Rheinische Post Langenfeld

Die Sonnenköni­gin von Paris

- VON CHRISTINE LONGIN

Einst war Anne Hidalgo sehr populär. Aber inzwischen hadern immer mehr Pariser mit ihrer selbstherr­lichen Bürgermeis­terin.

PARIS Airy Routier erinnert sich noch gut an jenen Septembert­ag des Jahres 2016, als er mit seiner Kollegin Nadia Le Brun in Paris im Stau stand. Aus dem Radio drang die sanfte Stimme von Bürgermeis­terin Anne Hidalgo, die gerade quasi im Alleingang beschlosse­n hatte, die Uferstraße Georges Pompidou rechts der Seine für den Autoverkeh­r zu sperren. Eine gute Sache für die am Autoverkeh­r erstickend­e französisc­he Hauptstadt, sollte man meinen. Doch die Sozialisti­n stellte damit die Einwohner der schlecht angebunden­en Vorstädte, die täglich mit dem Auto nach Paris zur Arbeit pendeln, vor vollendete Tatsachen. Kein Wunder also, dass 168 Bürgermeis­ter von Gemeinden aus dem Umland gegen die Maßnahme protestier­ten. „Die schönste Stadt der Welt wird wie die Sowjetunio­n der 80er Jahre geführt“, schimpft der Journalist Routier, der zusammen mit Le Brun ein Buch über die Misswirtsc­haft im Pariser Rathaus unter Hidalgo geschriebe­n hat.

Deren selbstherr­liche Verkehrspo­litik nimmt in ihrem Buch „Notre-Drame de Paris“viel Platz ein. Die Sozialisti­n selbst verkaufte die Sperrung des rechten Seine-Ufers als „entscheide­nde Etappe im Kampf gegen die Luftversch­mutzung“. Paris ächzt in der Tat unter dem Smog, der bei schönem Wetter wie eine grau-gelbe Glocke über der Stadt liegt. Doch die Stilllegun­g des Verkehrs auf mehr als drei Kilometern entlang der Seine brachte keine Besserung: Die Agentur zur Überwachun­g der Luftversch­mutzung Airparif stellte im Oktober fest, dass die Luft zwar auf den Uferstraße­n besser geworden ist, dafür aber auf den Ausweichst­raßen wie dem Boulevard Saint-Germain umso schlechter.

„Alternativ­en zum Auto zu suchen ist sehr gut, doch man muss sie erst umsetzen, bevor man die SeineStraß­en schließt“, kritisiert­e der Unternehme­nsberater Philippe Bailly in der Zeitung „Le Parisien“. Dass die Entscheidu­ng zumindest schlecht umgesetzt wurde, gibt auch Hidalgos Vorgänger, der Sozialist Bertrand Delanoë, zu. Er machte in seiner Amtszeit zwischen 2001 und 2014 einen ersten Schritt zur Verkehrsbe­ruhigung in Paris und sperrte das linke Seine-Ufer. „Wir haben vorher viele Untersuchu­ngen gemacht und wussten, dass der Ausweichve­rkehr überschaub­ar war. Vor allem, weil ich eine zusätzlich­e Fahrspur auf der Parallelst­raße ein- gerichtet habe“, sagte er. Hidalgo dagegen verzichtet­e auf eine solche Entlastung.

Sie will die Autofahrer gezielt vergraulen und macht damit Politik für ihre Pariser Wählerscha­ft, darunter nicht wenige gut verdienend­e, grün angehaucht­e „Bobos“, eine Abkürzung für die „bourgeoise Bohème“. Menschen, die in Berlin wohl am Prenzlauer Berg wohnen würden und eher auf Fahrrad und Zug setzen als auf das Auto. Dieser Klientel ist es auch zu verdanken, dass eine knappe Mehrheit der Pariser die Schließung der Uferstraße begrüßt.

Größer ist die Unzufriede­nheit allerdings, wenn es um die Sauberkeit in der „Stadt der Liebe“geht. Urinflecke­n, Zigaretten­kippen, überquelle­nde Abfalleime­r und wilde Müllhalden gehören zu den größten Ärgernisse­n im Touristenz­iel Nummer eins weltweit. „Die Metro hier ist dreckiger als bei uns in Mexiko“, sagt eine mexikanisc­he Touristin. Airy Router und Nadia Le Brun werden da viel deutlicher: „Das Viertel um den Nordbahnho­f ist ein bisschen wie Bombay, aber Bombay vor 20 Jahren“, schreiben sie in ihrem Buch. „Ein schmutzige­s Viertel, wo Frauen regelmäßig belästigt werden.“

Hidalgo weiß, dass sie das Müllproble­m in den Griff bekommen muss und legt deshalb jedes Jahr einen neuen Sauberkeit­splan auf. 550 Millionen Euro umfasst der „Plan Propreté“für dieses Jahr, zu dem die Anschaffun­g neuer elektrisch­er Reinigungs­maschinen gehört. Längst nicht ausreichen­d sei das, befindet Opposition­sführerin Florence Berthout von den konservati­ven Republikan­ern. Sie fordert 250 neue Stellen für das Reinigungs­personal und zusätzlich 15 Millionen Euro für mehr Material.

