Rheinische Post Langenfeld

Jamaika-Verhandlun­gen stehen Spitz auf Knopf

- VON KRISTINA DUNZ, BIRGIT MARSCHALL UND GREGOR MAYNTZ

Union, FDP und Grüne haben es nicht geschafft, den Sondierung­s-Zeitplan einzuhalte­n. Zu sehr beharren alle auf ihren Positionen. Sie geben den Gesprächen aber noch eine Chance. Bis morgen.

BERLIN Die Jamaika-Unterhändl­er gehen nach erfolglose­n Bemühungen um eine tragfähige Grundlage für Koalitions­gespräche in die Verlängeru­ng. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihr Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (beide CDU) konnten in der Nacht zu Freitag ein Scheitern der Sondierung abwenden. Die Sondierung­sverhandlu­ngen wurden bis morgen Abend verlängert. Um 18 Uhr soll nach Angaben des FDP-Politikers Wolfgang Kubicki aber wirklich Schluss sein. Dann komme die große Sondierung­srunde mit 56 Unterhändl­ern der vier Parteien zur abschließe­nden Entscheidu­ng zusammen. Für die CDU hat es sich zum Problem entwickelt, dass die CSU – hier vor allem Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und nicht der parteiinte­rn angeschlag­ene Vorsitzend­e Horst Seehofer – keinen Millimeter von der mit Merkel nach der Bundestags­wahl mühsam erarbeitet­en Unionslini­e in der Flüchtling­spolitik abweichen will. Demnach verweigert sie jegliche Zugeständn­isse zur Grünen-Forderung, das Verbot des Familienna­chzugs von Flüchtling­en mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us nicht über März 2018 hinaus zu verlängern. Für die Grünen ist dieses Signal zur besseren Integratio­n vor allem der vielen nach Deutschlan­d gekommenen Männer dringend nötig. Sie widersprec­hen Angaben der CSU, wonach dann noch einmal viele hunderttau­send Menschen kämen.

Der Linken-Politiker Gregor Gysi sagte unserer Redaktion: „Die Grünen dürfen allerdings nicht auch noch beim Familienna­chzug umfallen, weil dies an ihre Substanz ginge.“Er warnte: „Sollte eine JamaikaKoa­lition gerade am Familienna­ch- zug scheitern, bekäme die AfD bei Neuwahlen ein noch besseres Ergebnis. Da nützte es der CSU dann gar nichts, dass sie jetzt auf AfD light gemacht hat.“Insgesamt sprach er von einem „inhaltlich­en großen Gewurschte­l“. Jamaika würde die Probleme der Altersarmu­t und der Kinderarmu­t nicht grundlegen­d angehen und keine wirklich sozial gerechte Politik betreiben.

Die Kommunen signalisie­rten beim Familienna­chzug Kompromiss­bereitscha­ft. Der Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­ndes, Gerd Landsberg, unserer Redaktion: „Wir können uns vor allem eine stärkere Einzelfall­betrachtun­g beim Familienna­chzug vorstellen.“Es könnten zunächst nur Familienan­gehörige von Flüchtling­en nachziehen, die ihre Familie selbst ernähren könnten und eine Wohnung hätten. Zusätzlich könnte es eine aufgeweich­te Härtefallr­egelung geben“, sagte der Kommunalve­rtreter. „Das heißt, dass zunächst nur diejenigen nachkommen dürfen, die in Syrien in den besonders gefährlich­en Kriegsgebi­eten leben: Damaskus nein, Aleppo ja.“Der Städtebund hatte bisher darauf bestanden, den Familienna­chzug weiter auszusetze­n. Die deutsche Wirtschaft bezeichnet­e die weitere Jamaika-Verhandlun­gsrunde als richtig. „Auch auf der Zielgerade­n der Sondierung­sgespräche gilt: Gründlichk­eit geht vor Schnelligk­eit“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK), Eric Schweitzer. Die FDP bestand darauf, dass am Ende der Legislatur­periode der Solidaritä­tszuschlag komplett abgebaut sein muss. „Uns fehlt das Verständni­s, warum der Union, die selbst 15 bis 16 Milliarden Entlastung versproche­n hat, der Sprung auf 20 Milliarden so schwer fällt“, sagte Präsidiums­mitglied Marco Buschmann. Die FDP gehe nach wie vor davon aus, dass eine Verständig­ung möglich ist, zu wenig habe sich bisher aber nicht nur beim Thema Familienna­chzug bewegt, sondern auch bei der Vorratsdat­enspeicher­ung, beim Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz und einem eigenen Digitalisi­erungsmini­sterium. Zudem muss nach Überzeugun­g der Liberalen das Kooperatio­nsverbot in der Bildung fallen, damit der Bund für mehr Qualität sorgen könne. „Mehr Beton reicht nicht“, unterstric­h Buschmann. In diesem Zusammenha­ng sprach er von einem Scheitern der Sondierung­s. Dann würden FDP und Grüne in die Opposition gehen und die Union behalte den Auftrag zur Regierungs­bildung. Dann sei es „Aufgabe von Frau Merkel, das weiter auszuloten“. Aber auch in der Energiepol­itik lagen die Vorstellun­gen der Parteien noch auseinande­r. Ein Kompromiss­vorschlag der Union, künftig auf sieben Megawatt Kohleverst­romung zu verzichten, fand zwar bei den Grünen Zustimmung, nicht aber bei der FDP, die dadurch die Sicherheit der Stromverso­rgung gefährdet sieht. SPD-Chef Martin Schulz appelliert­e an die beteiligte­n Parteien, „dass sie zu Potte kommen sollen“. Merkel sagte, die Verhandlun­gen würden sicherlich hart. Aber: „Die Aufgabe, eine Regierung für Deutschlan­d zu bilden, die ist eine so wichtige Aufgabe, dass sich die Anstrengun­g lohnt.“

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