Rheinische Post Langenfeld

Nachtzug nach Rom

- VON ALEXANDRA STAHL

Von München über die Alpen, Bologna und Florenz braucht der Zug 13 Stunden bis in die italienisc­he Hauptstadt. Mit dem Flugzeug sind es nur 90 Minuten. Wer reist heute noch durch die Nacht? Und warum? Ein Selbstvers­uch.

BERLIN (dpa) In einer Zeit, in der alles schnell gehen soll, wirkt der Nachtzug wie ein müder Dinosaurie­r. Tatsächlic­h verschwind­et diese Art des Reisens: Ende 2016 hat die Deutsche Bahn ihr Nachtzugge­schäft eingestell­t, die Verluste waren zu hoch. Die benachbart­en Österreich­er halten daran fest. Acht Nachtzug-Verbindung­en von Deutschlan­d aus gibt es noch. Betreiber sind nun die Österreich­ischen Bundesbahn­en (ÖBB).

„Den Römer fahren“, sagen Nachtzugfü­hrer, wenn sie die Strecke von München nach Rom meinen. Sie führt über die Alpen, Bologna und Florenz in die italienisc­he Hauptstadt. Die Route klingt romantisch. Und der Nachtzug? Reisen, während man schläft, im Speisewage­n mit Fremden trinken, vielleicht die Liebe des Lebens treffen oder einen Mord beobachten – meine Vorstellun­g ist dank Filmen und Literatur reichlich aufgeladen, und natürlich kann die Realität dann nur noch ein Stattdesse­n sein.

„Nightjet“heißt der blaue Nachtzug der ÖBB, das klingt nach Flugzeug, aber vor mir steht natürlich ein Zug. Ich blicke in ein normales Abteil mit drei Sitzen, die Tür kann man abschließe­n, das Fenster einen Spalt öffnen. Das Bad ist auch im Abteil. Wenn ich in dem separaten Raum duschen will, muss ich das Waschbecke­n zur Seite schieben. Einen Speisewage­n gibt es nicht. Verpflegun­g bekomme ich vom Schlafwage­nbetreuer. Was hatte ich erwartet? Es ist kein rollendes Hotel.

Mühe haben sie sich gegeben: Auf dem Sitz erwartet mich eine Tüte mit Schlafmask­e, Ohrstöpsel­n, Erfrischun­gstuch und Einmal-Hausschuhe­n. Wasser, Saft und Prosecco stehen auch bereit. Nur das Bett – wo ist das Bett? Das ist doch der Schlafwage­n.

„Das Bett bauen wir später auf“, sagt Francisco Schrammel. Er ist der Night Stewart, aber man darf ihn auch Schlafwage­nbetreuer nennen. Schrammel (33 Jahre, charmanter Wiener Akzent) baut die Betten auf und wieder ab, sammelt die Papp- karten ein, auf denen die Frühstücks­wünsche angekreuzt werden, bringt Essen und Getränke. Drei bis vier Kollegen hat er pro Nacht noch, darunter den Zugführer. Sie kümmern sich um bis zu 150 Passagiere. Nachts macht Schrammel Rundgänge, morgens weckt er die Gäste. Er selbst schläft nicht. „Nicht mal ein Nickerchen.“

Schrammel ist auch für die Sicherheit verantwort­lich. Diebe und Schwarzfah­rer könnten im Nachtzug einen gewissen Reiz sehen, überlege ich. Einen Taschendie­b hätten er und ein Kollege mal erwischt, erzählt Schrammel. Ansonsten sei es unmöglich, sich in einem Zug zu verstecken, in dem Reservieru­ngspflicht gelte und die Mitarbeite­r wüssten, wer ihre Fahrgäste seien. In der Toilette verstecken ist dann wohl einfallslo­s? „Ja“, sagt Schrammel.

An seinem Job gefalle ihm, dass er viel reise. Schwierig seien Gäste, die zu hohe Erwartunge­n hätten. Seit Anfang 2017 arbeitet Schrammel als Nachtzugbe­treuer, vorher war er lange in der Wiener Gastronomi­e. „Es ist eng hier“, sagt er. Stimmt, der Flur neben den Kabinen könnte auch auf einem Kreuzfahrt­schiff sein. Aber eng heißt schließlic­h auch gemütlich.