Die Einwohner der Hauptstadt sind inzwischen vom Dreck auf ihren Straßen so genervt, dass sie gegen die Stadtverwa­ltung klagen. Zum Beispiel die Anwohner des Marsfelds gleich hinter dem Eiffelturm, die im Herbst vors Verwal- tungsgeric­ht zogen. Der beliebte Park mit seinen mehr als 20 Millionen Besuchern jährlich wird seit Monaten von Ratten heimgesuch­t. „Ich sehe jeden Tag welche“, berichtet ein Bewohner des schicken Viertels angeekelt.

Die Stadtverwa­ltung unternahm im vergangene­n Jahr mehr als 2000 Aktionen zur Ausrottung der Nager. „Es ist seit einigen Jahren schwierig, die Stadtratte­n loszuwerde­n“, gestand der Arzt Georges Salines, der die Abteilung für Umwelthygi­ene leitet, dem „Parisien“. Das Problem sei, „dass die Ratten hier nie Hunger haben“. Denn der Müll, der überall herumliegt, versorgt die Tiere. 1,5 Millionen Euro veranschla­gte die Stadt Paris im vergangene­n Frühjahr für die Rattenvern­ichtung.

Ein Klecks im Haushalt der Metropole, der unter Hidalgo massiv in die roten Zahlen geriet. Wenn die Amtszeit der gebürtigen Spanierin 2020 endet, dürfte der Schuldenbe­rg von einer Milliarde Euro 2001 auf 7,5 Milliarden Euro angewach- sen sein. Dass es ihnen seit der Amtszeit von Hidalgo besser geht, finden daher auch nur 27 Prozent der Pariser. 47 Prozent sehen laut einer im November veröffentl­ichten Umfrage des Instituts Opinionway dagegen eine Verschlech­terung. Unzufriede­n mit der dunkelhaar­igen 58-Jährigen sind sogar 57 Pro- zent. „Man hat den Eindruck, dass die Situation von Anne Hidalgo zur Hälfte ihrer Amtszeit schwierige­r ist als die ihrer Vorgänger“, erklärt Opinionway-Leiter Bruno Jeanbart.

Dabei will die Sozialisti­n 2020 unbedingt wiedergewä­hlt werden. Nur so kann sie sich eines Tages ihren politische­n Traum erfüllen und Emmanuel Macron im Präsidente­namt beerben. Doch der Staatschef, der schon als Wirtschaft­sminister ein Gegner der Bürgermeis­terin war, dürfte genau das verhindern wollen. „Er hat die Rechte und die Linke zerstört. Er wird Frau Hidalgo nicht weiter vorankomme­n lassen“, sagt Airy Routier voraus.

Zunächst machte Macron jedoch mit der Bürgermeis­terin gemeinsame Sache, um die Olympische­n Spiele 2024 in die französisc­he Hauptstadt zu holen. Zusammen warben sie vor dem Olympische­n Komitee für Paris. Die in Lausanne zur Schau gestellte Einigkeit übertüncht­e aber nur die vielen Streitigke­iten der vergangene­n Jahre. Zum Beispiel um die Einführung verkaufsof­fener Sonntage in der Hauptstadt. Während Macron 2015 als Wirtschaft­sminister dafür warb, wehrte sich die Bürgermeis­terin dagegen. Vor den Präsidents­chaftswahl­en im vergangene­n Jahr veröffentl­ichte sie einen bissigen Beitrag in „Le Monde“, in dem sie Macron als „Reprodukti­on der Eliten“bezeichnet­e. Nur zähneknirs­chend gab sie für die Stichwahl eine Empfehlung für den Jungstar ab.

In einem Interview mit der Sonntagsze­itung „Journal du Dimanche“gab sie im Herbst offen zu, Macrons Reformpoli­tik nicht zu unterstütz­en. Auf die Frage, ob sie sich denn als Gegenspiel­erin Nummer eins des Präsidente­n sehe, antwortete Hidalgo ausweichen­d: „Ich respektier­e unsere Institutio­nen.“Macron hat Hidalgo seinerseit­s längst als Rivalin erkannt und sie auf seine Art ins Abseits befördert. So nahm er die Neuordnung des Großraums Paris als Chefsache an sich. Mit dem gigantisch­en Infrastruk­turprojekt „Grand Paris“sind auch die wichtigen Bereiche Verkehr und Wohnungsba­u verbunden, die dann nicht mehr in Hidalgos Kompetenz liegen.

Im Hintergrun­d stellt der Präsident außerdem die Weichen für die nächsten Kommunalwa­hlen. In Paris könnte dann sein Vertrauter Benjamin Griveaux gegen Hidalgo antreten. Als Regierungs­sprecher ist der 40-Jährige dafür zumindest gut positionie­rt. Sein Spitzname: Macrons Scharfschü­tze.

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FOTO: DPA Ein Termin ganz nach dem Geschmack von Anne Hidalgo: Im vor Blattgold strotzende­n Rathaus von Paris empfängt die Bürgermeis­terin den ehemaligen Gouverneur von Kalifornie­n, Arnold Schwarzene­gger. Die Probleme ihrer Stadt – Verkehr, Verschmutz­ung,...

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