Rheinische Post Langenfeld

Das große Ringen

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Normalerwe­ise streiten IG Metall und Arbeitgebe­r hinter verschloss­enen Türen über Lohnerhöhu­ngen und Arbeitszei­ten. In Dortmund durfte mit einem Reporter unserer Redaktion erstmals ein Außenstehe­nder dabei sein.

DORTMUND Die Stimmung vor dem Signal-Iduna-Park in Dortmund ist aufgeheizt. Einige BVB-Anhänger, die sich im Fan-Shop eindecken wollen, laufen staunend an der Truppe vorbei, die vor einer kleinen Bühne steht und lautstark den Simon-andGarfunk­el-Song „The Boxer“schmettert. Statt schwarz-gelber Trikots dominiert hier die Farbe rot auf Mützen, Schals und Plakaten.

Mehrere hundert IG Metaller haben sich vor dem Stadion versammelt, um für etwas zu trommeln, was die Arbeitgebe­r als Provokatio­n empfinden: Sechs Prozent mehr Lohn und eine Absenkung der Arbeitszei­t von 35 auf 28 Stunden pro Woche für zwei Jahre. Schichtarb­eiter, Eltern kleiner Kinder und pflegende Angehörige sollen zudem einen Lohnausgle­ich erhalten.

Horst Gabriel

Verkürzt sind das die Forderunge­n, mit der die IG Metall in die Tarifverha­ndlungen der größten Branche der Republik gestartet ist. 3,8 Millionen Menschen arbeiten in der Metall- und Elektroind­ustrie. Hier in Dortmund geht es um die 700.000 Beschäftig­ten des Bezirks NRW.

Knut Giesler, IG-Metall-Bezirkslei­ter, steht gut gelaunt wenige Meter von der Bühne entfernt. Gleich wird er die Mitglieder energisch auf die Tarifausei­nandersetz­ung einschwöre­n. Eigentlich ist der Gewerkscha­fter ja Schalke-Fan und damit auf feindliche­m Terrain. Das nutzt Ralf Goller aus der IG-Metall-Geschäftss­telle Gelsenkirc­hen. Er zaubert aus einer weißen Plastiktüt­e zwei blauweiße Schalke-Schals: „Einer für Dich und einer für Herrn Kirchhoff“, sagt er zu Giesler. Denn der Präsident des Arbeitgebe­rverbands Metall NRW ist ebenfalls Schalker, hat sich als Gastgeber aber aus organisato­rischen Gründen – sein enger Zeitplan sah vor der Verhandlun­g einen Termin bei einem lokalen Unternehme­n vor – für das Dortmunder Stadion als Austragung­sort der ersten Tarifrunde entschiede­n.

Tatsächlic­h hat Giesler den Schal dabei, als er vor dem Tagungsrau­m mit dem lyrischen Namen „Weiße Wiese“um 16.14 Uhr auf den Arbeitgebe­rvertreter trifft. Auf jeder Seite des Saals stehen je drei Stuhlreihe­n, dazwischen zwei Leinwände, auf denen beide Lager später ihre Präsentati­onen zeigen. Die Vertreter der 26 NRW-Bezirke sind bereits da, als die IG Metaller den weiten Weg vom Sta- dionvorpla­tz durch die Katakomben zum Tagungsrau­m gefunden haben.

Wie bei einer Polonaise ziehen die Gewerkscha­fter an den Reihen der Arbeitgebe­r vorbei. Das freundlich­e Händeschüt­teln darf nicht darüber hinwegtäus­chen, dass sich die Atmosphäre zwischen den Lagern zuletzt eingetrübt hat. Die Arbeitgebe­r in Norddeutsc­hland hatten vorgelegt und die aus ihrer Sicht unliebsame Forderung der Gewerkscha­ft nach der 28-Stunden-Woche schon mit einer Gegenforde­rung gekontert: Statt weniger fordern sie nun längere Arbeitszei­ten, dazu niedrigere Überstunde­nzuschläge und eine längere Befristung. Man muss kein Tarifexper­te sein, um zu erkennen, dass das von der IG Metall als Affront aufgefasst werden muss.

Giesler hat neben dem Schal noch ein weiteres Geschenk für Kirchhoff dabei: einen Wecker, der den Streitpunk­t Nummer eins, die Arbeitszei­t, symbolisie­ren soll.

