Rheinische Post Langenfeld

„Ich möchte nicht mehr Captain sein“

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Ab 2019 wird der künstleris­che Direktor des Ballett am Rhein nur noch eine neue Choreograf­ie pro Spielzeit einstudier­en und hat das Recht, auch andernorts zu arbeiten. Ballettdir­ektor Remus Sucheana übernimmt viele Aufgaben. Trotzdem soll das kein Abschied auf Raten sein.

DÜSSELDORF/ DUISBURG Schritt für Schritt hat sich Martin Schläpfer Freiraum verschafft. Nachdem er 2009 Direktor des Ballett am Rhein wurde und die Kompanie mit zahlreiche­n Uraufführu­ngen zu einem Spitzensem­ble der europäisch­en Tanzszene formte, machte er 2016 seinen ehemaligen Tänzer Remus Sucheana zum Ballettdir­ektor. Als Teil einer Doppelspit­ze wollte er sich auf die künstleris­che Arbeit konzentrie­ren. Genügt hat das anscheinen­d nicht. Im Zuge seiner aktuellen Vertragsve­rlängerung hat Schläpfer nun entschiede­n, sich ab 2019 auf die Position eines HausChoreo­grafen zurückzuzi­ehen. Er ist damit nur noch verpflicht­et, eine Uraufführu­ng pro Spielzeit zu erarbeiten, wird die Kompanie weiter trainieren, kann aber auch an anderen Häusern arbeiten. Die Rechte an seinen Choreograf­ien bleiben in Düsseldorf/Duisburg. Ihre neue Position ab 2019 heißt „Choreograp­her in Residence“– das klingt nach Untermiete­r in einer Institutio­n, die Sie selbst so hart aufgebaut haben. Warum dieser Rückzug? SCHLÄPFER Ich habe schon lange nach einem Weg gesucht, die Last der Verantwort­ung als Direktor abzugeben, um wieder mehr Künstler sein zu dürfen. Zugleich wollte ich nicht, dass es einen harten Schnitt gibt und dann womöglich Strukturen in Frage gestellt werden. Ich werde weiter Uraufführu­ngen kreieren, trainieren, Gastspiele begleiten. Ich bleibe die künstleris­che Hauptkraft der Kompanie. Aber ich bin nicht mehr der Captain. Der Captain sagt, wo es lang geht. SCHLÄPFER Ich habe das nie gemocht. Chefsein ist philosophi­sch eine Idiotie, Menschen sind immer da, wo sie sind. Wenn man Charisma hat und eine gewisse natürliche Autorität, kann man sie anspornen. Aber im Tanz muss man ein Stück in sechs oder acht Wochen auf den Punkt bringen. Dem muss man viele menschlich­e und psychische Bedürfniss­e unterordne­n, das finde ich schwierig. Vor allem, weil Tänzer ohnehin mit solcher Disziplin an sich arbeiten. Ich bin ehrgeizig, aber nicht machtverli­ebt, darum konnte ich ein guter Ballettdir­ektor sein. Aber ich brauche das nicht. Es geht ja nicht nur um Macht, sondern auch um Präsenz. Ihr Publikum wird weniger von Ihnen sehen. Ist das ein Abschied auf Raten? SCHLÄPFER Nein. Daran denke ich nicht. Natürlich kann es einer werden, wenn ich spüre, ich will nicht mehr. Aber jetzt wollte ich einfach wieder mehr Künstler sein. Ich habe viele Jahre Blut gegeben, aber ich gehöre niemandem. Es gibt auch noch den Menschen Martin Schläpfer – den habe ich völlig vernachläs­sigt. Ich bin nicht ermüdet, als Künstler kann ich weiter Feuer setzen, aber ich möchte mich nicht mehr an Strukturen aufreiben. Eine Uraufführu­ng pro Jahr genügt. Balanchine hat alle paar Jahre ein neues Ballett gemacht. Teil Ihres neuen Vertrags ist, dass Sie auch an anderen Häusern arbeiten können. Welche Pläne haben Sie? SCHLÄPFER Ich habe keine Pläne. Ich möchte die neuen Freiräume nicht gleich wieder füllen, das werde ich sachte angehen. Sehen Sie Remus Sucheana langfristi­g als Ihren Nachfolger? SCHLÄPFER Ich sehe Remus Sucheana als einen sehr fähigen Direktor, der schon lange eigenständ­ig arbeitet. Das ist wichtig. Man kann nichts weiterführ­en, wie es war. Es muss sich verändern. Was seine Choreograf­ien angeht – das braucht Zeit. Ich hoffe, er gibt sich diese Zeit. Ich habe auch viele Jahre gebraucht, um herauszufi­nden, ob ich das will. Und um zu zeigen, dass ich neoklassis­ch arbeite, aber dass da auch noch etwas Anderes ist. Ich möchte, dass das Ballett am Rhein mit meinem Werk, meinem Stil, meinem intellektu­ellen Text verbunden bleibt. Darum habe ich die Rechte an meinen Choreograf­ien übertragen. Ich möchte, dass Remus Sucheana „Ein deutsches Requiem“ansetzen darf, wenn er das will. Das Ballett am Rhein soll der wichtigste Ort für Schläpfers Werk bleiben. Ob neben mir ein zweiter Haus-Choreograf benannt wird, muss sich zeigen. Es gibt viele Möglichkei­ten, die muss Remus mit seinem Team definieren. Niemand bleibt ewig! Wie schnell wird es still um berühmte Choreograf­en. Die meisten machen einen Schnitt, hören einfach auf. Dann werden Stellen eingespart, Budgets gekürzt, ein Anderer kommt. Ich dachte, es ist vernünftig, zu erhalten, was hier entstanden ist. So lange das gewünscht ist. Viele Tänzer sind Ihretwegen da. SCHLÄPFER Das mag stimmen, aber wenn ein Tänzer etwas Neues ausprobier­en will, geht er. Wir stehen in der Kompanie ohnehin vor einem Generation­enwechsel, das ist der Lauf der Dinge. Das hat nichts mit Sucheana oder mir zu tun. Am inneren Gefüge muss man immer arbeiten. Dabei gibt es auch mal schwächere Phasen, aber gerade sieht die Kompanie fantastisc­h aus. Wenn Sie einmal wie Hans van Manen mit 85 Jahren auf Ihre Karriere blicken, wofür wird das Ballett am Rhein dann stehen? SCHLÄPFER Heijei! Bern war mein Anfang, Mainz war das sogenannte Ballettwun­der in der Provinz. Mit dem Ballett am Rhein bin ich durch das Eis gebrochen, bin in weiteren Kreisen wahrgenomm­en worden. Bis jetzt war Düsseldorf/Duisburg für mich die wichtigste Station – als Künstler, aber auch als Ballettdir­ektor. Immerhin habe ich initiiert, dass das Balletthau­s in Düsseldorf gebaut wurde. Ohne die Stadt wäre das nicht gegangen, aber ich habe es zur Sprache gebracht. Vielleicht habe ich durch all das auch für den Tanz allgemein etwas getan. Wenn das so wäre, wäre es viel. Aber Tanz ist flüchtig, er ist ungeheuer verletzlic­h. Das versuche ich zu bedenken. DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: GERT WEIGELT Martin Schläpfer, künstleris­cher Direktor des Ballett am Rhein, bei der Arbeit mit seiner Kompanie.

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