Wenn der Körper streikt
Wer aufgrund von Krankheit nicht mehr arbeiten kann, erhält eine Erwerbsminderungsrente. Doch nur gut die Hälfte der Anträge wird genehmigt und viele Betroffene müssen noch aufstocken.
In Deutschland sind immer mehr Menschen auf eine Erwerbsminderungsrente angewiesen. Neben den Arbeitnehmern, die in ihren Berufen körperlich hart arbeiten und oft chronische Gesundheitsschäden davontragen, scheiden immer mehr Berufstätige wegen hoher psychischer Belastungen vorzeitig aus.
„Derzeit müssen jedes Jahr über 170.000 Arbeitnehmer ihren Job aus gesundheitlichen Gründen vor dem Erreichen des Rentenalters aufgeben“, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Ende 2015 bezogen laut Statistik der Deutschen Rentenversicherung 1,79 Millionen Menschen eine Erwerbsminderungsrente. Erkrankungen des Bewegungsapparates und psychische Störungen sind die häufigsten Gründe für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben.
Die Zahl der Erwerbsminderungsrenten steigt, obwohl die Hürden für den Zugang sehr hoch sind. So wurden 2015 von 350.000 Anträgen 147.000 abgelehnt. Zum einen müssen Antragsteller mindestens fünf Jahre der gesetzlichen Rentenversicherung angehört haben, dazu haben in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge vorzuliegen. Ausnahmen gelten zum Beispiel bei behinderten Menschen oder Versicherten, die unter den Folgen eines Ar- (bü) Überstunden Rechnet ein Arbeitnehmer mehr Überstunden ab, als er tatsächlich geleistet hat, so verletzt er damit seine arbeitsrechtlichen Pflichten. Aber ihm darf deswegen nicht automatisch außerordentlich gekündigt werden. Vor dem Arbeitsgericht Mannheim ging es um den Mitarbeiter eines städtischen Theaters, der sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren jeden Monat sieben Überstunden zu viel aufgeschrieben und auch ausgezahlt bekommen hat. Weil er aber glaubhaft gemacht hat, dass das Vorgehen sowohl mit seiner Personalreferentin als auch dem Vorgesetzten abgesprochen gewesen war (als Ausgleich für lange Zeit nicht gezahlte Zulagen), habe er kein „hohes eigenes Verschulden“an den Tag gelegt. Eine Abmahnung hätte in diesem Fall daher ausgereicht. (ArG Mannheim, 12 Ca 63/17) Bewerbung Ein öffentlicher Arbeitgeber muss einem schwerbehinderten Bewerber die Chance eines Vorstellungsgesprächs auch dann anbieten, wenn dessen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht „offensichtlich ausgeschlossen ist“. Eine Eignung braucht nur dann nicht unterstellt zu werden, wenn die fachliche Vorbildung offensichtlich fehlt. Davon ist aus- beitsunfalls leiden. Ein Gutachter prüft die Leistungsfähigkeit des Betroffenen und zwar nicht nur im bisher ausgeübten Beruf, sondern auch in anderen Tätigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt angeboten werden. „Eine volle Erwerbsminderungsrente erhalten Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen nur noch in der Lage sind, weniger als drei Stunden am Tag zu arbeiten“, erklärt Cornelia Jurrmann, Pressesprecherin des Sozialverbands VdK Deutschland. „Wer nach Einschätzung zugehen, wenn wie im konkreten Fall nach der Stellenausschreibung ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Informatik und Wirtschaftsinformatik zwingende Voraussetzung war, der Bewerber aber nur ein BWL-Studium abgeschlossen hatte und in der Ausschreibung nicht auch nach „vergleichbaren Qualifikationen“gefragt war. (LAG Hamm, 15 SaGa 29/14) Betriebsrat Ein Betriebsrat hat nicht das Recht, ein Mitglied des Betriebsrats auszuschließen, wenn er tatsächliche oder vermeintliche Vorgänge im Zusammenhang mit Entscheidungen des Betriebsrats (hier unter anderem die Kinder von Betriebsräten und Leiharbeitnehmern betreffend, was hier einer „Vetternwirtschaft“gleichgekommen sei) öffentlich gemacht hat. Das Arbeitsgericht Braunschweig wies den entsprechenden Antrag ab: „Ein Ausschluss eines Betriebsratsmitgliedes komme nur in Betracht, wenn gesetzliche Pflichten grob verletzt würden. Dabei müsse es sich um grobe und böswillige Beleidigungen oder bewusst unwahre Behauptungen handeln. Hingegen seien im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung getätigte Werturteile zulässig.“(ArG Braunschweig, 3 BV 2/17) der Gutachter zwischen drei und unter sechs Stunden arbeitsfähig ist, erhält die halbe Rente, wer mindestens sechs Stunden arbeiten kann, erhält nichts.“Dabei spielt nur für die vor 1961 geborenen Arbeitnehmer der erlernte Beruf eine Rolle. „Bei allen anderen genügt es, dass sie sich theoretisch am Arbeitsmarkt für irgendeine Tätigkeit bewerben könnten“, sagt Jurrmann. In der Praxis finden die meisten jedoch keine Anstellung mehr und sind auf Grundsicherung angewiesen.
