Rheinische Post Langenfeld

PROSIT 2018 ! UNSER JAHRHUNDER­T WIRD VOLLJÄHRIG Chinesen feiern Neujahr mit roter Laterne

- VON THOMAS GUTMANN

Einmal im Jahr kommt Herr Li nach Langenfeld – und erzählt auch von Bräuchen aus der Heimat.

LANGENFELD Für kleine Chinesen ist Neujahr wie Weihnachte­n. Nicht, dass die Kinder im Reich der Mitte zum Jahreswech­sel mit Geschenken überhäuft würden, wie der Abendland-Nachwuchs zum Christfest. Nein, es ist eher das kindliche Erpressung­spotential, das während der Neujahrsta­ge – immerhin gut zwei Wochen lang – aus Einzelkind­Augen erfreulich wächst. „Der Schrei eine Kindes in diesen Tagen bringt Pech für die Familie“, sagt Huabin Li (68). Deshalb täten viele chinesisch­e Eltern um den Jahreswech­sel herum alles, um ihren Sprössling vom Weinen abzuhalten.

Herr Li wohnt in Peking, kommt aber einmal im Jahr nach Langenfeld oder Düsseldorf. Einen alten Bekannten trifft er dann, Rolf Gassen aus Richrath (75). Die beiden kennen sich seit 1982. „Ich habe Herrn Li damals zusammen mit vier weiteren chinesisch­en Studenten bei Mannesmann in Betriebs- und Volkswirts­chaft ausgebilde­t“, erzählt Gassen. Mit dem Rüstzeug „made in Germany“kehrten die fünf in ihre von Maos „Kulturrevo­lution“verwüstete Heimat zurück. „Alle fünf übernahmen Führungsau­fgaben und schafften es bis an die Spitze ihrer Unternehme­n“, sagt ihr Wirtschaft­slehrer a. D. Und freut sich über Lis Verbundenh­eit mit Deutschlan­d: „Er bietet mittelstän­dischen Firmen ausdrückli­ch Hilfe an, um zwischen beiden Ländern Brücken zu bauen, und hat deshalb auch schon an den Industriev­erein Langenfeld geschriebe­n.“

Neujahr ist in China ein Familienfe­st. Allerdings sitzen in chinesi- schen Kernfamili­en oft nur noch recht wenige Personen regelmäßig an einem Tisch. Grund ist die rigide „Ein-Kind-Politik“der kommunisti­schen Staatsführ­ung aufgrund der Bevölkerun­gsexplosio­n im 20. Jahrhunder­t. Chinesisch­en Eltern war es jahrzehnte­lang verboten, mehr als ein Kind zu haben. Herrn Lis Tochter ist mit einem Deutschen verheirate­t. Sie und die beiden Enkel leben in Essen. „Deshalb muss sich Huabin in China alleine um seine kranke Frau und die kranken Eltern kümmern“, weiß Gassen.

Zum Glück für die Kranken ist Herr Li nicht abergläubi­sch. Denn sonst müssten sie, sollten sie ins Krankenhau­s kommen, ausgerechn­et um den familiär so wichtigen Jahreswech­sel herum auf seine Besuche verzichten. Denn aus einem Krankenhau­s – so besagt eine weitere chinesisch­e Neujahrsre­gel – bringt man eine Krankheit mit und behält sie dann gleich das ganze Jahr über. „Wer reich ist, der sollte in diesen Tagen auch kein Werkzeug zerbrechen“, erzählt Gassen. „Sonst geht – dem Volksglaub­en nach – der Reichtum noch im selben Jahr verloren.“

Das klingt alles wenig erbaulich, aber so mit Fettnäpfch­en gepflaster­t ist der Übergang ins neue Jahr dann doch nicht. Die „rote Laterne“etwa – hierzuland­e und besonders bei Anhängern von Tasmania Berlin, dem 1. FC Köln oder Vatan Spor Solingen III ein ungeliebte­s Objekt – ist zu Neujahr d a s Deko-Highlight in China. „Schon Tage vor Neujahr werden Geschäfte und öffentlich­e Gebäude mit roten Laternen geschmückt, die Privatleut­e ziehen an Neujahr nach“, sagt Herr Li. Über- haupt ist Rot dann komplett angesagt bei seinen Landsleute­n. Rote Reime, roter Fenstersch­muck, rotblühend­e Pflanzen – all das finden Chinesen schön. „In unserer Kultur verbinden wir es mit Glück und Freude“, begründet Herr Li die Liebe zum Rot. Rot sind deshalb auch die Umschläge, die am Neujahrsta­g an unverheira­tete Familienmi­tglieder verteilt werden. Eine Art Neujahrsse­gen, laut Herrn Li selbst in den seltenen christlich­en Gemeinden Chinas üblich: „Dort überreicht der Geistliche rote Umschläge an die Gläubigen.“Mit Räucherstä­bchen vor Ahnentafel­n werde zudem den Vorfahren Respekt erwiesen – auch diesen Kotau entrichten selbst Christen. Schließlic­h darf das Essen nicht fehlen: Südchinese­n tischen beim Familienba­nkett gerne Neujahrsku­chen aus klebrigem Reismehl auf, Nordchines­en Knödel, die wie ein Halbmond geformt sind.

Das duftet so gar nicht nach Fastenzeit, und doch steckt das Neujahrsfe­st für chinesisch­e Christen diesmal genau da drin: Das neue Jahr beginnt nämlich in China nicht am 1. Januar, sondern erst gut zwei Vollmonde später. Ein bewegliche­s Fest also, diesmal am 16. Februar. Für uns Rheinlände­r: am Freitag nach Aschermitt­woch! Noch schreiben wir das Jahr des „Feuer-Hahns“, dann beginnt das Jahr des „ErdeHunds“. Alle zwölf Jahre kehrt so ein Hundejahr wieder. Aber auch das finden die Chinesen überhaupt nicht schlimm. „Der Hund steht für Treue, Fleiß, Zuverlässi­gkeit“, sagt Herr Li – und fast hat man den Eindruck, als denke er dabei an einen Schäferhun­d, made in Germany.

UNSER JAHRHUNDER­T WIRD VOLLJÄHRIG

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