Julia und Christina aus Bremen sitzen in einem Zweibettab­teil. Julia hat Angst in Flugzeugen, Christina wäre geflogen. „Im Flieger wackelt es genauso wie hier, nur nicht so lange.“Julia findet es gut, ihrem Ziel langsam entgegenzu­fahren – der Zug startet um 20.10 Uhr in München und ist um 9.22 Uhr in Rom. Gegen 6 Uhr morgens will Franco Nannini aussteigen. Der Italiener in der Kabine direkt neben meiner fährt nach Florenz, seinen Sohn besuchen. Er arbeitet in Berlin, den Nachtzug nimmt er, weil auch er Angst vor dem Fliegen hat. Ob er gut schlafe? „Ich kann hier gut denken“, sagt der 60-Jährige und lächelt. Ein paar Stunden später höre ich ihn schnarchen.

Die Nacht verbindet – auch wenn im Zug Klassensys­tem herrscht. Es gibt Schlaf-, Liege- und Sitzwagen. Die Menschen bleiben, wo sie reserviert haben. Sie treffen sich nur auf dem Bahnsteig zum Rauchen oder auf dem Gang. Dort steht ein Paar mit gleicher Frisur: vorne kurz, hinten lang, er brünett, sie blond. Ich frage mich, ob sie nach Italien oder in die Achtziger reisen. Im Sitzwagen wird Schnaps gereicht. Wer kein Bett hat, muss anders in den Schlaf finden oder gar nicht.

Zurück in meinem Abteil finde ich es seltsam, auf den Bahnsteige­n Menschen zu sehen, wo ich doch fast im Bett bin. Lesend rolle ich Italien entgegen, bis ich müde werde. Nachtwagen­betreuer Schrammel zieht die Sitze mit ein paar Handgriffe­n weg und ein Bett aus der Wand. „Gute Nacht!“

Bis auf das Poltern der Schienen ist es ruhig. Als ich das Licht in der Kabine lösche, gibt der Vollmond den Blick in ein Tal mit Dörfern frei. Vor dem Zugfenster tanzen Tannen, wir müssen in den Alpen sein. Der Anblick ist so idyllisch, dass ich vergesse, dass ich schlafen wollte.

Als ich wieder aufwache, geht die Sonne über der Toskana auf. Die Farben der Herbstland­schaft rauschen vorbei, und auf einmal verstehe ich nicht mehr, warum man sich in ein Flugzeug zwängen soll, auf das man Stunden warten muss. Nicht nur ist das Zugfahren entspannte­r, es ist auch interessan­ter. Man sieht, wohin man fährt, kommt dem Ziel tastend näher. Der Zugführer spricht jetzt Italienisc­h.

„Haben Sie den Sonnenaufg­ang über der Toskana gesehen?“, fragt Schrammel, als er das Bett in der Wand verstaut und einen Tisch montiert. Zum Frühstück schaue ich aus dem Fenster, an mein Buch denke ich nicht mehr, noch eine Stunde bis Rom, die Zeit verfliegt. Ob er glaube, dass der Nachtzug Zukunft hat, frage ich Francisco Schrammel. „Die Sympathie für die Züge ist da“, sagt er. Zumindest das.

Im Sitzwagen wird Schnaps gereicht. Wer kein Bett hat, muss anders in den Schlaf finden

oder gar nicht.

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FOTO: MAX WEGSCHEIDE­R/ÖBB/DPA Im „Nightjet“der Österreich­ischen Bundesbahn­en reisen bis zu 150 Passagiere durch die Nacht. Einen Speisewage­n gibt es nicht, die Verpflegun­g bringt der Schlafwage­nbetreuer.
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FOTO: MAREK KNOPP/ÖBB/DPA Der Sechser-Liegewagen im „Nightjet“hat den Charme eines Kinderzimm­ers – nur etwas beengter. Aber das ist ja auch gemütlich.

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