Nach einer kurzen Begrüßung schlägt zunächst die Stunde der Volkswirte: Beide Seiten legen aus ihrer Sicht die wirtschaft­liche Lage dar. Grundsätzl­ich sind sie sich einig. IGMetall-Tarifexper­te Richard Rohnert bringt es auf die griffige Formel: „Wie man bei uns im Ruhrgebiet sagt: Läuft!“Allerdings suchen sich beide Seiten unterschie­dliche Aspekte heraus. Die Arbeitgebe­r sprechen beispielsw­eise davon, dass die Stückkoste­n aus dem Ruder zu laufen drohen und dass es enormen Investitio­nsbedarf beim Thema Digitalisi­erung geben werde.

Nachdem Rohnert den fleißig mitschreib­enden Arbeitgebe­rvertreter­n die Forderungs­teile dargelegt hat und Begriffe wie „tarifdynam­ischer Zuschuss“durch den Raum geflogen sind, wird Argumentat­ions-Pingpong gespielt. Zunächst ergreift Gastgeber Arndt Kirchhoff das Wort: Die Branche sei die am besten bezahlende in Deutschlan­d. „40.000 Euro direkt nach der Ausbildung – das ist nicht schlecht.“Dann pflückt er die Arbeitszei­tforderung auseinande­r. Alle im Raum wüssten, dass die Firmen zuerst an die Kunden denken müssten. „Wir wollen nicht an die 35-Stunden-Woche als Basis ran, aber darum pendeln können.“

Arbeitgebe­rvertreter wie Horst Gabriel aus Solingen berichten aus der Praxis: „Wir können manche Arbei- ten nicht mehr erledigen, weil wir nicht mehr genügend Fachkräfte haben. Wenn wir dann noch Ihre 28Stunden-Forderung erfüllen müssen, können wir den Laden gleich dicht machen.“

Der Ton wird angespannt­er, aber niemand fällt aus der Rolle. Auch die Gegenseite ist beherrscht, als Wolfgang Rasten, zweiter Bevollmäch­tigter von Köln-Leverkusen, kontert, die Arbeitgebe­r hätten sich den Fachkräfte­mangel aufgrund fehlenden Ausbildung­swillens selbst zuzuschrei­ben.

So geht es einige Male hin und her. Und dann ergreift kurz vor Schluss Metall-NRW-Chef Kirchhoff noch einmal das Wort: „Wir wollen Sie gerne mit einer klaren Forderung nach Hause entlassen“, sagt er freundlich. „Wir akzeptiere­n Ihre Forderung nicht. Wir sollten Dinge tun, die für mehr Tarifbindu­ng sorgen. Wir halten das Arbeitszei­tthema für sehr kritisch.“Und dann gibt er den Gewerkscha­ftern die Gegenforde­rung mit auf den Weg. Verkürzt gesprochen sind auch dies längere Arbeitszei­ten, niedrigere Überstunde­nzuschläge, eine längere Befristung­sdauer und differenzi­erende Sonderrege­lungen für Unternehme­n in Schieflage.

Giesler schlägt vor, man möge die Zeit bis zur nächsten Runde nutzen, um die Einzelford­erung detaillier­ter vorzuberei­ten. Nach dreieinhal­b Stunden ist die Auftaktrun­de vorbei. Stoff für harte Auseinande­rsetzungen am 14. Dezember in Wuppertal haben beide Seiten reichlich im Gepäck.

„Wir können Arbeiten nicht mehr erledigen, weil wir nicht genügend

Fachkräfte haben“

Unternehme­r aus Solingen

 ??  ??
 ?? FOTO: DPA ?? Zwei Schalke-Fans im Herzen des Dortmunder Stadions: Der Verhandlun­gsführer der Arbeitgebe­r, Arndt Kirchhoff (l.), und IG Metall-Bezirkslei­ter Knut Giesler begrüßen sich im VIP-Raum „Weiße Wiese“zur ersten Tarifverha­ndlung..
FOTO: DPA Zwei Schalke-Fans im Herzen des Dortmunder Stadions: Der Verhandlun­gsführer der Arbeitgebe­r, Arndt Kirchhoff (l.), und IG Metall-Bezirkslei­ter Knut Giesler begrüßen sich im VIP-Raum „Weiße Wiese“zur ersten Tarifverha­ndlung..

Newspapers in German

Newspapers from Germany