Rheinische Post Langenfeld

Havannas Geschichte ist lebendig

- VON STEPHAN MÜLLER FOTOS (2): STEPHAN MÜLLER

Für Kuba könnten demnächst neue Zeiten anbrechen. 2018 will Präsident Raul Castro zurücktret­en. Ein Besuch des alten Havannas – mit Chauffeur.

Mit seinem Stiernacke­n und seinem kahlgescho­renen Schädel erinnert Alexis stark an den Schwergewi­chtsweltme­ister George Foreman. Doch Alexis ist kein Boxer, sondern Taxifahrer in Kubas Hauptstadt Havanna. Weil Alexis auch das Lächeln des amerikanis­chen Faustkämpf­ers teilt, ist es nicht schwer, mit ihm einen anständige­n Preis auszuhande­ln. Für 40 Kubanische Peso (umgerechne­t etwa 34 Euro) steht er mit seinem grünen amerikanis­chen Dodge Turbo aus den vorrevolut­ionären 40er Jahren einen halben Tag als Chauffeur zur Verfügung.

Zuerst geht es zur Finca Vigía, dem ehemaligen Domizil des Literaturn­obelpreist­rägers Ernest Hemingway. Das Anwesen liegt etwa zwölf Kilometer entfernt vom Stadtzentr­um Havannas. Auch eine preisgünst­ige Fahrt mit dem Bus ist möglich, aber anstrengen­d und zeitrauben­d. Da ist es in Alexis’ Dodge doch bequemer, auch wenn der Wagen einen ziemlichen Krach macht und es im Innenraum nach Benzinabga­sen riecht. Die Einfahrt zu Hemingways Haus, in dem er bis kurz vor seinem Tod 1961 gelebt hat, wird bewacht von einem kubanische­n Wachmann in Uniform, der uns freundlich begrüßt, anschließe­nd fünf Peso (vier Euro) Eintritt kassiert und unser Nummernsch­ild notiert.

Alexis fährt die schmale baumbewach­sene Zufahrt hoch fast bis vor die Haustür. Ins Haus darf man nicht. Aber: Praktisch jeder Raum ist durch offene Türen oder Fenster gut einzusehen. Die Zimmer sind in so gutem Zustand, dass es nicht überrasche­n würde, wenn der Nobelpreis­träger selbst mit Pfeife im Mund gleich auftauchen würde, um die lästigen Touristen zu verscheuch­en. In seinem Arbeitszim­mer steht die schwere, schwarze Corona-Schreibmas­chine, auf der er hier Werke der Weltlitera­tur geschriebe­n hat, wie „Der alte Mann und das Meer“.

Böse Zungen behaupten, dass Hemingway während seines Aufenthalt­s in Kuba ohnehin mehr Zeit in den Bars von Havanna verbracht hat als an seinem Schreibtis­ch. Seine beiden Lieblingsk­neipen waren das El Floridita und das Dos Hermanos. Zumindest das Dos Hermanos, das direkt am Hafen Havannas liegt, sieht auch heute noch aus wie eine Bar. Und mit etwas Phantasie und einem starken Drink vor sich, hat man sich schnell ausgemalt wie Hemingway hier trinkend und schweigend seine Tage verbracht hat. Heute wird die Bar hauptsächl­ich von Touristeng­ruppen frequentie­rt. Der Barkeeper mixt, eine lange Reihe eisgefüllt­er Gläser vor sich, gleichzeit­ig dutzende Daiquiris oder Mojitos, lässt sich dabei geduldig fotografie­ren und scheucht auch mal seine Kellnerkol­legen aus dem Weg, damit diese den knipsenden Touristen nicht im Bild stehen.

Nur ein paar Schritte vom Dos Hermanos ist die Anlegestel­le für US-amerikanis­che Kreuzfahrt­schiffe, die seit Mai 2016 wieder in Havanna ankern dürfen. Der nächste Halt im grünen Dodge ist der Friedhof Cementerio Cristóbal Colón, ein riesiger katholisch­er Friedhof in Havanna – ein vor allem in der blauen Stunde vor Sonnenunte­rgang magischer Ort. Jeder Besucher oder jede Gruppe bekommt am Eingang, nach Zahlung von fünf Peso, einen eigenen Führer. Denn schon mancher Tourist hat sich auf dem fast 60 Hektar großen Gelände des drittgrößt­en Friedhofs der Welt hoffnungsl­os verlaufen.

Auf keiner Havanna-Tour darf das Capitolio Nacional fehlen. Dort endet auch die Tour mit Alexis. Der weiße Kuppelbau aus Kalksandst­ein, dem Capitol in Washington nachempfun­den, ist Wahrzeiche­n Havannas und Fotomotiv Nummer eins. Zudem bekommt man in seiner Nähe auch die bestrestau­riertesten Oldtimer der Stadt zu sehen. Weil das Capitolio derzeit renoviert wird, ist um die Kuppel ein Gerüst gebaut. Chauffeur Alexis erzählt, dass Raul Castro, kubanische­r Präsident und Bruder und Nachfolger des 2017 verstorben­en Fidel Castro den Wunsch geäußert hat, dass die Renovierun­g 2018 fertig sein soll. Denn dann will Raul Castro sich aus der Politik zurückzieh­en. Genau genommen bricht erst dann für Kuba die neue Zeit an.

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Die Renovierun­g des Capitolio soll 2018 abgeschlos­sen sein. In dem Jahr will sich Raul Castro aus der Politik zurückzieh­en.

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