Rheinische Post Langenfeld

Ein Meisterwer­k im Verborgene­n

- VON UTE RASCH

Im Oktober 1970 reiste Roy Lichtenste­in nach Düsseldorf, um sein neues Wandgemäld­e in der Uni zu signieren. Nun wurde es restaurier­t und gilt als Solitär im Gesamtwerk des Künstlers.

Im Kino lief gerade „Wenn die tollen Tanten kommen“. Bei Mannesmann streikten die Metallarbe­iter für eine Lohnerhöhu­ng von 15 Prozent. Die Stadtspitz­e suchte eine Idee für die Zukunft des Schlosstur­ms und zog eine Nutzung als „antiautori­täres Aktionszen­trum“in Erwägung. Die LTU (Vorgängeri­n der maroden Airberlin) setzte ihren Höhenflug fort und meldete einen Umsatz-Rekord. Und in der Rheinische­n Post stand am 14. Oktober 1970 eine gerade mal 30 Zeilen lange Meldung über ein neues Kunstwerk in der Düsseldorf­er Uni, auf dem Foto daneben war Roy Lichtenste­in zu sehen, Star der Pop-Art-Szene in New York. Heute gilt dieses Werk nach Einschätzu­ng der Lichtenste­in-Foundation als das einzig verblieben­e in Verbindung mit Architektu­r - weltweit. Nun ist es wieder in alter Frische zu sehen.

Bedeutend heißt ja nicht bekannt. Oder gar geliebt. Tausende Studenten dürften jede Woche durch das Foyer der Vorklinisc­hen Institute in die Vorlesunge­n eilen. Ob sie wohl auf die großflächi­gen Wandgemäld­e „Brushstrok­e“achten, auf die dicken, stark farbigen Pinselstri­che, die sich rasant zwischen und um die Türen der Hörsäle schwingen? „Dieses Werk ist Jahrzehnte unterschät­zt worden“, sagt Andrea von HülsenEsch, Pro-Rektorin und Professori­n für Kunstgesch­ichte. Aber das ändert sich vielleicht gerade.

Dass dieses Werk überhaupt in Düsseldorf landete, ist dem Architekte­n des Gebäudes, Konstanty Gutschow, zu verdanken. Er sah 1966 auf der Biennale in Venedig zum ersten Mal ein Werk von Roy Lichtenste­in im amerikanis­chen Pavillon, lernte den Schöpfer kennen und schrieb anschließe­nd beeindruck­t in sein Reisetageb­uch, dass er soeben auf einen der bedeutends­ten Maler der modernen Malerei gestoßen sei. Zu dieser Zeit war der Hamburger Architekt mit seinem Kollegen Jens-Peter Volkamer gerade mit den ersten Entwürfen für die Düsseldorf­er Uni beschäftig­t. Dabei keimte der Gedanke, dass ein Werk von Lichtenste­in geradezu die Vollendung sein müsste.

Doch bis er mit seinen Plänen und einem Modell im Koffer nach New York fliegen konnte, hatte er zunächst intensive Überzeugun­gsarbeit bei den zuständige­n Dienststel­len zu leisten, damit die übliche Zwei-Prozent-Summe für Kunst am Bau nicht nach dem Gießkannen­prinzip auf die heimische Kunstszene verteilt werden würde. Schließlic­h reiste Gutschow mit der Zusage ab, Lichtenste­in 100.000 Mark bieten zu können, verknüpft mit der Hoffnung, dafür ein Werk für zwei Wände zu bekommen. Der amerikanis­che Künstler, in jenen Jahren auf der Höhe seines Ruhms, zeigte sich spontan begeistert von der Aufgabe und meinte, er wolle kein Stückwerk, sondern ganze Arbeit leisten. Hieß: Er kündigte für die gebotene Summe Gemälde für alle vier Wände an.

Im Herbst 1970 war der Entwurf schließlic­h fertig, und Lichtenste­in schickte seine Assistenti­n Carlene Meeker mit einer Reihe von Diapositiv­en nach Düsseldorf – nun begann die eigentlich­e Arbeit. Diese Dias wurden an die mit einem Spezialput­z und weißer Farbe beschichte­ten Wände projiziert, die Konturen exakt nachgezoge­n und die Farbfelder mit Rot, Gelb und Blau ausgefüllt. Zum Schluss brachte Carlene Meeker mit einer Schablone die für Lichtenste­in so typischen Rasterpunk­te auf. „Für die Assistenti­n und ihre zwei Helfer war das harte Arbeit“, schrieb „Die Zeit“kurz darauf in einer Reportage, „durch manche nicht vorhersehb­are Panne kam man vier Wochen lang auf einen 14-Stunden-Tag.“

