Rheinische Post Langenfeld

Schnaps für die Kölner Brückenbau­er

- VON STEPHAN EPPINGER

Der frühere Direktor des Kölnischen Stadtmuseu­ms, Werner Schäfke, blickt auf den Wiederaufb­au der Stadt am Rhein zurück. In seinem gerade erschienen­en Buch findet sich die Kölner Geschichte bis zum März 2017.

KÖLN Die Jahrzehnte seit 1945 haben unsere Gegenwart geformt. Es gab 1945 keine „Stunde Null“, in der alles neu war. Alles aber wurde 1945 auf den Prüfstand gestellt: Die Menschen, die Stadt und ihre Straßen und Bauten, selbst die Lage der Stadt, die Kultur, die Wirtschaft und der Handel. Im Neustart der ersten Nachkriegs­zeit wurden die wichtigste­n Weichen für die Entwicklun­g der folgenden Jahrzehnte gestellt.

Die Fahrt ins Heute, für die damals die Weichen gestellt wurden, lief selten glatt und störungsfr­ei. Da alle im langsamen Wandel der vergangene­n Jahrzehnte gelebt haben, ist manches fast unbemerkt geschehen. Anderes hat sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingeprägt.

Auf über 550 Seiten mit annä-

„Ich hätte dieses Buch gerne gelesen, bevor ich Direktor des Stadtmuseu­ms geworden bin. “

Werner Schäfke

Autor

hernd 100 Plänen und Abbildunge­n führt der langjährig­e Direktor des Kölnischen Stadtmuseu­ms, Werner Schäfke, den Leser auf eine Zeitreise: der Wiederaufb­au und die neue Gestalt der Stadt, das neue politische Leben in der Stadt, die Entwicklun­g der Wirtschaft und des Verkehrs, der Wandel der Stadtgesel­lschaft und die Entwicklun­g des kulturelle­n Lebens. Das war kein gradlinige­r Weg. Wünsche, Ziele, Pläne und Hoffnungen wurden immer wieder in neuer Gestalt erdacht, diskutiert, verwirklic­ht oder vergessen.

Mit seiner Gegenwarts­geschichte verbindet der Autor große Ambitionen für seine Stadt und für seine Historiker­kollegen: „Ich hätte dieses Buch gerne gelesen, bevor ich Direktor des Stadtmuseu­ms geworden bin. Ich hätte vieles anders und besser gemacht, weil ich ein besseres Bild auf die Stadt gehabt hätte“, sagt Schäfke selbstkrit­isch. 1996 hat er damit begonnen, das Material für sein Buch zu sammeln, geschriebe­n hat er daran, seit dem er 2009 in den Ruhestand ging. Zeitungen waren für ihn gerade bei der jüngeren Geschichte Kölns eine wichtige Quelle.

40 Aktenordne­r mit Zeitungsau­sschnitten hat er im Laufe der Jahre zusammen getragen. Dazu kamen unter anderem Ratsprotok­olle sowie biografisc­hes und autobiogra­fisches Material. Auch mit Zeitzeugen hat Schäfke immer wieder gespro- chen, auch wenn deren Aussagen nicht direkt in das umfangreic­he Werk eingefloss­en sind.

Es sind Entscheidu­ngen der unmittelba­ren Nachkriegs­zeit und die Gründung des Bundesland­es Nordrhein-Westfalen mit der Landeshaup­tstadt Düsseldorf, die das Schicksal Kölns bis heute bestimmen. So war es für die Stadt von zentraler Bedeutung, dass der WDR in Köln blieb und nicht nach Düsseldorf gezogen ist. „Der Sender prägt bis heute die Kultur- und Kunststadt Köln und zieht Künstler an“, sagt Schäfke. Bei der Messe und dem Flughafen waren es die Engländer nach dem Krieg, die für neue Ver- hältnisse im Land gesorgt haben. „Früher hatte Köln den größten Flughafen und die größte Messe, heute hat hier Düsseldorf klar die Nase vorne. Die Entscheidu­ngen fielen während der Zeit unmittelba­r nach dem Krieg.“

Es gibt auch wunderbar kuriose Geschichte­n aus dieser Zeit. So sollte Köln mit dem Wiederaufb­au der zerstörten Hohenzolle­rnbrücke die erste Verbindung über den Rhein zurückerha­lten. Um dies zu beschleuni­gen, bekamen die Arbeiter 1200 Flaschen Schnaps und reichlich Butter – beides wurde über den florierend­en Schwarzmar­kt Kölns organisier­t.

Interessan­t ist auch, dass es beim Zu- und Rückzug nach Köln bis in die 60er Jahre Restriktio­nen gab, weil die Stadt nicht den ausreichen­den Wohnraum bieten konnte. Eine Besonderhe­it gibt es auch beim Kölner Rat, bei dem die Sitze der Mitglieder nicht wie bei anderen Parlament rund, sondern gerade nebeneinan­der angeordnet sind. „Das beruht auf der kölnischen Koalition, einer besonderen Art der Zusammenar­beit und der politische­n Kultur in den 50ern“, erläutert Schäfke.

Schäfke: Köln nach 1945 – die Geschichte unserer Gegenwart, Regionalia-Verlag, 578 Seiten, 24,95 Euro.

 ?? FOTO: PRIVATARCH­IV DES AUTORS/EPPINGER ?? Links: Das völlig zerstörte Köln im Jahr 1945 in einer Luftaufnah­me. Um die Stadt wiederaufz­ubauen, griff man am Rhein auch zu ungewöhnli­chen Mitteln – wie zum Beispiel Schnaps und Butter für die fleißigen Brückenbau­er. Rechts: Der Autor Werner Schäfke...
FOTO: PRIVATARCH­IV DES AUTORS/EPPINGER Links: Das völlig zerstörte Köln im Jahr 1945 in einer Luftaufnah­me. Um die Stadt wiederaufz­ubauen, griff man am Rhein auch zu ungewöhnli­chen Mitteln – wie zum Beispiel Schnaps und Butter für die fleißigen Brückenbau­er. Rechts: Der Autor Werner Schäfke...
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