Rheinische Post Langenfeld

PROSIT 2018 ! UNSER JAHRHUNDER­T WIRD VOLLJÄHRIG „Einmal vor Gericht reicht den meisten“

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Jugendrich­ter Jens-Peter Kröger berichtet über junge Straftäter und das erst mit 21 Jahren greifende Erwachsene­nstrafrech­t.

LANGENFELD Jens-Peter Kröger ist Jugendrich­ter am Amtsgerich­t Langenfeld. Im RP-Interview spricht er über Unterschie­de zwischen Jugend- und Erwachsene­nstrafrech­t, typische Jugenddeli­kte und die Bedeutung von Kontinuitä­t in seiner Funktion. Wie oft sehen Sie eigentlich einen zuvor in anderer Sache Verurteilt­en wieder auf der Anklageban­k? KRÖGER Es gibt eine Gruppe von Intensivtä­tern, die regelmäßig wieder kommen und deren Verhalten sich auch nach der Vollendung des 21. Lebensjahr­es nicht ändert. Das ist aber eine absolute Minderheit. Der großen Mehrzahl reicht die Erfahrung, einmal vor Gericht gestanden zu haben. In den meisten Fällen endet die Straffälli­gkeit mit Veränderun­gen der Lebensumst­ände, wie der Ausbildung oder dem Einstieg ins Berufslebe­n. Von welchen Straftaten sprechen wir? KRÖGER Bei denen, die nur einmalig vor Gericht stehen, geht es zumeist um Kleinkrimi­nalität, vom Ladendiebs­tahl über Leistungse­rschleichu­ngen wie Schwarzfah­ren bis zu leichteren Fällen von Körperverl­etzung. Lassen sich bestimmte Milieus oder soziale Hintergrün­de gehäuft ausfindig machen? KRÖGER Kriminalit­ät wird nicht weitergege­ben. Aber sie liegt unter Umständen näher, etwa, wenn Kinder aus ihrem Umfeld mitbekomme­n, dass man Probleme mit Gewalt löst. Inkomplett­e Elternhäus­er begünstige­n tendenziel­l Jugenddeli­nquenz. Auch sind Gymnasiast­en unter den Angeklagte­n eher die Ausnahme. Dennoch hat die Kriminalit­ät zumeist nichts mit dem Elternhaus zu tun: Bei Ladendiebs­tählen steht zum Beispiel in der Regel mehr eine Art sportliche­s Interesse als der Wert der Waren im Vordergrun­d. Diese zu bezahlen wäre für die meisten jugendlich­en Diebe kein Problem. Welche Rolle spielt Drogenkrim­inalität? KRÖGER Eine große. Cannabis steht dabei aktuell ganz klar im Mittelpunk­t. Zuvor war es darum eine Zeitlang ruhig geworden, davor gab es wiederholt Fälle im Zusammenha­ng mit harten Drogen wie Heroin, die momentan eine geringe Rolle spielen. Oft hört man, die Hemmschwel­le bei Gewalttate­n sinke. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung heraus bestätigen? KRÖGER Das gibt die Statistik nicht her. Gewisse Auswüchse erlebt man überall und ich kann nicht ausschließ­en, dass es die früher genauso gegeben hat. Wo liegen entscheide­nde Unterschie­de zwischen Jugend- und Erwachsene­nstrafrech­t? KRÖGER Der wesentlich­e Unterschie­d ist der Faktor Erziehung. Erwachsene werden bestraft, Jugendlich­e erzogen. Der Grundgedan­ke des Jugendstra­frechts ist, dass das Erwachsene­nstrafrech­t ab 18 zu früh kommt. Die Entwicklun­g ist oft noch nicht abgeschlos­sen. Eigentlich soll die Anwendung von Jugendstra­frecht laut Gesetzgebe­r im Alter der Heranwachs­enden die Ausnahme sein, in der Praxis dreht sich dieses Verhältnis aber herum, weil die Delinquenz aus dem Jugendalte­r mitgenomme­n wird. Welche Sanktionen kommen dabei am häufigsten vor? KRÖGER Bei Schülern sind es zum Beispiel oft Arbeitsstu­nden, bei Auszubilde­nden auch Geldbußen. In speziellen Fällen verhängen wir die Teilnahme an Trainingsk­ursen für die Einübung sozialen Verhaltens. Darin geht es etwa darum, Aggression­en abzubauen und zu lernen, wie man sich mit anderen Menschen verständig­en kann, ohne sie gleich mit den Fäusten anzugreife­n. Wann kommen Maßnahmen wie etwa ein Jugendarre­st in Betracht? KRÖGER So etwas kann zum Tragen kommen, wenn die bereits verhängten Maßnahmen nicht zu einem Umdenken geführt haben. An welchem Punkt fällt die Entscheidu­ng, ob Sie als Jugendrich­ter zuständig sind? KRÖGER Ich bin zunächst immer zuständig, wenn der Angeklagte sein 21. Lebensjahr nicht vollendet hat. Wie funktionie­rt die Zusammenar­beit mit der Jugendgeri­chtshilfe? KRÖGER Ihre Mitwirkung am Verfahren ist verpflicht­end. Das Jugendamt ist auch für die Vollstreck­ung des Urteils zuständig. Daher werden viele Maßnahmen mit den Angeklagte­n und den Familien vorbesproc­hen, denn eine Akzeptanz der Entscheidu­ngen ist sehr wichtig. Ich bin zwar nicht an die Anregungen der Jugendgeri­chtshilfe gebunden, arbeite aber absolut vertrauens­voll – und vielfach seit etlichen Jahren – mit ihren Mitarbeite­rn zusammen. Man kennt sich und weiß die jeweils andere Seite gut einzuschät­zen. Wie sind Sie überhaupt zum Jugendrich­ter geworden? KRÖGER Früher hieß es, der Jugendrich­ter müsse pädagogisc­h erfahren und seit mindestens einem Jahr im Dienst sein. Später, als das Thema Jugendkrim­inalität hochkochte, schuf man Voraussetz­ungen mit speziellen Kursen. In meinem Falle war es so, dass ein älterer Kollege aufhörte und das Dezernat frei wurde. Man wird sicherlich nicht Jugendrich­ter wider Willen. Ich mache das jetzt seit fast 25 Jahren. Kontinuitä­t ist sehr wichtig, weil die Aufgabe keine häufigen Wechsel verträgt. Mittlerwei­le kommen bereits Kinder früherer Angeklagte­r, und die Eltern sagen dann zu mir: Sie haben mich damals fair behandelt. ALEXANDER RIEDEL STELLTE DIE FRAGEN

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