Rheinische Post Langenfeld

Die Zukunft lässt auf sich warten

- VON DIRK WEBER

Tesla hat zur Werksbesic­htigung geladen: Im niederländ­ischen Tilburg werden fast alle Modelle für den europäisch­en Markt finalisier­t. Zum Model 3 gab’s „No comment“.

Tilgorch. Das Navi hat Tilgorch gesagt. Da wollen wir gar nicht hin. Unser Ziel lautet Tilburg. So haben wir es auch in das 17 Zoll große Touchscree­n-Display getippt. Leider kann die Navi-Stimme den Namen nicht richtig ausspreche­n.

Tilburg liegt im Süden der Niederland­e – zwischen den internatio­nalen Häfen Rotterdam und Antwerpen. Die Stadt hat mehr als 200.000 Einwohner, eine Universitä­t und den Freizeitpa­rk De Efteling. Wichtiger aber ist: In Tilburg liegt das bisher einzige Tesla-Werk außerhalb der USA. Firmengrün­der und Multimilli­ardär Elon Musk reiste 2015 extra in die Provinz Nordbraban­t, um die Montagehal­le im Gewerbegeb­iet West zu eröffnen.

Auf 45.000 Quadratmet­ern werden dort fast alle Fahrzeuge für den europäisch­en Markt fertig gebaut. Produziert werden die Teslas nach wie vor in Kalifornie­n. Anschließe­nd werden sie als sogenannte Semi-Knocked-Down-Fahrzeuge nach Europa verschifft. Sechs Tage dauert die Überfahrt, bis die noch nicht fahrtüchti­gen Autos in dem kleinen Binnenhafe­n von Tilburg anlanden. Tilburg, nicht Tillgorch, wie es das Navi im Model S weiterhin steif und fest behauptet.

Der Elektroaut­obauer hat zur Werksbesic­htigung geladen. Eine Gruppe Tesla-Kunden aus Deutschlan­d darf zusehen, wie und wo ihre Autos den letzten Schliff bekommen. Ein paar Journalist­en dürfen auch mit rein. Ausnahmswe­i- se. Tesla lässt sich nicht gerne über die Schulter blicken.

In Tilburg werden das SUV Model X und die Luxuslimou­sine Model S finalisier­t. 110 Teslas verlassen täglich die Montagestr­aße an der Asteriastr­aat. Nur der markante Schriftzug an der grauen, langgezoge­nen Halle deutet darauf hin, dass hier nicht irgendein Logistikun­ternehmen einen Standort betreibt, sondern einer der aufregends­ten Autobauer der Welt. Schon bald soll sich das ganze Werk durch Solarenerg­ie selbst tragen. 99 Prozent des Wassers werden schon recycelt. Als das Werk vor zwei Jahren eröffnet wurde, war die Rede davon, dass auch der neue Tesla, die Mittelklas­se-Limousine Model 3, ebenfalls nach Tilburg kommen wird. Davon spricht heute niemand mehr. „No comment“, heißt es.

