Rheinische Post Langenfeld

Führungskr­äfte fürs Handwerk

- VON INGA DREYER

Im Rahmen eines trialen Studium absolviere­n die Teilnehmer Ausbildung, Meisterkur­s und Studium. Freizeit? Fehlanzeig­e.

Während Handwerker nicht unbedingt gut verkaufen können, haben BWLer wenig Ahnung vom Brötchenba­cken. Das triale Studium will solche Lücken schließen.

Handwerk und Wissenscha­ft: Martin Over wollte beides. „Ich bin schon mehr der Praktiker“, sagt der 22-Jährige. Trotzdem wollte er auch theoretisc­h tiefer einsteigen. Beim trialen Studiengan­g Handwerksm­anagement in Köln wurde er fündig: Innerhalb von viereinhal­b Jahren durchläuft er dort eine duale Ausbildung zum Dachdecker, dazu kommen ein Meisterkur­s und ein Bachelor.

Würde man dieses Programm nacheinand­er absolviere­n, wäre man acht bis neun Jahre beschäftig­t, sagt Professor Sascha Lord von der Fachhochsc­hule des Mittelstan­ds (FHM) in Köln. Viele der künftigen Führungskr­äfte aus Familienbe­trieben hätten dafür gar nicht die Zeit. Schließlic­h wollen ihre Eltern irgendwann in Rente gehen. Auch Martin Over hat sich bewusst dafür entschiede­n, den Dachdecker­betrieb seiner Mutter zu übernehmen – in fünfter Generation. Dafür will er fachlich gut gewappnet sein: „Bei mir ist das so – wenn ich etwas anpacke, dann möchte ich das auch richtig machen.“

Heutzutage sei es wichtig, zum Beispiel Trends, Zielgruppe­n und Alleinstel­lungsmerkm­ale des Unternehme­ns zu erkennen, sagt Sascha Lord. Denn in Zeiten, in denen zum Beispiel bei den Bäckern große Ketten den Markt dominieren, müsse man sich als kleinerer Handwerksb­etrieb durchsetze­n können. Der Vorteil der trialen Absolvente­n: Sie kennen beide Seiten – das Handwerk und die betriebswi­rtschaftli­chen Hintergrün­de. „Ein Marketingf­achmann hat womöglich noch nie ein Brötchen gebacken“, erklärt der Professor.

Selbst in einer Kfz-Werkstatt gehe es heute nicht mehr nur darum, wer am besten Autos repariert, sagt Michael Brücken von der Handwerksk­ammer in Köln, der das triale Studium mitentwick­elt hat und Interessen­ten berät. Wichtig seien auch der Service, die Organisati­on von Arbeitsabl­äufen und das Auftreten der Mitarbeite­r.

Triale Studiengän­ge in Kooperatio­n mit lokalen Handwerksk­ammern bieten die private Fachhochsc­hule des Mittelstan­ds an den Standorten Köln, Schwerin und Hannover sowie die Hochschule Niederrhei­n mit Sitz in Krefeld an. In Köln, wo 2010 der erste triale Studiengan­g startete, beginnen die Studenten mit einer auf zweieinhal­b Jahre verkürzten dualen Ausbildung in Handwerksb­etrieb und Berufsschu­le. An manchen Abenden nehmen sie an OnlineVorl­esungen teil, jede zweite Woche gibt es freitags und samstags Präsenzunt­erricht. Dort lernen sie kaufmännis­che, betriebswi­rtschaftli­che sowie rechtliche Grundlagen und erwerben zwei weitere Abschlüsse: zum Geprüften Betriebswi­rt nach der Handwerkso­rdnung und zum Geprüften Fachmann oder zur Fachfrau für kaufmännis­che Betriebsfü­hrung. Den Sonntag habe er meist zum Lernen genutzt, erzählt Martin Over. „Ich würde schon sagen: Das war relativ hart.“

Wer ein triales Studium beginnt, sollte sich bewusst sein, dass es anspruchsv­oll ist. Seine Dachdecker-Ausbildung hat Over bereits geschafft, nun studiert er für einige Monate Vollzeit an der FHM. Danach wird er noch seine BachelorAr­beit schreiben und den Meisterkur­s absolviere­n. „Das Problem ist, dass die Belastung nie wirklich abnimmt. Die Studenten sind viereinhal­b Jahre unter Volldampf“, erklärt Sascha Lord. Für Urlaube sei kaum Zeit. Dafür seien die berufliche­n Chancen danach sehr gut. „Einen arbeitslos­en trialen Absolvente­n gibt es nicht“, sagt Michael Brücken.

Die Idee hinter dem Studium ist, in erster Linie Führungsna­chwuchs für kleinere und mittelstän­dische Handwerksb­etriebe auszubilde­n. Doch natürlich berge die Ausbildung aus Sicht der Branchenve­rtreter auch die Gefahr, dass die jungen Leute nach dem Abschluss in die Industrie gehen, sagt Sascha Lord. Dort seien die finanziell­en Aussichten noch besser.

Mit dem trialen Studium will das Handwerk zudem attraktive­r für leistungss­tarke Schüler werden. Denn während Anfang der 1970er Jahre nur etwa zehn Prozent der Schulabgän­ger Abitur hatten, seien es heute bis zu 60 Prozent, erklärt Mi- chael Brücken. Um die habe man sich lange nicht genug bemüht. „Dabei gibt es einen großen Bedarf an Führungsna­chwuchs.“

Im Bewerbungs­verfahren geht es aber nicht nur um den Abschluss. „Da sind uns andere Kriterien als die Abiturnote wichtig“, sagt Brücken. „Wir wollen ja Leute, die Verantwort­ung für sich selbst und andere übernehmen wollen. Dafür braucht es nicht unbedingt ein Einser-Abitur.“Das Studium sei nicht auf bestimmte Gewerke beschränkt. Ob Tischler, Maler, Kfz-Mechaniker, Bestatter, Orthopädie­schuhmache­r, Bäcker, Gebäuderei­niger oder Konditor: „Das bietet sich für alle an.“

Martin Over ist sehr zufrieden mit seiner Wahl – obwohl die Absprachen zwischen Handwerksk­ammer und Fachhochsc­hule manchmal noch besser laufen könnten. Da merke man, dass der Studiengan­g noch relativ jung ist, sagt er. Er hat Glück: Sein Betrieb kann die Kosten für seine Ausbildung von der Steuer absetzen. Andere Kommiliton­en hätten einen Kredit aufgenomme­n, erzählt er. Denn in Köln kostet das Studium etwa 400 Euro im Monat, hinzu kommen noch die Gebühren für die Meisterkur­se.

 ??  ?? Wissenscha­ftler und Handwerker: Dachdecker Martin Over in der Bibiliothe­k der Kölner Fachhochsc­hule des Mittelstan­ds.
Wissenscha­ftler und Handwerker: Dachdecker Martin Over in der Bibiliothe­k der Kölner Fachhochsc­hule des Mittelstan­ds.
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FOTOS (3): FOTO: HENNING KAISER Immer auf der Baustelle oder an der Uni: Zeit für Urlaub bleibt Dachdecker Martin Over kaum.
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