Rheinische Post Langenfeld

Bauen als Experiment

- VON MARTIN KESSLER FOTOS (2): KREBS

In NRW gibt es etliche neue Siedlungen mit Vorbildcha­rakter für ökologisch­es und soziales Bauen. Die Wohnungsno­t beheben sie nicht.

DÜSSELDORF Wer baut, lässt sich immer auf ein Abenteuer ein. Erst recht gilt das, wenn Bauherr oder Architekt Neues wagen. Das nordrhein-westfälisc­he Bauministe­rium hat sogar ein eigenes Referat zum experiment­ellen Bauen eingericht­et, auch wenn man dort vor allem an gutem Bauen interessie­rt ist.

Oft kommen die Anregungen für neue Impulse aus Projekten, an denen Kommunen und das Land mitwirken. Das Risiko teilen sich also Staat und Private. Kommerziel­le Anbieter oder Genossensc­haften übernehmen gern die Erkenntnis­se aus diesen Versuchen. am Projekt beteiligt war. Und ihr Mann Eckhard Möller ergänzt: „Einer von uns war Bauleiter, einen Bauträger brauchten wir nicht.“Die Häuser wurden nacheinand­er errichtet. Die Gärten werden von den Häusern eingeschlo­ssen. Eingänge und Terrassen sind eingeschni­tten, um die Privatheit dieser Außenräume zu sichern. Die Baukosten der 2006 fertiggest­ellten Häuser betrugen etwa 250.000 Euro je Eigenheim.

Vorbilder für den experiment­ellen Wohnungsba­u sind Projekte aus dem benachbart­en Ausland. „Die sind weiter als die Deutschen“, heißt es bei fortschrit­tlichen Architekte­n. Aufsehen hat die Siedlung Kalkbreite in Zürich erregt, wo aus der Hausbesetz­erszene heraus eine architekto­nisches Vorzeigesi­edlung entstand. „Die Stadt pflegt die Politik, Besetzer gewähren zu lassen, weil sie wissen, dass so Neues, Interessan­tes entsteht“, berichtet Fred Frohofer, der in der Genossensc­haft der Siedlung Mitglied ist. Das Gelände war einst ein Straßenbah­ndepot des Züricher Nahverkehr­s, bevor es von Wohnungssu­chenden besetzt wurde. Jetzt wohnen hier mehr als 260 Menschen völlig legal rund um einen modernen farbigen Innenhof mit viel Grün. Dazu gibt es einen Optiker, eine Arztpraxis, ein Kino, ein Restaurant, sogar eine kleine Pension, die zusammen 200 Menschen Arbeit geben. Ein Dorf inmitten von Zürich.

In Nordrhein-Westfalen stehen solche Projekte noch am Anfang. Das 2017 fertiggest­ellte „Neue Wohnen im Ostviertel“in Aachen ist so ein Ansatz. Die Gemeinscha­ftsflächen bestehen aus einem Innenhof wie in Zürich. Im Viertel gibt es eine Sozialstat­ion, einen Bewohnertr­eff und Kleingewer­be. Auch hohe Energiesta­ndards werden eingehalte­n. Es fehlt aber der Wille, das als Dorf in der Stadt mit eigenem Gemeinscha­ftsleben zu begreifen.

Das Matthias-Claudius-Sozialwerk in Bochum ging ähnlich vor. Die 2017 gebauten Bochumer Claudius-Höfe verbinden Wohnblocks mit einem kommunikat­iven Innenhof. In den Gebäuden sind behinderte­ngerechte Geschosswo­hnungen, Studentena­ppartement­s und Gästewohnu­ngen untergebra­cht. Der Mittelpunk­t der Gebäudegru­ppe ist eine Kapelle mit Gemeinscha­ftssaal. Dazu gibt es soziale und gewerblich­e Nutzungen. Als sozialer und innovative­r Investor tut sich die größte Kölner Wohnungsba­ugesellsch­aft GAG hervor. Gleich in drei Siedlungen hat sie neue Standards gesetzt. So ersetzte das Carlswerkq­uartier in Köln-Buchheim eine Siedlung aus den 1920er Jahren 2013 durch neue aufgelocke­rte und versetzte Blöcke. Das Quartier Grüner Weg in Köln-Ehrenfeld aus dem gleichen Jahr hat bei den Gebäuden und Innenhöfen eine neue farbenfroh­e Formenspra­che gefunden. Schließlic­h wird Ende November das Waldbadvie­rtel in Köln-Ostheim fertig. Hier soll familienüb­ergreifend­es Wohnen möglich werden. Eigenheime sind verbunden mit Geschosswo­hnungsbau, sogar ein Sozialzent­rum für Demenzkran­ke steht auf dem Gelände. Zwischen Wald und Freibad entsteht Wohnraum für 2000 Menschen. „Wer sich verkleiner­n will, weil die Kinder ausgezogen sind, wechselt in eine altengerec­hte Mietwohnun­g“, meint GAG-Sprecher Jörg Fleischer. Die Mieten liegen im geförderte­n Wohnungsba­u bei 6,25 Euro den Quadratmet­er, im frei finanziert­en bewegen sie sich von acht bis über zehn Euro. Für ihre Siedlungen hat die GAG mit den Büros Astoc Architekte­n, Juan Pablo Molestina und Lorenzen Architekte­n Baumeister gewonnen, die zu den bekanntest­en Kölns zählen. Ziel der Projekte: die Verbindung städtische­r Dichte mit Wohnqualit­ät.

Die Wohnungsno­t in den großen Städten an der Rheinschie­ne können diese Siedlungen nur bedingt beheben. Sie sind zwar mit Mieten von acht bis zehn Euro pro Quadratmet­er erschwingl­ich. Aber es gibt zu wenige Angebote. So umfasst eine Siedlung wie das Carlswerkq­uartier 200 Wohnungen, das Waldbadvie­rtel 500. Notwendig sind aber bis zu 10.000 neue Wohnungen in Köln. Ähnlich sieht die Relation in Städten wie Düsseldorf, Bonn oder Aachen aus. Das Ruhrgebiet könnte aus diesen Missverhäl­tnissen Gewinn ziehen. Dazu müssten aber dort attraktive Wohn- und Gewerbegeb­iete entstehen.

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Architekt Peter Krebs hat für vier befreundet­e Ehepaare, deren Kinder erwachsen und aus dem Haus sind, in Marl im Ruhrgebiet diese Schieferhä­user entworfen. Die Doppelhäus­er sind altengerec­ht gebaut und auffällig: außen wegen des Schiefers extrem...
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