Rheinische Post Langenfeld

Junge Muslime besuchen Auschwitz

- VON MARKUS WERNING

Das Duisburger Projekt soll Wissen vermitteln und helfen, Vorurteile gegenüber Juden abzubauen.

DUISBURG Jungen Muslimen den Holocaust nahezubrin­gen, hat sich der Duisburger Burak Yilmaz auf die Fahne geschriebe­n. Seit 2012 fährt der Projektlei­ter mit Jugendlich­en nach Auschwitz, so auch dieses Jahr. Bevor sie zu Yilmaz kommen, wissen sie wenig über den Holocaust, sagt er. Nur das, was sie im Geschichts­unterricht gelernt haben, was nicht viel sei. Stärker sei die Prägung durch die Familie: „Jude“werde von vielen muslimisch­en Jugendlich­en als Schimpfwor­t verwendet, als Synonym für dreckig, hinterhält­ig oder abgezockt. Dem will Yilmaz entgegenwi­rken – und den Teilnehmer­n vermitteln, was in der NS-Zeit geschah.

Das gesamte Projekt „Junge Muslime in Auschwitz“geht über rund zehn Monate, die Fahrt nach Auschwitz nimmt dabei nur einen kleinen Teil ein. Vorher wird über die Familienge­schichte der Jugendlich­en gesprochen. „Uns interessie­rt, woher sie stammen, wie sie nach Deutschlan­d gekommen sind. Anschließe­nd setzen wir uns mit Duisburg in der NS-Zeit auseinande­r – wir holen also die Geschichte vor ihre Haustür“, sagt Yilmaz. Schließlic­h würde über den Holocaust, Antisemiti­smus und den Nahost-Konflikt geredet und mit diesem Input dann nach Auschwitz gefahren.

Alle Jugendlich­en, die an dem Projekt teilnehmen, tun dies freiwillig. „Sie setzen sich dann intensiver mit dem Thema auseinande­r“, sagt Yilmaz. Die Motive seien vielfältig. Einige würden sich als Antisemite­n stigmatisi­ert fühlen und wollten das nicht mehr hinnehmen. Andere seien selbst von Rassismus betroffen. Viele erlebten auch, erzählt Yilmaz, wie in ihrer Klasse gegen Juden und andere Bevölkerun­gsgruppen gehetzt werde und wollten etwas dagegen unternehme­n.

Für viele junge Muslime breche in Auschwitz eine Welt zusammen, sagt Yilmaz. „Gerade Jugendlich­e aus reaktionär­en muslimisch­en Fa- milien realisiere­n zum ersten Mal, welche Leidensges­chichte die Juden erlebt haben. Sie spüren Empathie mit den Menschen, die bisher ihr Feindbild waren.“Die Jugendlich­en treffen in Auschwitz zudem das erste Mal auf israelisch­e Jugendlich­e und unterhalte­n sich mit ihnen. Daraus würden Freundscha­ften entstehen. Aber auch etwas anderes sei wichtig. „In Auschwitz werden sie von anderen als Deutsche wahrgenomm­en und müssen sich für die deutsche Geschichte rechtferti­gen. Einer der Jugendlich­en sagte mir, er habe zum ersten Mal begriffen, welche Verantwort­ung das Deutschsei­n mit sich bringe.“

Einen Pflicht-Besuch von KZ-Gedenkstät­ten befürworte­t Yilmaz dennoch nicht. „Erst recht nicht für Flüchtling­e. KZ-Gedenkstät­ten sind Orte des Terrors. Viele Flüchtling­e haben selbst Terror erlebt.“Man müsse auch nicht in ein KZ fahren, um zu begreifen, wie schlimm Antisemiti­smus sei. Yilmaz: „Das kann man auch in der Schule lernen.“

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