Erwerbsminderungsrenten werden in der Regel nur befristet bewilligt, Betroffene müssen rechtzeitig den Antrag auf Weiterzahlung beim Rentenversicherungsträger stellen. Nur wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt werden kann, wird eine Rente unbefristet gezahlt.
Die Höhe der Erwerbsminderungsrente wird nach den gleichen Regeln errechnet wie die Altersrente. Die Berechnungsgrundlage ist der Durchschnitt der geleisteten Beiträge zur Rentenversicherung. Wer in jüngeren Jahren erwerbsunfähig wird, profitiert von der Zurechnungszeit. Ein Versicherter wird bei der Rentenversicherung daher so gestellt, als sei er vom Eintritt der Erwerbsminderung bis zur Vollendung seines 62. Lebensjahres beitragspflichtig beschäftigt gewesen.
In diesem Sommer wurden mit einem entsprechenden Gesetzentwurf Leistungsverbesserungen auf den Weg gebracht. „Die Zurechnungszeit soll für zukünftige Erwerbs- minderungsrentner stufenweise bis 2024 um drei Jahre auf 65 Jahre verlängert werden“, erklärt die Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. „Nach Abschluss der Anhebung werden von dieser Verbesserung alle Versicherten profitieren, die vor Erreichen ihres vollendeten 65. Lebensjahres in eine Erwerbsminderungsrente gehen müssen.“
Bei der Bemessung der Zurechnungszeit bleiben die letzten vier Jahre vor der Erwerbsminderung unberücksichtigt, wenn der Verdienst zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen bereits eingeschränkt war. Mindern diese letzten vier Jahre den Anspruch, fallen sie aus der Berechnung heraus, die Rentenversicherung führt dazu eine sogenannte Günstigerprüfung durch. „Infolge der Reform und der Rentenanpassung stiegen die durchschnittlichen Zahlbeträge der Renten wegen voller Erwerbsminderung um fast 50 Euro auf 711 Euro bei den Rentenzugängen im Jahr 2015“, heißt es seitens des BMAS. „Dennoch sind derzeit etwa 15 Prozent der Erwerbsminderungsrentner zusätzlich auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen.“Eine Erwerbsminderungsrente in voller Höhe erhalten nur die, die kurz vor Erreichen der regulären Altersgrenze ausscheiden. „Wer früher aufgibt, muss pro Monat einen Abschlag von 0,3 Prozent bis zu einer Obergrenze von 10,8 Prozent hinnehmen“, erklärt Jurrmann vom VdK. „Wer mit 60 Jahren oder früher Rente beantragt, bei dem schlagen die vollen 10,8 Prozent zu Buche.“Und das betrifft einen Großteil der Bezieher von Erwerbsminderungsrente, denn das durchschnittliche Zugangsalter liegt bei 52 Jahren.
„15 Prozent der Empfänger sind zusätzlich auf Leistungen der Grundsicherung
angewiesen“
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