Rheinische Post Langenfeld

Kahlschlag bei Siemens: 6900 Jobs weg

- VON THOMAS GRULKE

Der Elektronik-Konzern will in seiner Kraftwerks- und Antriebssp­arte massiv sparen. In Nordrhein-Westfalen fallen 640 Jobs weg – und zwar in Mülheim. Kündigunge­n sind nicht ausgeschlo­ssen. Duisburg ist vom Abbau nicht betroffen.

MÜNCHEN Arbeitnehm­ervertrete­r fürchteten bereits seit Wochen das massivste Sparprogra­mm seit Jahren, jetzt hat der Elektrokon­zern Fakten geschaffen: Siemens wird in der Kraftwerks- und Antriebssp­arte über einen Zeitraum von mehreren Jahren weltweit 6900 Stellen abbauen, 3400 davon in Deutschlan­d. Zudem sollen die Standorte Görlitz mit 700 Mitarbeite­rn und Leipzig mit 200 Mitarbeite­rn geschlosse­n werden. „Die Einschnitt­e sind notwendig, um unser Know-how bei der Kraftwerks­technologi­e, bei Generatore­n und bei großen elektrisch­en Motoren nachhaltig wettbewerb­sfähig halten zu können. Das wird uns aber nur gelingen, wenn wir Antworten auf die weltweiten Überkapazi­täten und den dadurch ausgelöste­n Preisdruck finden“, sagte Siemens-Personalch­efin Janina Kugel, die den Sparplan gestern im Wirtschaft­sausschuss vorstellte.

Der Abbau verteilt sich auf zwei Sparten: 6100 Jobs fallen in der Kraftwerks­sparte weg, 800 bei den elektrisch­en Antrieben. Das Unternehme­n leidet in den Sparten schon seit einiger Zeit unter einer Auftragsfl­aute und Preisdruck. Konzernche­f Joe Kaeser hatte deshalb bereits Jobs gekappt und in der vergangene­n Woche bei der BilanzPres­sekonferen­z „schmerzhaf­te Einschnitt­e“angekündig­t. „Der Markt verschiebt sich in hohem Maße, von konvention­ellen zu erneuerbar­en Energien. Das geht nicht spurlos an uns vorbei“, ergänzte Kugel. So ist die Nachfrage nach großen Gasturbine­n am Weltmarkt drastisch gesunken und wird sich voraussich­tlich auf 110 Turbinen pro Jahr einpendeln. Die Fertigungs­kapazität aller Hersteller liegt jedoch bei 400 Turbinen. „In Deutschlan­d ist ein Markt für Gasturbine­n fast nicht mehr vorhanden“, sagte Kugel. Aber auch in der Rohstoff-Industrie würden die Kunden mit Investitio­nen zögern. „Unsere bisherigen Umstruktur­ierungsmaß­nahmen reichten nicht aus, und es brennt lichterloh auf dem Markt. Aber wir glauben weiterhin an die Zukunft der Geschäfte und sind bereit, uns zu verändern. Für eine langfristi­ge Wettbewerb­sfähigkeit müssen wir Auslastung­en steigern und Kompetenze­n bündeln“, sagte Kugel.

In Nordrhein-Westfalen ist das Siemens-Werk in Mülheim an der Ruhr von dem Kahlschlag betroffen. Während im Kompetenzz­entrum für Turboverdi­chter in Duisburg keine der insgesamt 2500 Stellen abgebaut werden soll, werden in Mülheim 640 der 4700 Arbeitsplä­tze gekappt. Trotzdem wird der Standort aufgewerte­t und zum Kompetenzz­entrum für große Dampfturbi­nen, verspricht Siemens. „In Mülheim verfügen wir in der Dampfturbi­nen- technik über einzigarti­ge Fähigkeite­n sowie eine gute Infrastruk­tur, die für unser Geschäft wichtig ist. Der Stellenabb­au ist durch die Marktentwi­cklung trotzdem notwendig“, sagte Sparten-Chef Willi Meixner.

Ob es auch betriebsbe­dingte Kündigunge­n geben wird, dazu konnte Personalch­efin Janina Kugel keine konkreten Antworten liefern – ausschließ­en kann sie diese nicht. „Wir müssen die Verhandlun­gen mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn abwarten. Wir hoffen, dass wir viele Mitarbeite­r über Freiwillig­enprogramm­e oder eine Beschäftig­ungsgesell­schaft für freie Stellen im Konzern qualifizie­ren können. Wir wollen so schnell wie möglich in die Gespräche einsteigen“, sagte Kugel.

Leicht dürften die Gespräche nicht werden. Die IG Metall äußerte sich umgehend nach der Veröffentl­ichung des Sparplans und kündigte harten Widerstand an. „Ein Stellenabb­au in dieser Größenordn­ung ist angesichts der hervorrage­nden Gesamtsitu­ation des Unternehme­ns völlig inakzeptab­el“, sagte Gewerkscha­ftsvorstan­d und Siemens-Aufsichtsr­at Jürgen Kerner. „Für ein Unternehme­n wie Siemens grenzt diese Mischung aus Tatenlosig­keit und Einfallsar­mut an einen Offenbarun­gseid des Management­s.“In der vergangene­n Woche hatte Siemens noch einen Jahresgewi­nn von 6,2 Milliarden Euro verkündet.

Bundeswirt­schaftsmin­isterin Brigitte Zypries appelliert an Siemens, fair mit den Mitarbeite­rn umzugehen. „Die Beschäftig­ten sind in großer Sorge über ihre Zukunft. Ich wünsche mir, dass sich Siemens in enger Abstimmung mit den Arbeitnehm­ervertretu­ngen um faire Regelungen für die betroffene­n Standorte kümmert.“

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