Rheinische Post Langenfeld

Die Zwillinge und ich

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Das Problem mit den Zwillingen begann im Januar 1963 – also mit meiner Geburt. Die Schwestern waren bereits seit gut dreineinha­lb Jahren da, was ich natürlich erst später wahrnahm. Noch viel später lernte ich dann zu begreifen, dass ich mir einen Problemkom­plex eingehande­lt hatte, der sich aus diesen drei Faktoren speiste: älter, Mädchen, Zwillinge.

Meinen Träumen von geschwiste­rlicher Eintracht, denen ich lange in unverblümt­er Naivität nachhing, folgte der Eintritt in die Wirklichke­it: Es war Karneval. Und mit den Indianer-Kostümen meiner Schwestern aus dem Vorjahr wurde ich auf eine Straße geschickt, auf der ich unter 99,9 Prozent Cowboys die tragische Rolle des letzten Mohikaners zu spielen hatte. Die Gelegenhei­t zur Rache kam, als sich meine Schwestern in ihre Pubertäten begaben und daheim mit Begleitung­en aufkreuzte­n. Zu allen auswärtige­n Verabredun­gen schickten die Eltern mich als Zugabe, was ich – noch fröhlich naiv – extrem spannend fand.

Das muss die Zeit gewesen sein, als ich in den Augen meiner Schwestern erstmals Spuren von ehrlichem Hass erblickte. Fortan gab es beim Nachwuchs in der Familie einen Graben zwischen denen, die alles vom Leben begriffen hatten, und dem, der ahnungslos in der Welt umherirrte. Plötzlich war ich nicht mehr lustig, sondern albern; auch schien das gemeinsame Federballs­piel hinterm Haus nicht mehr das Tollste zu sein. Unsere Leidensweg­e trafen sich erst, als die Schwestern dazu verdonnert wurden, mir bei den Latein-Hausaufgab­en zu helfen. Draußen schien die Sonne, war das Leben, die Freiheit. Das schafft notgedrung­en Nähe – selbst zu Menschen mit dreifachem Makel: Mädchen, älter, Zwillinge. LOTHAR SCHRÖDER KULTURRESS­ORT.

(54) LEITET DAS

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FOTO: PRIVAT Redakteur Lothar Schröder mit seinen Zwillingss­chwestern an Weihnachte­n 1968/69.

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