: Michael Kretschmer, im selben Jahr geboren, zog ein Jahrzehnt später in den Bundestag ein. Er wurde Vizefrakti­onschef, Landesgrup­penchef, Generalsek­retär. Jetzt soll er Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich nachfolgen. Ausgerechn­et ihn hat Chrupalla besiegt.

Angela Dammert fasst die Gefühle am Wahlabend in einem bezeichnen­den Satz zusammen: „Wir waren alle schockiert und fassungslo­s, aber irgendwie hatten wir es auch erwartet.“Ihr Mann sucht gleichwohl noch nach örtlichen Vorboten. Er kenne in Oppach niemanden, der für die AfD aktiv sei, berichtet er. Und doch haben 588 von 1292 wahlberech­tigten Oppachern die AfD gewählt.

Wenn Chrupalla an den Weg dorthin denkt, leuchten seine Augen. Erst Anfang 2015 ist er in die AfD eingetrete­n. Anderthalb Jahre später war er Direktkand­idat und auf der Landeslist­e abgesicher­t. 30.000 Euro steckte er aus eigener Tasche in den Wahlkampf. Und viel Energie. Bei 60 Veranstalt­ungen zählte er: „Zuerst kamen fünf Leute, dann zehn, dann 20, zuletzt 400.“

Auch in Oppach. Volle Hütte, gute Stimmung. Sogar Angela Dammert gesteht, dass ihr im AfD-Wahlprogra­mm „einige Punkte aus dem Herzen gesprochen“hätten. Hinzu kommt, dass ihr Mann keine guten Erinnerung­en an den CDU-Wahlkampf hat. Nicht einmal der örtliche Parteivors­itzende sei bei einem der wichtigen Termine dabei gewe- sen. Eine Wahl als Protest gegen Bundeskanz­lerin Angela Merkel – das beflügelte in Ostsachsen nicht nur die Gegner, es lähmte offenbar auch Teile der eigenen Partei.

Auf Flüchtling­e ist man hier nicht gut zu sprechen. Der Ausländera­nteil liegt zwar um mehr als zwei Drit- tel unter dem Bundesdurc­hschnitt. Aber als im vergangene­n Jahr in Oppach eine leer stehende Villa zum Asylbewerb­erheim umfunktion­iert werden sollte, da kochte die Volksseele. „Das war ein einziger Aufschrei“, erinnert sich Dammert. Vor Jahren war hier ein Flüchtling­sheim in Flammen aufgegange­n. Die Brandursac­he sei ungeklärt, heißt es in den Berichten. „Das haben die Bewohner selbst angezündet“, vermutet Dammert.

Flüchtling­e sind auch für Chrupalla ein großes Thema. Kopfschütt­elnd verweist er auf die zwischenze­itliche Absicht von Muslimen, in der Region einen Gebetsraum einzuricht­en. Das wirkte auf viele offenbar wie eine bevorstehe­nde Islamisier­ung ihrer Heimat. Zwar betont die offizielle Bundes-AfD, dass sie nichts gegen die individuel­le Religionsa­usübung habe und nur den politische­n Islam bekämpfe. Doch an der ostsächsis­chen Basis ist man an dem Punkt nicht so genau.

In diesem Klima steht ein Satz für sich: „Für die Kita ist kein Geld da, aber für Asylbewerb­er wird alles getan.“Der Satz könnte vom AfD-Abgeordnet­en stammen. Doch es ist die Überzeugun­g des CDU-Fraktionsc­hefs. Danach beginnt er dann doch zu differenzi­eren und schildert, wie der mögliche künftige Ministerpr­äsident persönlich in Oppach gewesen sei, um sich um die Sanierung einer maroden Kinderkrip­pe zu kümmern. „Was der in die Hand nimmt, das klappt auch“, meint Dammert. Deshalb sieht die CDU in Oppach dem Ausgang der sächsische­n Landtagswa­hl im Sommer 2019 irgendwie gelassen entgegen.

Das tut auch Chrupalla. Allerdings mit der Erwartung, dass die AfD wie bei der Bundestags­wahl stärkste Partei in Sachsen wird. „Dann stellen wir den Innenminis­ter“, erklärt er trocken. Vorher hat er all das beschriebe­n, was in Sachsen so nicht mehr weitergehe und seiner Partei in die Karten spiele. „Wo jeder Zweite beklaut wurde, haben wir mehr als 40 Prozent bekommen“, lautet seine Gleichung. Auch Chrupallas Auto kam bereits abhanden. Die Folge des Phänomens im grenznahen Raum: Ausgerechn­et in einer Region mit geringer Kaufkraft leiden die Menschen unter steigenden Autoversic­herungsprä­mien.

„Fünfmal haben sie bei mir schon eingebroch­en“, berichtet Dammert. Einmal verschwand­en Diebe mit einem Reifenstap­el, den er fünf Minuten vor der Werkstatt abgestellt hatte. Per Video wurden die Täter zwar identifizi­ert, das Verfahren dann aber „wegen Geringfügi­gkeit“eingestell­t, schildert Dammert verbittert. Seine Frau ergänzt: „So wie die Justiz bei uns aufgestell­t ist, funktionie­rt es nicht mehr.“Das sage auch die Görlitzer Polizei.

„Wir kommen uns nicht mehr ernst genommen vor“, meint die CDU-Frau in Oppach. In Weißwasser, eine halbe Autostunde entfernt, kommt der AfD-Mann zu einem ähnlichen Schluss. „Die Menschen wollen erleben, dass sie verstanden werden und man sie nicht mit warmen Worten abspeist.“Gerade Ostdeutsch­e reagierten darauf allergisch. „Die fackeln nicht lange“, so Chrupalla.

Sein Poloshirt mit blassblaue­n Streifen ziert ein dezenter HugoBoss-Aufnäher. Entspannt lehnt er sich zurück in seinem Bürgerbüro an der Hauptstraß­e der Kleinstadt. In Berlin ist er Vizefrakti­onschef geworden. So wie vorher Kretschmer bei der Union. Und Geld für Mitarbeite­r bekommt er jetzt vom Staat. Chrupalla fängt jetzt richtig an mit der Politik. Dammert dagegen, in eher bedrückter Stimmung in seinem schwarzen T-Shirt mit Michelin-Männchen, muss sich um die nächste Kundin kümmern. Er will demnächst mit der Politik aufhören.

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FOTOS: GREGOR MAYNTZ Der Name Oppach kommt von „oberhalb des Baches“.
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CDU-Mann Christoph Dammert (63)
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AfD-Mann Tino Chrupalla (42)

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