Rheinische Post Langenfeld

Das Jahr, in dem die Sportler aufbegehre­n

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Führende Athletenve­rtreter skizzieren eine Zukunft des Sports nach dem Willen der Sportler. 2018 will man mit den Sponsoren den Druck auf die internatio­nalen Verbände erhöhen – und auch Alternativ­en zu Olympia diskutiere­n.

DÜSSELDORF Beckie Scott (43) macht sich Sorgen um den Sport. Das ist ihr Job, schließlic­h engagiert sich die frühere kanadische Skilangläu­ferin seit 2005 als Athletensp­recherin der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Doch Anfang 2018 ist etwas neu: Inzwischen macht sich Beckie Scott Sorgen um den Sport an sich. „Der Sport bewegt sich immer mehr in eine Richtung, aus der es in meinen Augen keinen Weg zurück gibt“, sagt die Olympiasie­gerin von 2002 unserer Redaktion. „Wenn es im Sport nur noch um Unterhaltu­ng, Geld und Drama geht, dann geht etwas wirklich Wichtiges verloren.“Dass es nicht so weit kommt, das ist Scotts Anliegen. Und das von anderen Athletenve­rtretern überall auf der Welt.

So auch das von Silke Kassner. Die Kanutin ist Athletensp­recherin im Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB). „Als Athleten in Deutschlan­d haben wir eine ähnliche Perspektiv­e wie Beckie Scott. Als Athletenve­rtreter – gerade in der westlichen Welt – müssen wir das Herz in die Hand nehmen und überlegen, wie wir uns die Zukunft des Sportes vorstellen. Hier geht es um eine wichtige, zukunftswe­isende Entwicklun­g für eines der größten Kulturgüte­r“, sagt die 41-Jährige. Und so arbeiten Menschen wie Scott und Kassner daran, dass 2018 das Jahr wird, in dem die Athleten aufbegehre­n. Aufbegehre­n wollen, zumindest.

Denn zunächst geht es darum, den Spitzenspo­rtlern bewusst zu machen, über welche Macht sie verfügen. Über die Macht, dass eben kein Top-Event stattfinde­t, wenn sie nicht antreten. Dieses Bewusstsei­n gelte es zu wecken, sagt Scott. „Wenn wir Sportler begreifen würden, wie weitgehend wir den Sport verändern können, wäre der Sport schon heute ein anderer.“Aber der Sport ist so, wie er ist. Er wird auf internatio­naler Ebene von Schlagzeil­en über Doping, Korruption und Amtsmissbr­auch dominiert. Und, so sagt Kassner, eben von der Feststellu­ng, dass die Sportler noch immer viel zu wenig mitentsche­iden können. „Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass der Sport heute überwiegen­d von ehrenamtli­chen Vertretern gesteuert wird und die Protagonis­ten im Sport durch eine Minderheit vertreten werden. Die Hauptantri­ebsfeder des Sportes sind die Athleten und dahinter ihre Trainer. Beide müssen in die Lage versetzt werden, im Sport strukturel­le, strategisc­he und finanziell­e Entscheidu­ngen mit einer demokratis­chen Mehrheit mit zu treffen.“

Das Ganze klingt nach einer sportinter­nen Revolution, und nicht weniger wäre es auch, wenn die Athleten tatsächlic­h in Gänze ihre Stimme erheben würden. „Die zentralen Fragen der Zukunft sind: Welches Gewicht haben wir als Athleten, und wie setzen wir es als länderüber­greifendes Netzwerk um?“, sagt Kassner, die mit dem Dormagener Säbelfecht­er Max Hartung auch die Mitte Oktober in Köln gegründete, unabhängig­e Interessen­vertretung für Athleten vorantreib­t.

Scott sagt, es werde viel darüber geredet, wie wichtig Athletenve­rtretungen seien, aber in der Realität werde ihnen dann doch wenig Entscheidu­ngskraft zugestande­n. Die Kanadierin hat drei Schlüsself­iguren ausgemacht, die den Wandel vo- rantreiben sollen: Neben den Athleten seien dies die Öffentlich­keit, die über Ticketkauf und Einschaltq­uote ihre Meinung kundtun könne, und die Sponsoren.

Sponsoren? „Ja“, sagt Silke Kassner. „Sponsoren müssen sich heute viel konkreter überlegen, warum sie sich eigentlich immer noch mit Milliarden im Sport engagieren, obwohl der, wie wir glauben, seine Glaubwürdi­gkeit vor allem internatio­nal verloren hat. Warum gibt es seitens der Sponsoren bis heute keinen prozentual­en Anteil für den internatio­nalen Anti-Doping-Kampf, damit das Anti-Doping-Management unabhängig und frei von Inte- ressenkonf­likten realisiert werden kann?“

Deswegen plädiert sie dafür, sich als Athleten zusammen mit den Geldgebern Gedanken zu machen – umwälzende Ideen inklusive. „Wir müssen mit den Hauptgeldg­ebern sprechen und überlegen, wie der Sport der Zukunft aussehen soll. Gibt es vielleicht auch andere Veranstalt­ungen als die Olympische­n Spiele?“Dass das Veranstalt­ungsmonopo­l der internatio­nalen Sportverbä­nde wackelt, legt nicht zuletzt die Entscheidu­ng der EU-Wettbewerb­shüter von Anfang Dezember nahe, die der Internatio­nalen Eislaufuni­on (ISU) untersagte­n, Sportler für die Teilnahme an Nicht-ISUVeranst­altungen zu sanktionie­ren. Vorangegan­gen war eine Klage von zwei niederländ­ischen Athleten.

„Für den Athleten gibt es in der monopolist­ischen Welt der Sportverbä­nde bisher nur zwei Optionen: Entweder er betreibt den Sport so wie vorgegeben, oder er lässt es. Bedingt durch ihren kulturelle­n Rahmen fügen sich die meisten Athleten, weil die innere Motivation und das Ziel, am größten sportliche­n Wettkampf teilzunehm­en, alles überdeckt. Gerade in Deutschlan­d entscheide­n sich immer mehr für einen Beruf und gegen den unterfinan­zierten Leistungss­port“, sagt Kassner. Das soll sich ändern, wie sich so vieles ändern soll. 2018.

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