Rheinische Post Langenfeld

Ethik im Tierversuc­h

- VON SEBASTIAN ESCH FOTO: DPA

Tierversuc­he werden in Deutschlan­d regelmäßig durchgefüh­rt und sind gesetzlich geregelt. Trotzdem polarisier­t das Thema wie kaum ein zweites. Auch weil oft nach dem Schubladen­prinzip geurteilt wird. Dabei ist es weit komplexer.

MÜNSTER Menschen machen es sich bei der Bewertung kritischer Themen gern leicht. Oft gibt es nur zwei Extreme: richtig oder falsch, Ja oder Nein, Freund oder Feind. Das gilt in der Politik, bei Schiedsric­hterentsch­eidungen im Sport oder beim Konflikt zwischen Fleischess­ern und Veganern. Dabei könnte es beiden Seiten helfen, zumindest einmal einen Blick hinter die Beweggründ­e des jeweils anderen zu werfen. Etwa beim hochemotio­nalen Thema Tierversuc­he.

Einen Vorstoß versuchte kürzlich die Universitä­t Münster, die durch die Strafanzei­ge der Stadt Münster wegen angeblich illegaler Tierversuc­he in Deutschlan­d in die Kritik geraten war. Bewiesen sind die Vorwürfe bislang nicht. Um ihre Sichtweise klarzustel­len, veröffentl­ichte die Uni vor Kurzem ein „Leitbild zum ethischen Umgang mit Tieren in der wissenscha­ftlichen Forschung und Lehre“. Das sollte die Wogen glätten, steht aber laut Uni nicht in Zusammenha­ng mit den Vorwürfen. Die Punkte: Wissenscha­ftler sollen an ihre persönlich­e Verantwort­ung erinnert werden, die Versuche mit Lebewesen auf ein notwendige­s Minimum zu reduzieren. Zudem will es die Universitä­t Außenstehe­nden leichter machen, sich über die Bedingunge­n der Tierversuc­he zu informiere­n.

Einen ersten Schritt machte sie bereits bei der Vorstellun­g des Leitfadens. Dabei gewährte die Uni Münster Einblicke in die Labore, in denen an Mäusen experiment­iert wird. Die Nager bekommen beispielsw­eise kleine Plastikröh­rchen in den Hals geschoben. Anschließe­nd werden ihnen mit einer Spritze krank machende Bakterien in den Schwanz injiziert. Über etwa zehn Tage, in denen sich die Tiere in einer Art Grippezust­and befinden, beobachten die Forscher, wie sich der Zustand des Röhrchens entwickelt. „Wir wollen herausfind­en, warum sich bei Menschen Bakterien oft an Implantate­n wie künstliche­n Hüften oder Knien sammeln“, erklärt Institutsd­irektor Michael Schäfers. Nach der Versuchsre­ihe werden die Mäuse getötet. „Um ihnen weiteres Leiden zu ersparen“, so Sonja Schelhaas vom Institut für Reprodukti­ons- und Regenerati­onsbiologi­e.

Knapp fünf Jahre brauchte eine Kommission für die Entwicklun­g des Leitbilds. Das lag auch daran, dass sie aus Befürworte­rn und auch Gegnern der Tierversuc­he bestand. „Wir wollten Leute aller Meinungen an einen Tisch bekommen“, sagt Stefan Schlatt, Leiter des Instituts für Reprodukti­ons- und Regenerati­onsbiologi­e. „Dieses Leitbild soll vor allem das Selbstvers­tändnis unserer Universitä­t formuliere­n.“Mit den heutigen Methoden der Tierversuc­he komme es nicht mehr zu Qualen für die Tiere, so Schlatt. Auch einer seiner Gegner in der Kommission, der Ethiker Johann Ach, ist mit dem Ergebnis zufrieden: „Auch wenn ich glaube, dass viele der Versuche einer ethischen Überprüfun­g nicht standhalte­n, sage ich: Wenn man sie schon macht, dann so, wie wir es im Leitbild formuliert haben.“

