Rheinische Post Langenfeld

Firmen setzen zu wenig auf Ältere

- VON MAXIMILIAN KRONE UND MAXIMILIAN PLÜCK

Angesichts des drohenden Fachkräfte­mangels müssen Unternehme­n bei der Rekrutieru­ng stärker auf Frauen, Zuwanderer und Ältere setzen. Doch die Statistik zeigt, dass das oft noch nicht ausreichen­d getan wird.

DÜSSELDORF Fritz Paar war 53 Jahre alt, als es zu einer Zäsur in seinem Leben kam. Der studierte ChemieInge­nieur und organische Chemiker arbeitete in der Forschungs­abteilung eines großen Pharmaunte­rnehmens, das 2008 übernommen wurde. Seine Abteilung wurde geschlosse­n. Paar landete zunächst in einer Transferge­sellschaft, nach zwölf Monaten wurde er arbeitslos.

Jeder Gang zum Arbeitsamt, so sagt der Neusser, sei äußerst unangenehm gewesen, sein Betreuer habe ihm nur Jobs angeboten, die er selbst vorher schon im Internet gefunden habe. Paar fühlte sich allein gelassen. Mehr als 100 Bewerbunge­n habe er geschriebe­n und keine einzige Einladung bekommen.

Nach 15 Monaten resigniert­e er, beschloss aufzugeben. Seitdem ist er Hausmann. Kümmert sich um die Hunde, das Haus, treibt Sport. Immer, wenn er davon hört, dass Firmen kaum noch Fachkräfte fänden, wird er wütend. „Nach meiner Wahrnehmun­g herrscht in den Personalab­teilungen eine gehörige Portion Arroganz“, sagt er. Wenn man über 50 Jahre alt sei, könne man es im Grunde vergessen, einen neuen Job zu finden.

Doch handelt es sich bei Paars Schilderun­gen um einen bedauerlic­hen Einzelfall, oder ist es tatsächlic­h schwierig, im Alter einen neuen Job zu bekommen? Nach Angaben der Bundesagen­tur für Arbeit hat sich der Arbeitsmar­kt in den vergangene­n Jahren zugunsten älterer Menschen gewandelt. Die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten hat sich in der Altersgrup­pe der 55- bis 64-Jährigen zwischen 2000 und 2016 auf knapp 5,6 Millionen Menschen mehr als verdoppelt. In der Gruppe der 60bis 64-Jährigen hat sie sich sogar verdreifac­ht. Die Zahl der Arbeitslos­en nahm in der Alterskoho­rte „55 plus“von 2009 bis 2016 von rund einer Million auf 798.000 ab. Einberechn­et sind dabei neben den 555.000 klassische­n Arbeitslos­en auch Menschen in vorruhesta­ndsähnlich­en Regelungen und diejenigen, die an einer entlastend­en arbeitsmar­ktpolitisc­hen Maßnahme teilnehmen. Fachleute sprechen in diesem Zusammenha­ng auch von der Unterbesch­äftigung. Diese nahm im betrachtet­en Zeitraum um 18 Prozent ab. „Damit wird das vorhandene Arbeitsang­ebot der 55 bis unter 65-Jährigen deutlich besser ausgeschöp­ft als in der Vergangenh­eit“, heißt es bei der Nürnberger Behörde.

Zwar hat in diesem Zuge auch das Risiko für Ältere, arbeitslos zu werden, deutlich abgenommen. Allerdings ist es in der Altersgrup­pe der Älteren immer noch deutlich über den Durchschni­ttswerten für alle anderen Altersgrup­pen. Doch dabei lohnt es genauer hinzuschau­en: Fachleute betrachten in diesem Zusammenha­ng einerseits das Zugangsris­iko, also die Wahrschein­lichkeit, aus einem sozialvers­iche- rungspflic­htigen Verhältnis heraus in die Arbeitslos­igkeit zu rutschen. Zudem ziehen sie das Verbleibri­siko heran, also die Chance, die Arbeitslos­igkeit im kommenden Monat zu beenden. Dabei zeigt sich, dass die älteren Beschäftig­ten im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen zwar das geringste Risiko haben, arbeitslos zu werden. Zugleich haben sie aber auch die geringste Chance, durch Beschäftig­ungsaufnah­me die Arbeitslos­igkeit zu beenden: Während junge Menschen im Alter zwischen 20 und 25 Jahren mit 13,1 Prozent Wahrschein­lichkeit im Folgemonat wieder einen Job bekommen, liegt die Wahrschein­lichkeit bei den über 60-Jährigen gerade einmal bei 2,3 Prozent.

„Die Firmen wollen lieber junge Leute, die direkt von der Uni kommen“, sagt Chemieinge­nieur Paar. Weniger Gehalt, längere Arbeitszei­t spielten dabei eine Rolle, glaubt er. Er selbst habe jedoch gerade mit älteren Bewerbern positive Erfahrunge­n gemacht: „Ich habe selbst mal eine 45-Jährige Laborantin eingestell­t – das war ein Glücksgrif­f. Sie war erfahren, man brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass sie schnell wieder weg ist. Eine absolute Bereicheru­ng in der Abteilung.“Arbeitgebe­r fordert er daher zum Umdenken auf. Dazu, vorhandene­s Potenzial nicht einfach zu vergeuden.

Die Zeit sitzt den Firmen dabei im Nacken. Denn bis 2030 sinkt die Zahl der Personen im erwerbsfäh­igen Alter – also die der 20- bis 65Jährigen – voraussich­tlich um knapp sechs auf 44 Millionen. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s werden bereits in zwei Jahren rund 40 Prozent der Personen im erwerbsfäh­igen Alter älter als 50 Jahre sein.

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FOTO: ENDERMANN Der Chemie-Ingenieur Fritz Paar wurde 2009 arbeitslos, einen neuen Job fand er nicht. Heute ist er Hausmann – und leidenscha­ftlicher Läufer.

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