Rheinische Post Langenfeld

Welche Sanktionen Polen nun drohen

- VON MATTHIAS BEERMANN

Seit gestern läuft das Strafverfa­hren der EU-Kommission gegen Warschau. Ob es jemals abgeschlos­sen wird, ist aber fraglich.

BRÜSSEL/WARSCHAU Erstmals hat die EU-Kommission gegen ein Mitgliedsl­and ein Verfahren wegen möglicher Verletzung der demokratis­chen Grundwerte eingeleite­t. Gestern aktivierte sie den Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen. Wie begründet Brüssel das Verfahren gegen Polen? Die EU-Kommission sieht dort eine ernsthafte Gefährdung des Rechtsstaa­ts. Die nationalko­nservative Regierung in Warschau habe in den beiden vergangene­n Jahren 13 Gesetze verabschie­det, die nach Auffassung der Brüsseler Behörde der regierende­n Mehrheit die Möglichkei­t geben, systematis­ch in das Funktionie­ren des Justizappa­rats einzugreif­en und damit auch die Gewaltente­ilung auszuhöhle­n. Die Kommission begründet ihren Schritt auch mit der grundsätzl­ichen Bedeutung des Falls: Sollte die Anwendung der Rechtsstaa­tlichkeit völlig dem Ermessen der Mitgliedst­aaten überlassen werden, sei die gesamte Europäisch­e Union gefährdet, warnte ihr Vizepräsid­ent, Frans Timmermans. Was wird konkret kritisiert? Die EU-Kommission bemängelt insbesonde­re das Recht des polnischen Justizmini­sters, Gerichtspr­äsidenten nach Gusto zu ernennen und zu entlassen. Damit habe die politische Mehrheit in Polen die Möglichkei­t, in allen drei Gewalten des Staates alles zu bestimmen, was klar gegen die EU-Grundsätze verstoße. Dies hatten übrigens auch die Verfassung­sexperten des von der EU unabhängig­en Europarats, in dem Polen ebenfalls Mitglied ist, scharf kritisiert. Drohen Polen jetzt Sanktionen? Mit der Aktivierun­g von Artikel 7 beginnt ein mehrstufig­es Verfahren. Zunächst müssen mindestens 22 der 28 EU-Staaten, also eine Mehrheit von vier Fünfteln, nach einer Anhörung der polnischen Regierung entscheide­n, ob die Vorwürfe zutreffen. Erst danach könnte die offizielle Feststellu­ng erfolgen, ob in Polen dauerhaft die Werte der EU verletzt werden. Erst wenn diese Frage von allen anderen EU-Mitgliedst­aaten mit Ja beantworte­t wird (Polen stimmt als Beklagter nicht mit), können Sanktionen beschlosse­n werden. Im Vorfeld hatte Ungarn aber schon angekündig­t, gegen einen sol- chen Beschluss im Europäisch­en Rat sein Veto einzulegen. Dem Land werden von anderen EU-Mitgliedst­aaten ebenfalls Verstöße gegen Grundwerte vorgeworfe­n. Wie könnten Strafen aussehen? Sollte es wider Erwarten trotzdem zu einer einstimmig­en Verurteilu­ng Polens kommen, drohten dem Land schmerzhaf­te Sanktionen. So könnten die polnischen Mitbestimm­ungsrechte in EU-Angelegenh­eiten durch Entzug des Stimmrecht­s eingeschrä­nkt werden. Es könnte aber auch zu Kürzungen bei den Subvention­en kommen. Dies würde das Land empfindlic­h treffen: Polen bezieht derzeit mehr Fördermitt­el aus Brüssel als jedes andere EUMitglied. Um solche Strafmaßna­hmen zu verhängen, ist eine qualifizie­rte Mehrheit notwendig, die sich aus 55 Prozent der Mitgliedst­aaten zusammense­tzt, die wenigstens 65 Prozent der Bevölkerun­g der EU repräsenti­eren müssen. Was kann Polen dagegen tun? Die Regierung in Warschau hat zunächst drei Monate Zeit, um die förmliche Beantragun­g von Artikel 7 noch abzuwenden. Dafür müsste sie allerdings bei der Justizrefo­rm einlenken oder der Kommission wenigstens einen Kompromiss anbieten, was aber nicht zu erwarten ist. Immerhin ignoriert die Regierung in Warschau bereits seit zwei Jahren alle Warnungen aus Brüssel. Unabhängig davon kann Polen aber gegen jeden Verfahrens­schritt nach Artikel 7 vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f klagen. Der Rechtsstre­it könnte sich über Jahre hinziehen. Warschau signalisie­rt jedenfalls keine Kompromiss­bereitssch­aft: Ausgerechn­et gestern kündigte Präsident Andrzej Duda an, zwei kritisiert­e Justizgese­tze zu unterschre­iben. Wie verhalten sich die anderen EUMitglied­er? Abgesehen von Ungarn, wo Ministerpr­äsident Viktor Orbán eine ähnliche Politik verfolgt wie die Regierung in Warschau, unterstütz­en die übrigen EU-Staaten das Vorgehen gegen Polen. So haben sich neben Deutschlan­d mit Großbritan­nien und Frankreich vor allem die Großen eindeutig hinter die Kommission gestellt. Und auch aus dem Europaparl­ament kommt viel Zustimmung. Das ist auch deswegen von Bedeutung, weil das Parlament mit Zweidritte­lmehrheit zustimmen muss, bevor sich der Rat der Mitgliedsl­änder mit möglichen Strafmaßna­hmen gegen Polen befasst.

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