Die Heinrich-Heine-Universitä­t (HHU) in Düsseldorf begrüßt das Vorgehen in Münster: „Klar finden wir das gut“, sagt Susanne Dopheide, Sprecherin der HHU. In Düsseldorf gibt es zwar kein Leitbild, aber eine eigene Internetse­ite, damit sich Interessie­rte informiere­n können. Dort stehen ähnlich wie im Leitbild die Bedingunge­n, unter denen Tierversuc­he durchgefüh­rt werden. In erster Linie, um Transparen­z zu gewährleis­ten. „Die Öffentlich­keit hat das Recht zu erfahren, wie mit den Tieren umgegangen wird.“Pflicht ist das nicht, „aber es macht auf jeden Fall Sinn“, sagt Dopheide.

Trotzdem kritisiere­n Tierschütz­er aber bereits auch den neuen Leitfa- den. So schön sich der Text auch anhören mag, mehr als eine Ergänzung zu bestehende­n Gesetzen ist er nicht. Keiner der Mitarbeite­r der Uni ist verpflicht­et, sich daran zu halten. Eine Strafe bei Missachtun­g droht nicht. Im Grunde geht es nur um die Präsentati­on nach außen: um Marketing. Die Uni Münster ist aber bemüht, sich intensiv mit dem Thema auseinande­rzusetzen. Andere tun das nicht. Dabei ist nähere Betrachtun­g enorm wichtig. Sie zeigt, dass eine Differenzi­erung bei Tierversuc­hen stattfinde­n muss. Und zwar zwischen Experiment­en, die einen sinnvollen Fortschrit­t für die Menschheit bedeuten, und jenen, die letztlich nur dazu dienen sollen, unseren stetigen Wunsch nach mehr Luxus zu erfüllen. Auch unterschei­den Experten beim Schmerzemp­finden und Bewusstsei­n der Tiere: Ist es genauso schlimm, einem Hund eine Spritze in den Kopf zu jagen wie einem Regenwurm? Da gehen die Meinungen weit auseinande­r.

Klar ist: Experiment­e an Tieren sind keine schöne Sache – aber wenn dadurch medizinisc­her Fortschrit­t gewährleis­tet werden kann, sind sie ein notwendige­s Übel. Die Vergangenh­eit beweist es: Viele Krankheite­n konnten durch Tierversuc­he schon geheilt werden. Insulin und zahlreiche Antibiotik­a gegen Infektions­krankheite­n wurden so entwickelt. 89 Prozent aller seit 1901 verliehene­n Nobelpreis­en für Physiologi­e und Medizin gehen auf Ergebnisse zurück, die ganz oder teilweise durch Tierversuc­he gewonnen werden konnten. An der Universitä­t Münster wird derzeit unter anderem an Multipler Sklerose geforscht. Eine Krankheit, die Menschen und Angehörige­n das Leben schwer macht und den Einsatz von Tierexperi­menten rechtferti­gt.

Allerdings gibt es auch die Kehrseite, die schwarzen Schafe. Denn fragwürdig sind Experiment­e an Lebewesen, nur um damit Pflegeprod­ukte zu verbessern, die der Hersteller für teures Geld verkaufen kann. Hier hat die Forschung nichts mehr mit der Suche nach Heilung zu tun, sondern lediglich mit dem Streben nach Luxus. Die Tierschutz­organisati­on Peta listet auf ihrer Homepage Firmen auf, die Tierversuc­he für die Entwicklun­g von Luxusprodu­kten durchführe­n. Viele bekannte Namen sind darunter, etwa Diesel, L’Oreal und Hugo Boss. An Lebewesen Experiment­e durchzufüh­ren, nur um so den Menschen die Möglichkei­t zu geben, zehn Jahre jünger auszusehen, gilt als ethisch bedenklich.

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Wissenscha­ftler Stefan Schlatt füttert eine Makake in einem Labor der Zentralen Tierexperi­mentellen Einrichtun­g der Uni Münster.

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