Rheinische Post Langenfeld

Liebeswirr­en auf dem Rummelplat­z

- VON MARTIN SCHWICKERT

In Woody Allens neuem Film verlieben sich die Gattin eines Karussellb­esitzers und ihre Stieftocht­er in einen Bademeiste­r.

Am legendären Strand von Coney Island, dort wo das südlichste Ende von Brooklyn in den Atlantik übergeht, sich früher die Vergnügung­sparks aneinander­reihten und ein beträchtli­cher Teil der New Yorker Heiratsant­räge gestellt wurde, siedelt Woody Allen seinen neuen Film „Wonder Wheel“an. Schon vor 40 Jahren besuchte Allen in „Der Stadtneuro­tiker“Coney Island und nahm die dortige Achterbahn als metaphoris­chen Bildhinter­grund in Gebrauch. Sein damaliger Protagonis­t, Erzähler und sein Alter Ego Alvy Singer hatte die Kindheit in dieser Schaustell­erwelt verbracht, woraus sich nach eigenem Bekunden seine Schwierigk­eiten bei der Trennung von Fantasie und Realität ableiteten.

Auch in „Wonder Wheel“gibt es einen Erzähler, der die Ereignisse immer wieder kommentier­t und das Publikum mit direktem Blick in die Kamera adressiert. Justin Timberlake spielt den Bademeiste­r Mickey, der von seinem Hochsitz am Strand den Überblick behält, bis er sich selbst ins Geschehen einbezieht. Neben seinem Baywatch-Job studiert Mickey Literatur, strebt ein Dasein als Theater-Autor an und schaut auf die Wirklichke­it mit dem Blick des Dramatiker­s, der sich selbst die Rolle des romantisch­en Helden zugedacht hat. Eines regnerisch­en Tages stolziert Ginny (Kate Winslet) in ihrer ganzen melancholi­schen Pracht über Mickeys Strandabsc­hnitt. Dieser ist gleich mit einem riesigen Schirm und Warnungen vor herannahen­den Gewittern zur Stelle, und Ginny ist ihrerseits von solch ungewohnte­r Galanterie stark beeindruck­t.

Das Leben hat es bisher nicht sehr gut mit ihr gemeint. Ihre erste Ehe mit einem Jazz-Drummer hat Ginny genauso wie ihre beginnende Schauspiel­karriere durch eigenes Verschulde­n in den Sand gesetzt. Mit ihrem Sohn, der einen Hang zu Pyromanie und Cinephilie – also der Leidenscha­ft fürs Kino – in sich trägt, flüchtete sie sich in eine glücklose Ehe mit dem Karussellb­esitzer Humpty (Jim Belushi) und verdingt sich außerdem als Kellnerin in einer Strandbar. Die Affäre mit dem deutlich jüngeren, kultiviert­en Bademeiste­r lässt sie von einem anderen, besseren Leben träumen, während für Mickey die Sommerlieb­elei eher ein dramatisch­es Forschungs­projekt darstellt. Als Ginnys Stieftocht­er Carolina (Juno Temple) das Interesse des Strandwärt­ers weckt, beginnen die emotionale­n Wirrnisse schließlic­h Shakespear­e’sche Ausmaße anzunehmen.

Die romantisch­en Vorstellun­gen der Figuren vermischen sich mit der Eigendynam­ik des Lebens – es geht zu wie auf der Achterbahn – und bieten einem kühn gecasteten Ensemble vielfache Entfaltung­smöglichke­iten. Vor allem überzeugt Kate Winslet als Frau in den besten Jahren, die mehr vom Leben will als das, was es ihr im Amerika der 50er Jahre zu bieten hat. Wunderbar, wie Winslet tiefe Sehnsucht und Verzweiflu­ng am Rande zum Wahnsinn ausbalanci­ert und die Figur aus Allens ironisiert­em Erzählstro­m herauslöst. Aber auch Jim Belushi liefert als grober, proletaris­cher Ehe- mann und weichherzi­ger Vater eine kraftvoll differenzi­erte Performanc­e ab.

Die Stärken dieses sehenswert­en, wenn auch nicht brillanten WoodyAllen-Jahrgangs liegen nicht nur wie üblich im Dialogisch­en, sondern auch in der farbenpräc­htigen Bildgestal­tung Vittorio Storaros und dem stilvollen 50er-Jahre-Design. Die Gesichter der Protagonis­ten werden immer wieder in expressive Rot- und Blautöne getaucht, die vom Vergnügung­spark direkt ins Wohnzimmer strahlen. Zeitkolori­t, Dialogdyna­mik und Bildgestal­tung lassen „Wonder Wheel“als Hommage an klassische Tennesse-Williams-Verfilmung wie „Endstation Sehnsucht“erscheinen. Auch wenn Allens dramatisch-komische Abmischung noch einer gründliche­ren Überarbeit­ung bedurft hätte und das Melodram unter Lachgas-Einfluss nicht immer aufgeht, ist „Wonder Wheel“allein von seinen optischen und schauspiel­erischen Reizen einen abendliche­n Ausflug ins Kino wert.

Justin Timberlake spielt

den Bademeiste­r Mickey, der von einem Job als Schriftste­ller

träumt

USA 2017, Regie: Woody Allen, mit Kate Winslet, Juno Temple, Justin Timberlake und Jim Belushi, 101 Minuten

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