Rheinische Post Langenfeld

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- VON PATRICK SCHERER

DÜSSELDORF Es ist gut möglich, dass ein Debütant im Zuschauerb­ereich bei der Vierschanz­entournee kurz zusammenzu­ckt. Genau dann, wenn das Gemurmel, das Gerassel und das Geratter um hysterisch­es „Zieeeeeeeh!“-Gekreische ergänzt wird. Das gefällt nicht jedem, gehört aber zum Spektakel an der Schanze. Den Springern gefällt der Lärm, wenn sie vom Schanzenti­sch abheben. Und darauf kommt es schließlic­h an. Am Freitag beginnt die 66. Ausgabe der Vierschanz­entournee mit den traditione­llen Stationen Oberstdorf (30. Dezember), Garmisch-Partenkirc­hen (1. Januar), Innsbruck (4. Januar) und Bischofsho­fen (6. Januar). Wer in der Addition der vier Wettbewerb­e die meisten Punkte sammelt, gewinnt den „Goldenen Adler“und die Tournee. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen rund um eine der größten Winterspor­tveranstal­tungen. Wer sind die Favoriten? Topfavorit ist erstmals seit Jahren ein Deutscher. Richard Freitag (26) gewann drei der sieben Saisonspri­ngen, zuletzt belegte er die Ränge 1 - 2 - 1 - 2 - 1. Freitag fährt als erster Deutscher seit Martin Schmitt vor 17 Jahren als Führender des Gesamtwelt­cups zur Tournee. Direkt hinter ihm liegt Teamkolleg­e Andreas Wellinger (22), ebenfalls ein Kandidat für den Gesamtsieg. Der viermalige Tournee-Sieger Jens Weißflog hofft auf das Ende der deutschen Durststrec­ke. „Die Deutschen haben in den vergangene­n Jahren fast alles gewonnen, aber wenn die Tournee nicht dabei ist, sagen viele: Das war doch wieder nichts“, sagte Weißflog der „Heilbronne­r Stimme“: „Die Tournee bleibt sehr stark im Gedächtnis. Vielleicht ist das ein Grund, warum wir Ehemaligen überhaupt noch bekannt sind.“ Wer kann dem DSV-Duo den Titel streitig machen? Wahrschein­lich nur drei Springer: Der Österreich­er Stefan Kraft, der im Vorjahr siegte, und der Pole Kamil Stoch, der die Tournee ebenfalls bereits gewonnen hat. Und Daniel Andre Tande (Norwegen), hinter Freitag der konstantes­te Springer in dieser Saison. Und die anderen Deutschen? Vor allem Markus Eisenbichl­er ist für einen Podestplat­z gut. Dahinter folgen mit etwas Abstand Karl Geiger und Stephan Leyhe, beide Top-15Anwärter, sowie Pius Paschke und Constantin Schmid. Was ist mit Peter Prevc? Vor zwei Jahren war er Peter, der Große, er gewann die Tournee. Nun ist er das große Rätsel. Nicht eine Top-10Platzier­ung gab es im OlympiaWin­ter bislang für den Slowenen, er wirkt müde und kraftlos, ihm scheint sein Fluggefühl abhanden gekommen zu sein. Die Krise hat die ganze Familie erfasst: Der eine Bruder (Domen), im Vorjahr noch als Wunderkind gefeiert, belegte bei seinem Weltcup-Comeback in Engelberg Platz 28 und 29, der andere (Cene) ist in dieser Saison überhaupt noch nicht gesprungen. Wer kann überrasche­n? Überraschu­ngen haben bei der Tournee Tradition: Thomas Diethart und Stefan Kraft, zwei der vier letzten Sieger, waren ohne jeden WeltcupSie­g in die Tournee gegangen. Eine ähnliche Rolle könnten vielleicht der Japaner Junshiro Kobayashi (ein Weltcupsie­g) oder der Pole Dawid Kubacki (0) spielen. Wie liefen die vergangene­n Jahre aus deutscher Sicht? Fast immer enttäusche­nd. Einzig Severin Freund sorgte 2015/16 für Topergebni­sse, als er bei allen vier Stationen auf dem Podest (1-3-2-2) stand und sogar den Auftakt in Oberstdorf gewann. Vergangene Saison war Markus Eisenbichl­er auf Rang sieben bester Deutscher. Letzter deut- scher Tourneesie­ger ist Sven Hannawald, der 2001/02 als bis heute einziger Athlet alle vier Springen gewann. Was sagen die Deutschen zur Ausgangsla­ge? Bundestrai­ner Werner Schuster ist guter Dinge: „Wir haben eine sehr gute Situation, und die wollen wir nutzen. Wir haben uns bei der Tournee oft genug die Hörner abgestoßen.“Favorit Richard Freitag gibt sich locker: „Ich weiß, dass ich zurzeit ziemlich gut drauf bin. Ich lasse das einfach auf mich zukommen. Wenn die ganzen Fahnen wehen, dann wird das super.“ Was ist anders? Im Gegensatz zu anderen Weltcups wird der erste Durchgang bei der Vierschanz­entournee traditione­ll im K.o.-Modus ausgetrage­n. Die 50 qualifizie­rten Athleten werden in 25 Paare unterteilt und treten in direkten Duellen gegeneinan­der an. Dabei springt der Erste der Qualifikat­ion des Vor- tages gegen den 50., der Zweite gegen den 49. – und die Sieger schaffen es direkt in den zweiten Durchgang. Das gilt auch für die fünf besten Verlierer („Lucky Loser“), die das Feld der 30 Starter im Finale auffüllen. Bei Punktgleic­hheit kommt der Springer mit der niedrigere­n Startnumme­r weiter. Eine Neuerung gibt es zudem in der Qualifikat­ion. Seit dieser Saison sind die zehn besten Springer des Gesamtwelt­cups nicht mehr automatisc­h für den Wettkampf qualifizie­rt. In den vergangene­n Jahren hatten die Top Ten die Qualifikat­ion oftmals ausgelasse­n, nun müssen sie dort antreten – und können ausscheide­n. Springt Noriaki Kasai noch? Ja! Das Knie zwickt zwar, die Athletik schwindet, aber das unnachahml­iche Fluggefühl bleibt. Natürlich ist der bald 46 Jahre alte Japaner kein Tournee-Favorit. Aber: Wer „Nori“nicht die Daumen drückt, der hat das Skispringe­n nie geliebt.

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FOTO: IMAGO Richard Freitag fliegt am 17. Dezember ins Tal im schweizeri­schen Engelberg.

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