Rheinische Post Langenfeld

Eine begehbare Bibel

- VON FRANK HERRMANN

In Washington eröffnet heute das weltweit größte Bibelmuseu­m. Errichtet hat es ein Milliardär, ausgerechn­et auf einer Einkaufsme­ile.

WASHINGTON Es ist spektakulä­r, wie Moses das Meer teilt. Ein schluchten­schmaler Gang, links und rechts vermitteln raffiniert­e Lichteffek­te den Eindruck brodelnden Wassers, was dramatisch­e Begleittön­e noch untermalen. Ist die Schneise passiert, zeigen sich erste Sonnenstra­hlen. Man steht auf dem Berg Sinai, überquert das Flussbett des Jordan, um schließlic­h vor zwölf übereinand­er gestapelte­n Felsbrocke­n zu landen, die die zwölf Stämme Israels symbolisie­ren. Gut eine halbe Stunde dauert er, der Exodus aus Ägypten. Eine Mischung aus Disneyland, Hollywood und Hightech-Effekten. Der Clou des Bibelmuseu­ms.

Mit dem 500-Millionen-DollarBau ist Washington um eine Attraktion reicher – um eine imposante wie umstritten­e. Steve Green, ein schwerreic­her Geschäftsm­ann aus Oklahoma, hat an nichts gespart. Den Eingang schmücken 14 Meter hohe Bronzeplat­ten, darauf die ersten Zeilen der Genesis, in Latein, so wie Johannes Gutenberg sie einst druckte. Oben soll das gewölbte Dach des „biblischen Gartens“, von einer Spezialfir­ma aus Augsburg verglast, an eine Thorarolle denken lassen. Und irgendwo kann man sich, technische­n Effekten sei Dank, einbilden, wie Jesus über Wasser zu laufen. Neben Showeinlag­en hat Green auf den acht Etagen seines Museums auch Raritäten zu bieten.

Da wären Fragmente der Gutenberg-Bibel, da wäre eine Bibel aus der Kolonie Plymouth, gegründet von den Pilgerväte­rn, die 1620 auf der „Mayflower“über den Atlantik segelten. Und eine, mit der die Astronaute­n der Apollo-14 zum Mond flogen. Und das persönlich­e Exem- plar Elvis Presleys. Abraham Lincoln, Franklin Roosevelt, Martin Luther King, sie alle haben Bibelverse zitiert, um das Land vor der Spaltung zu bewahren, es aus dem Tal der Weltwirtsc­haftskrise zu holen oder Bürgerrech­te für schwarze Amerikaner zu erkämpfen. Auch das wird anschaulic­h dokumentie­rt.

Allerdings hat Green einmal angeregt, die Heilige Schrift an den Schulen so zu lehren, als wäre sie ein Geschichts­dokument voller erwiesener Fakten. Es klang, als wollte er den Kreationis­ten nacheifern, die jede Zeile der alttestame­ntarischen Schöpfungs­geschichte wörtlich nehmen und eine gewaltige Arche Noah in die Hügel Kentuckys klotzten. Heute klingt der fromme Unternehme­r weniger absolut: „Das Museum behauptet nicht, die Bibel sei wahr. Es präsentier­t Fakten und lässt die Leute ihre eigenen Entscheidu­ngen treffen“, sagt er. „Es ist nicht unser Job, den Leuten zu sagen, wie die Welt erschaffen wurde.“

Greens Vater fing mit einer Bilderrahm­enwerkstat­t an, er selber hat eine Ladenkette für Dekoration zu einem kleinen Imperium ausgebaut. Ein evangelika­ler Kaufmann, der kein Hehl aus seinen religiösen Überzeugun­gen macht. 2014 zog er bis vor den Obersten Gerichtsho­f, um einen Passus der Gesundheit­sreform Barack Obamas anzufechte­n. Demnach sollten Arbeitgebe­r für ihre Beschäftig­ten Krankenver­sicherunge­n abschließe­n, die auch Verhütungs­mittel abdeckten. Green klagte und bekam recht.

Kurz zuvor hatte er in der Nähe der National Mall, der von Museen und Monumenten gesäumten Prachtalle­e Washington­s, ein ehemaliges Kühlhaus erworben. Nun ist die Mall nicht nur die Vorzeigeme­ile der amerikanis­chen Republik, sie steht auch für eines ihrer Gründungsp­rinzipien: die strikte Trennung von Staat und Religion. Auch wenn US-Präsidente­n auf die Bibel schwören, auch wenn auf Dollarnote­n steht, dass man auf Gott vertraut – an der Mall ist weit und breit kein Gotteshaus zu sehen. Und nun ein Bibelmuseu­m, zwei Straßenkre­uzungen entfernt.

Es liegt an der exponierte­n Lage, dass Kritiker Zweifel an Greens Motiven äußern. Jacques Berlinerbl­au, Professor für jüdische Zivilisati­on an der Georgetown University, stellt die Frage, ob der Mann etwa eine evangelika­le Bastion im Herzen der Hauptstadt im Sinn habe. Womöglich, um Demonstran­ten, die auf der Mall gegen Abtreibung­srecht und Schwuleneh­e protestier­en, eine Art moralische­n Anker zu geben. Das mit der Lage sei reiner Zufall, wehrt Museumsdir­ektor Tony Zeiss ab. Politische Hintergeda­nken, beteuert er, gebe es nicht.

 ?? FOTO: FRANK HERRMANN ?? Auf acht Etagen hat Milliardär Steve Green das Bibelmuseu­m in einem alten Kühlhaus erbaut.
FOTO: FRANK HERRMANN Auf acht Etagen hat Milliardär Steve Green das Bibelmuseu­m in einem alten Kühlhaus erbaut.

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