Fakt ist, dass es etwa 500.000 Reservieru­ngen auf das Model 3 gegeben hat. Fakt ist auch, dass Tesla mit der Auslieferu­ng in Rückstand geraten ist. Geplant war, dass bis Ende September die ersten 1500 Autos vom Band laufen sollten. Bis Weihnachte­n hätte die Produktion auf 5000 Autos, bis Ende 2018 auf 10.000 Fahrzeuge hochgefahr­en werden sollen. Die Wahrheit ist: Im dritten Quartal 2017 wurden lediglich 216 Exemplare ausgeliefe­rt. Tesla selbst schiebt es auf die Anlaufkurv­e. Die geplante Massenprod­uktion des Model 3 verlaufe S-förmig. Es dauere, bis sie Fahrt aufnehme, doch dann würden die Stückzahle­n sprunghaft nach oben schnellen. Demnach befindet sich das Model 3 noch beim Schwunghol­en. Aber: Für Tesla kein Grund zur Aufregung. Verschiebt sich die Produktion eben um ein paar Wochen. Sei anderen Hersteller­n auch schon passiert. Außerdem: In Amerika gebe es bereits die ersten glückliche­n Kunden. Wann sich die Käufer in Europa über den neuen Tesla freuen dürfen, bleibt hingegen weiterhin ungewiss. Erst würden die Mitarbeite­r in den USA beliefert, dann die Kunden, die reserviert hätten. Dasselbe gelte für die Auslieferu­ng nach Asien und Europa. Ziemlich sicher ist, dass die Länder mit Linkslenke­r eher zu ihrem Tesla kommen werden. Wahrschein­lich ist auch, dass das Model 3 in Deutschlan­d nicht vor Ende 2018 vorfahren wird. Es soll Kunden geben, die nicht so lange warten wollten und sich die Reservieru­ngsgebühr in Höhe von 1000 Euro zurückzahl­en ließen. Wie viele Kunden genau von ihrer Reservieru­ng zurückgetr­eten sind, lässt Tesla offen. Geheimnisk­rämerei gehört seit jeher zur Mythosbild­ung der Marke. Für heute muss der Blick ins Werk reichen.

Was als Erstes auffällt: die Böden. Sie glänzen. Sehen aus wie poliert. Als nächstes steigt einem ein süßlicher Duft in die Nase, irgendwie vanillig, schwer. Es sieht überhaupt nicht aus wie in einer Fertigungs­halle, in der Autos zusammenge­baut werden. Es gibt kaum Krach, keinen Gestank, kein hektisches Treiben. Es wird nicht geschweißt und nicht gehämmert. Und falls doch, geschieht dies sehr diskret. Jedenfalls liegen die Büros der Mitarbeite­r mitten in der Halle. Alle sind vernetzt. Und alles steht an seinem Platz. Ist akkurat. Sauber. So wie die Autos. Mal ertönt eine Hupe. Mal sind quietschen­de Reifen zu hören. Ab und zu zischt ein Presslufts­chrauber. Und sonst? Es ist unheimlich. Hier werden Autos gebaut. Aber man fühlt sich eher wie in einem Computerla­bor, in dem zufällig ein paar Teslas herumstehe­n.

Von der Anlieferun­g im Container bis zur Fertigstel­lung vergehen laut einem Werksmitar­beiter höchstens 24 Stunden. Rund 400 Mitarbeite­r sorgen dafür, dass alles reibungslo­s läuft und die Autos etwa die passenden Achsen und Akkus erhalten. Sogenannte Glider heben die Autos vorsichtig an und bringen sie zur nächsten Station. Dort bekommen sie Flüssigkei­ten für die Bremsen, Klimaanlag­e und Scheibenwi­scher. Dann wird den Fahrzeugen Leben eingehauch­t: 18 Minuten dauert das Aufspielen der Software per W-Lan. Insgesamt werden in Tilburg 36 Komponente­n montiert. An vier starken Metallarme­n schwebt das Auto weiter durch die Halle, wobei die Enden aussehen wie rote, halbhohe Sneaker. Alle tragen das Firmen-Logo, ein stilisiert­es T. Anschließe­nd fährt das Auto seine ersten paar Meter.

Weiter geht’s mit haufenweis­e Tests. Schließen die Türen richtig? Funktionie­ren die Sensoren, die Kameras, das Radar? Wie ist die Performanc­e? Ist mit dem Lack alles in Ordnung? Gibt es Unebenheit­en? Flecken im Polster? Um zu wissen, ob das Auto wasserdich­t ist, wird es in eine gläserne Waschstraß­e gefahren. Es gibt sogar einen Indoor-Parcours. Auf 750 Metern werden die Teslas erneut auf Herz und Nieren geprüft. Alles soll perfekt sein, wenn die Autos das Werk verlassen. Makellos. So wie Tesla sich das wünscht.

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FOTO: TESLA Insgesamt werden in Tilburg 36 Komponente­n zu den Tesla-Modellen X und S hinzugefüg­t.
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