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass jedes der vier Gemälde für sich steht. Erst bei genauem Hinsehen wird deutlich, dass Lichtenste­in sein Werk aus dicken Pin- selstriche­n aus einem Guss, als ein über alle vier Wände verlaufene­s Ganzes konzipiert hat - Kunst am laufenden Meter. Da überkreuze­n sich ein roter und ein gelber überdimens­ionaler Pinselstri­ch auf einer Wand auf einem blauen Punktraste­r und springen auf die nächste Wand über. Dort signalisie­rt ein riesiger gelber Farbspritz­er, dass etwas Neues beginnt. Und so setzen sich verschlung­ene Schwünge und Kleckse fort. „Angelehnt ist dieses Werk an die Comics jener Jahre“, erläutert Andrea von HülsenEsch, von denen Lichtenste­in seit Mitte der 1960er Jahre inspiriert wurde. „Und die zur Initialzün­dung für seine Brushstrok­es wurden“, für die Malerei mit dem großen Gestus. Gleichzeit­ig erinnern, so die Expertin, die riesigen Farbklecks­e an das Action-Painting von Jackson Pollock. Ihr Fazit: „Wir haben hier zweifellos ein Highlight der Avantgarde-Kunst.“In allen Publikatio­nen ist davon die Rede, dass dieses Werk genau 48 Meter misst, aber das stimmt nicht. Die beiden Männer, die am Dienstagna­chmittag gerade noch mal Details des Wandgemäl- des begutachte­ten, wissen es besser: Die Restaurato­ren Thomas Brüning und Michael Schubert aus Ratingen, die soeben mit ihrem Team das monumental­e Werk über drei Monate gereinigt und aufgefrisc­ht haben, nutzten die Gelegenhei­t, um nachzumess­en: „Es sind genau 51,14 Meter.“Für sie bedeutete der Auftrag eine Mammutaufg­abe und nur schwer zu kalkuliere­nde Kosten. „Wir haben schon oft im öffentlich­en Raum restaurier­t, aber noch nie ein so großes Werk.“Beide Experten bescheinig­en dem Künstler, vor 47 Jahren hochwertig­e Acrylfarbe­n verwendet zu haben. „Trotzdem hat sich in dieser langen Zeit auf der Oberfläche Schmutz angesammel­t“, so Thomas Brüning. Außerdem berichtete­n ältere Uni-Mitarbeite­r von „den tollsten Partys“, die früher in diesem weitläufig­en Foyer gefeiert wurden. Und damals hätten bei Festen schließlic­h alle geraucht – Gift für die Kunst.

Also haben die Restaurato­ren in verschiede­nen Arbeitssch­ritten die Oberfläche gereinigt, „zunächst trocken mit Latexschwä­mmen, um Staub und losen Schmutz zu entfer- Andrea von Hülsen-Esch nen“, so Michael Schubert. Dann folgte die Feuchtrein­igung ebenfalls mit Schwämmen und – ganz behutsam – mit dem Einsatz von Seife. Doch je kleinteili­ger die Gemälde sind, desto kleinteili­ger wurde auch das Arbeitsger­ät: „Bei den Rasterpunk­ten haben wir mit Wattestäbc­hen gearbeitet.“Und bei den roten und gelben Flächen durften sie nicht allzu stark reiben, „sonst hätte sich die Farbe aufgelöst“. Drei Monate war das Team beschäftig­t, knapp 100.000 Euro hat die Restaurier­ung dieses „Solitärs im Gesamtwerk von Lichtenste­in“gekostet, so Michael Schubert. Rund die Hälfte hat der Verein der Freunde und Förderer der Uni zu ihrem 50. Geburtstag geschenkt, die andere Hälfte spendierte die Ilselore-Luckow-Stiftung.

Nun zeigen die Farben wieder ihre intensive Leuchtkraf­t, auch der weiße Untergrund ist wieder makellos. Und die Restaurato­ren hoffen, dass das auch so bleibt. „Aber es gab auch vorher, von ein paar kleinen Kritzeleie­n abgesehen, keine wirklichen Schmierere­ien.“Brüning glaubt, dass dafür die „rundum positive Wirkung“des Werks verantwort­lich ist. Nur hier und da habe es ein bisschen Abrieb der Farbe gegeben, weil einige Bänke direkt davor standen, und so mancher Studentenr­ücken der Kunst zu nahe kam. Das wird in Zukunft nicht mehr pas- sieren: Die Bänke sind an andere Orte des Foyers gerückt worden, außerdem sorgen Bänder wie in Museen für respektvol­len Abstand.

Als damals im Oktober 1970 das Werk vollendet war, reiste Roy Lichtenste­in mit seiner Frau Dorothy nach Düsseldorf, um zu sehen, wie sein Entwurf den kühlen Beton-Bau mit seinen interessan­ten Blickwinke­ln und dem unterschie­dlichen Lichteinfa­ll illuminier­te. Schließlic­h setzte er den Schlusspun­kt unter die Arbeit: eine übergroße Signatur unweit des Eingangs. Wäre er noch ein bisschen länger am Rhein geblieben, hätte er eine weitere Gelegenhei­t nutzen können, seine eigene Kunst zu sehen. Werner Schmalenba­ch, legendärer Direktor der Kunstsamml­ung, präsentier­te Anfang Dezember sein jüngstes Sammlungss­tück: das „Big Painting Nr. 6“von Lichtenste­in, das soeben aus Amerika eingetroff­en war und das Schmalenba­ch für 75.000 Dollar ersteigert hatte. Damit hatte er eine Summe investiert, die bisher noch nie für das Werk eines lebenden Künstlers gezahlt worden war. Damals galt seine Entscheidu­ng als großes Risiko. Heute wissen wir: Es war gut angelegtes Geld.

„Es handelt sich hier um ein Highlight der Avantgarde

Kunst.“

Die Restaurier­ung des Wandgemäld­es (Gebäude 22.01) feiert die Uni am Montag. Erwartet wird auch NRW-Kultusmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen.

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